Internet + Kinder = Panik? Bleib mal locker!
Das Internet im Familienalltag – Tor zur Hölle und hilfreicher Diener gleichermaßen. Fluch und Segen eben! Immer wieder berichten Medien darüber, was das mit Kindern, Eltern und ihren Beziehungen zueinander macht. Ungezählte Studien bieten uns eine Richtschnur an. Dabei werden ihre Empfehlungen für einen klugen Umgang womöglich so interpretiert, dass sie die eigenen Werte stützen. Sollen wir den Einzug in frühkindliche Bildung etwa verteufeln oder gar fordern? ohfamoos sucht in diesem Diskurs nach dem, was hinter dem Tellerrand kommt – und präsentiert die bemerkenswerte Perspektive einer Kulturwissenschaftlerin und Mutter.
Cornelia: Berichte über die Internet- und Smartphone-Nutzung zeichnen Bilder von Kids, die grauhäutig, mit Augenringen und sozial zunehmend inkompatibel an ihren Smartphones hocken. Statt auf Bäume zu klettern, gemeinsam in der Eisdiele zu kichern und Bücher zu lesen. Und dass es zwischen ihnen und ihren Eltern gehörig viel Streit gibt. Wie siehst du das?
Alexandra: Das klingt fürchterlich, oder? Als ob sich Smartphone und Eisdiele ausschließen! Oder Smartphone und kichern. Auf Bäume klettern halten viele Eltern ja sogar für gefährlich, weil das Kind herunterfallen und sich verletzen könnte. Das Smartphone auch, weil die Inhalte ihr Kind ablenken oder sogar gefährden könnten. Einerseits wollen Eltern ihre Kinder beschützen, gleichzeitig ihre Lebenserfahrungen weitergeben, teils bewusst, teils unbewusst.
Was ist so falsch daran? Die Kindheitserfahrungen der Eltern lassen sich nicht 1:1 übertragen, denn ihre Kindheitswelt gibt es nicht mehr. Wir haben und nutzen andere Technologie. Das macht anderes Wissen sowie einen anderen Umgang mit Information nötig. In nahezu jedem Beruf sind inzwischen Computer- und Internetkenntnisse Voraussetzung.
Die Eltern selbst nutzen Smartphones, Tablets, Laptop und PC – beruflich oder weil sie den Alltag erleichtern. Sie leben vor und die Kinder wollen beteiligt sein.
Früher haben Kinder gespielt, gerätselt, gelesen, Filme geschaut und Musik gehört und brauchten dazu 5 verschiedene Geräte. Heute brauchen sie dazu eins – und das passt in die Hosentasche, hinten rechts.
Willst du damit sagen, Eltern machen unnötige Panik? Keinesfalls! Aber es ist doch so: Das Internet ist fester Bestandteil unserer Lebenswelt. Wir alle lernen, mit seinen Möglichkeiten zurechtzukommen – und die wachsen und verändern sich ständig. Es gilt den Nutzen und die Gefahren differenziert zu betrachten. Oder überhaupt anzuerkennen, dass es einen Nutzen gibt, den wir mit unserem Verhalten vorleben! Bei vielen Eltern macht sich aufgrund der Digitalisierung eine gewisse Desorientierung und Ohnmacht breit. Es ist eine große Herausforderung, dem Generationenkonflikt mit Verständnis zu begegnen.
Wie können Familien weniger Stress und Streit um Mediennutzung haben? Neue Medien sollten als ein Beitrag zur Kulturbildung betrachtet werden. Früher brauchte es Papier, Stifte und Celluloid um Geschichten zu transportieren. Heute nur einen Laptop oder ein Smartphone. Beides hat Vor- und Nachteile. Die kann man Kindern erklären und warum es Sinn macht oder gar schön sein kann, beides zu nutzen. Es genauso toll zu finden, dass Jugendliche programmieren und Filme produzieren können wie mit Holz, Hammer und Nagel eine Kiste zu bauen.
Die Faszination von Videospielen, Filmen und allem, was interaktiv ist, hat mit Geschichten zu tun. Menschen lieben Geschichten, weil sie uns emotional und rational erreichen. Außerdem sind Geschichten mächtige Lehrmittel. Darin sehe ich einen riesigen Nutzen!
