ohfamoose Begegnungen!
Das Thema Flüchtlinge und die Politik der Bundesrepublik Deutschland lassen mich einfach nicht los. Gerade habe ich das Buch Ohrfeige von Abbas Khider gelesen und nun hege ich ehrliche Zweifel, was unsere Politik denn überhaupt bewirkt. Und vor Ort in einer Flüchtlingsunterkunft war ich nun auch endlich einmal…
Dies ist keine Rezension, aber zum Verständnis: Das Buch beschreibt den Werdegang eines irakischen Flüchtlings in Deutschland. Seine Flucht mit Schleppern, sein monatelanger Aufenthalt in einer Erstunterkunft, seine Langeweile, die Verzweiflung – und das alles kann Herr Khider wohl gut nachempfinden, denn er war selbst Flüchtling. Nach seiner Freilassung aus irakischer Haft, floh er 1996 und landete im Jahr 2000 in Deutschland. Und schreibt diesen Roman, der mich bestürzt; beschreibt er doch die Langeweile, diesen Frust, der in Flüchtlingsunterkünften entsteht.
Und in der Realität? Ich war vor Ort.
Nun, von der Realität in einer Flüchtlingsunterkunft durfte ich mich vor kurzem selbst überzeugen, denn meine Freundin Simone in Lich hat jetzt neue Nachbarn.
Flüchtlinge aus Syrien und dem Irak, erklärt sie mir am Telefon und bittet mich, mit ihr zu gehen. Man wolle sich vorstellen und die neuen Nachbarn willkommen heißen – und ich könne doch Arabisch.
Ich willige ein, gebe Ihr noch ein paar Tipps, was die Willkommensgeschenke betrifft, also keine Süßigkeiten, die Alkohol beinhalten und nichts mit Schweinefleisch, und wir verabreden uns für den Freitagnachmittag, nach dem Al Asr Gebet. Ich habe auf meinem Handy eine App, da kann ich die Gebetszeiten für jede Stadt der Welt abrufen.
Das Wetter ist trübe und regnerisch, sodass die Blockhütten auf dem grauen Schotter noch grauer wirken als sie eigentlich sind. Der Weg ist noch nicht geteert, und es wirkt alles verlassen und ein bisschen elend. Aber wir verzagen nicht, wir sind auf einer Mission, die glücken soll.
Süßigkeiten für die Kinder, natürlich alles Halal
Die Blockhütte hat eine Glastür an der schmalen Seite und wir steuern auf sie zu. Ich klopfe an und spähe hinein. Niemand.
Daraufhin öffne ich die Tür und rufe laut: „Assalamu aleikum“, was auf Deutsch ‚Friede sei mit Euch‘ heißt. Und schon gehen zwei Türen auf.
Links öffnet eine Frau mit Hijab (dem Kopftuch, das die Haare komplett verdeckt) zaghaft die Tür. Das Kopftuch verrät mir, dass sie religiös ist. Zwei kleine Jungs zu ihren Füßen schauen uns neugierig an.
Die Frau erwidert meine Begrüßung freundlich mit „Aleikum Assalaam“, rechts stehen zwei Männer in einer Tür und blicken uns verwundert an.
Ich beginne auf Arabisch zu erklären, dass die zwei Frauen, die mit mir gekommen sind, in der Nachbarschaft wohnen und sie begrüßen möchten. Dazu haben sie Süßigkeiten für die Kinder mitgebracht, natürlich alles Halal (im Islam erlaubt), was ein Lächeln auf die Gesichter zaubert. Die beiden kleinen Buben schauen ganz spitzbübig auf die Körbchen und ich frage nach ihren Namen. „Ahmed und Hammoudi“, geben die beiden bereitwillig Auskunft. „Zwei und vier Jahre alt“, erzählt mir die Mutter. Nun melden sich auch die Herren zu Wort und begrüßen uns. Ich frage nach, woher sie kommen, wie lange sie denn schon unterwegs sind und wie viele Menschen in dem Haus wohnen.
Wir laden sie ein zu einem Nachmittagskaffee
„Wir kommen aus Syrien und sind seit fünf Monaten unterwegs“, erklärt uns einer der Männer stolz in gebrochenem Deutsch. Sie seien zu zwölft und ob ich denn eine Ärztin kenne, denn seine Frau sei hochschwanger und er sorge sich um sie, erzählt mir der andere auf Arabisch.
Ich stutze ein wenig, denn ich bin nicht die verantwortliche Sozialarbeiterin, aber beruhige ihn, dass die Stadt ein großes Krankenhaus habe, und er sich um die ärztliche Versorgung in der Stadt keine Gedanken machen muss.
Man lädt uns ein, doch herein zukommen, aber wir sehen keinen Gemeinschaftsraum und lehnen dankend ab, sprechen dafür eine Einladung für den kommenden Samstag aus. Simone und die Nachbarn wollen einen Nachmittagskaffee speziell für die Flüchtlinge veranstalten, um sie besser kennen zu lernen. Stühle, Tische und natürlich Kuchen werden sie mitbringen.
Bei der Verabschiedung stehen mir die Tränen in den Augen
Wir verabschieden uns mit einem ‚Ma’a Salama‘ und mir stehen die Tränen in den Augen. Die Freude dieser Menschen, dass jemand auf sie zugegangen ist und sie angesprochen hat, ist überdeutlich zu sehen.
Frauen wie Simone und ihre Freundin haben meinen vollen Respekt. Wir können nicht auf die Politik warten, wir müssen Dinge selbst in die Hand nehmen.
Der Sozialarbeiter der Firma EU-Homecare ist nur zwei Stunden pro Woche Vorort. Es gibt kein Internet, kein Fernsehen. Diese Menschen sind sich ansonsten allein überlassen.
Simone schickt mir danach die Bilder von dem gelungenen Nachmittagskaffee und eine Woche später höre ich, dass die neuen Nachbarn ihnen leckeres syrisches Essen vorbei gebracht haben, um sich für den Nachmittagskaffee zu bedanken.
So ohfamoos geht es, wenn Menschen ein wenig Mut haben und sich engagieren!
Fotos: Simone Schmidt