Du willst Russland gar nicht verstehen?
Russland hat mich schon immer fasziniert; ich habe am Gymnasium russisch gelernt, Tolstois Krieg und Frieden gelesen und bin von der Geschichte und dem Stoizismus der Menschen in Russland beeindruckt… Die Zeit nach den Terroranschlägen in Paris, des G20 Treffens, zeigt, wie wichtig es ist, unsere Nachbarn zu verstehen. Ich empfehle das Buch ‚Russland verstehen‘ von Gabriele Krone-Schmalz aus aktuellem Anlass jedem, der Osteuropas Politik besser verstehen möchte.
Als Culture Coach versuche ich, Menschen die arabische Kultur, ihr Traditionsbewusstsein und ihre Denkweise nahe zu bringen; die Welt aus der Perspektive des Anderen zu sehen. Das ist oft sehr schwierig, weil ich gegen hartnäckige Vorurteile und westliche Arroganz ankämpfe. Genauso wie wir in Deutschland auch mit antirussischen Vorbehalten eine lange Tradition haben. Frage ich aber ältere Bürger in Österreich zu Russland, finde ich diese Vorbehalte nicht. Wie kommt das? Haben wir eigentlich genug Information, um uns eine Meinung zu bilden und den Anderen zu verstehen – oder basiert unser Wissen auf dem von Deutschlands Medienmachern?
Gabriele Krone-Schmalz schreibt: „Es liegt im ureigenen Interesse der EU, Russland als Partner zu haben. Wer diese Chance vertut, riskiert, dass Europa im Machtkampf künftiger Großmächte zerrieben wird.“
Ein seltenes Bild, aber in diesen Zeiten ein so wichtiges: In den Tagen nach der Terrorattacke in Paris sehen wir auf dem G20 Treffen in Belek US-Präsidenten Barack Obama in einem privaten Gespräch mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin. Auch dass Frankreichs Präsident Francois Hollande, der die Terrorattacke als einen ‚act of war‘ bezeichnet, nicht den NATO-Bündnisfall abruft, ist bezeichnend: Hätte er das getan, wären Putin und somit Russland nicht als Mitstreiter gegen den IS im Boot. Gibt es erst durch die gemeinsame Erfahrung des Terrors eine Annäherung an Russland?
Wie solide ist unser Wissen über Russland eigentlich?
Krone-Schmalz, die über das Thema ‚Vom Kiewer Reich zum Kalten Krieg’ promovierte und in ihrer Dissertation typische Vorurteile und Klischees in der Zeit von 1945 bis in die siebziger Jahre untersuchte, arbeitet von 1987-1991 als ARD-Korrespondentin in Moskau. Sie hat durch ihre wissenschaftliche Arbeit, aber auch durch ihre Präsenz in Russland, Einblicke in die Gesellschaft Russlands bekommen, wie nur wenige von uns. Krone-Schmalz versteht die Psyche der Menschen in Russland und wie sie durch Geschehnisse geprägt sind.
In der Tagespresse werden ihre Darstellungen über den Kampf um die Ukraine und die Geschehnisse am Maidan heftig kritisiert. Aber Reinhard Veser, Redakteur bei der FAZ, räumt auch ein:
„Sie (Krone Schmalz) hat recht mit dem Hinweis, die russische Politik sei nur vor dem Hintergrund der für Westeuropäer kaum vorstellbaren Umwälzungen der vergangenen 25 Jahre zu verstehen.“
Und genau hier liegt mein Punkt: „kaum vorstellbar“. Heißt das aber nicht auch, dass wir zumindest versuchen sollten, die Beweggründe der Anderen zu verstehen und uns nicht von der westlichen Arroganz und deren Berichterstattung leiten lassen sollen?
Ich bin der Autorin für dieses Buch sehr dankbar, denn es hat definitiv meinen Horizont erweitert. Es ist kurz und verständlich geschrieben und gibt Einblicke in die Verdienste der Sowjetunion zur Wiedervereinigung und der Nato-Mitgliedschaft Deutschlands.
Foto: pixabay und privat