Also sind wir einer enormen Verführung ausgesetzt? Das können Kinder und Jugendliche doch kaum bewältigen. Viele Erwachsenen übrigens auch nicht! Einer Verführung zu was? Zuzuhören und Hinzuschauen? Die ganze Welt ist voller Verführungen, es kommt darauf an, um wessen Interessen es geht. Deswegen braucht es Übung. Nur durch Übung, Erfahrung und den Austausch mit anderen lernen Kinder das Gute vom Bösen zu unterscheiden.
Darauf sollen Eltern vertrauen? Ja. Kinder haben ein Eigeninteresse daran zu überleben. Das war in der Steinzeit nicht anders als jetzt. Wer seine Hausaufgaben schleifen lassen will, schafft das auch ohne Smartphone und Internet. Das können Generationen von Eltern bestätigen.
Entscheidend ist in Verbindung zu gehen mit den Interessen und Bedürfnissen unserer Kinder und unsere Geschichten mit ihnen teilen! Dafür braucht es Vertrauen, Zeit und Geduld. Denn nur, weil jemand unerfahren ist, ist er nicht unfähig zu lernen und zu wachsen. Leider ist Zeit gerade für Eltern ein kostbares, weil knappes Gut.
Also alles eine Einstellungssache von uns Erwachsenen? Studien belegen aber doch, dass Kinder dicker, einsamer, hibbeliger und aggressiver werden?! Studien belegen auch, dass Videospieler schnellere Reaktionsfähigkeiten und eine genauere Beobachtungsgabe haben. Studienergebnisse werden leider oft Ängste schürend präsentiert und verunsichern Eltern. Fakt ist: Die technologische Zukunft wird so wenig mit heute zu tun haben wie das Heute mit 1986. Was gab es für Konflikte, ein Modem ins Haus zu holen? Und dann piepte es so laut, dass es fast unmöglich war, heimlich ins Internet zu gehen. Wie toll war es die erste E-Mail an einen Schulfreund schreiben zu können? Das Dilemma zwischen Angst und Vertrauen erleben wohl alle Elterngenerationen. Kontrolle schneidet die heranwachsende Generation von bereits etablierter Kulturtechnik ab. Gleichzeitig dient Kontrolle dazu, länger bei Bekanntem zu bleiben. Eltern können ganz viel dafür tun, ausgeglichene, extrovertierte und rundum gesunde Kinder großzuziehen.
Was rätst du? Wir Erwachsenen haben neben dem Bedienen der Geräte dies zu lernen: Akzeptanz für diesen kulturellen Wandel! Wandel ist manchmal schwer auszuhalten.
Die vermutlich beste Chance ist z. B. in Ruhe zu beobachten, was das eigene Kind mag und macht. Verallgemeinerungen, die Ängste schüren und in Verbote und Kontrolle münden, schaden der Beziehung.
Wenn Eltern in Sowohl-als-auch-Kategorien denken und zeigen, dass Neues und Altes miteinander verbindbar ist und wenn sie Gemeinsamkeiten suchen. Denn Interessen, die schlecht geredet werden, finden einsame Wege um sie auszuleben. Außerdem ist es bereichernd gemeinsam zu erfahren, wie anders es ist, ein Bild mit Tusche statt am Tablet zu malen, dass ein Computerspiel genauso lustig miteinander spielbar ist wie verstecken im Wald. Und dass das alles nebeneinander existieren kann und darf.
Das Interview mit Alexandra Waldschmidt-Battenberg, Kulturwissenschaftlerin und Mutter, führte Cornelia Lütge, die es für sich wie folgt einsortiert:
- Mein Bild von dem, was eine „ideale Kindheit“ bieten sollte, bleibt mir. Ich begleite meine Kids dabei konstruktiver, wenn ich es zurechtrücke, dem Neuen anpasse!
- Die Verführung der Neuen Medien ist für mich eben so mächtig, wie für meine Töchter. Mein Nutzerverhalten ist ihnen Vorbild (an die Nase gepackt!).
- Die Digitalisierung ist längst in unserer Hosentasche gelandet. Also mache ich das Beste draus. Und sorge für sowohl-als-auch (digitale UND analoge)-Erziehung statt mit Kontrolle an Idealen festzuhalten und damit Beziehung zu stören.
So finde ich das ohfamoos! Wie siehst du das?
Mehr dazu könnt Ihr in Alexandras Beitrag „Mediennutzung als Kulturtechnik“ lesen.
Und hier noch ein Literatur-Tipp: „In “Netzgemüse” wehren sich Tanja und Johnny Haeusler gegen Netz-Panikmache und machen Mut zur “Aufzucht und Pflege der Generation Internet”.
Text: Cornelia Lütge
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