Karriere – und was danach alles kommt!
Wie muss es sein, wenn eine beachtliche Karriere zu Ende geht? Zumal, wenn man seinen Traumberuf hatte? Wie sehr fehlt dann die Anerkennung, der Hype? Lutz Lenschow hat als Kreativer beim Axel Springer-Verlag jahrzehntelang mächtig mitgemischt. Entlang seines Berufsweges zeigt sich ein Stück deutsche Zeitgeschichte. Und am Ende, dass nichts fehlt, wenn man selbst für Fülle sorgt.
Die Presse-Szene war wie ein Magnet für den jungen Schriftsetzer. Bei den »Lübecker Nachrichten« fand er seine Berufung. Reportagen, Interviews oder Kommentare wurden damals zunächst in Blei gegossen, dann zu Zeitungsseiten zusammengefügt. Der Journalismus hatte ihn schnell gepackt: „So etwas wollte ich auch machen!“ Von da an begann eine Bilderbuchkarriere beim dereinst größten, deutschen Verlagshaus Axel Springer. Die kamerabehängten Fotografen, das bunte Treiben, faszinierten ihn.
„Reporter, Fotografen, Grafiker… – „hier wollte ich mitmischen! Ich wurde Layouter bei ‚BILD’“.
Fünf Millionen Zeitungen täglich, acht Druckorte. Es gab noch keine Computer, Fotos wurden gefunkt, Texte per Fernschreiber übermittelt und kalkuliert mit der Rechenscheibe! Schon damals eine schnelllebige Zeit!
Plötzlich explodierten Bomben
Er weiß es noch genau. „Natürlich! Es war kurz vor Pfingsten, der 19. Mai 1972. Die Feiertagsausgaben wurden vorbereitet, als plötzlich die erste von 3 Rohrbomben ein Stockwerk unter mir explodierte.“ 15 Kollegen wurden verletzt, ein riesiges Loch in die Fassade gesprengt. Wie kann man so einen Schock überwinden? Vier Monate nach dem Bombenanschlag war er im Pressezentrum der olympischen Spiele in München. Das furchtbare Attentat auf die israelische Mannschaft kostete 17 Menschenleben. Auch hier, erinnert er sich, war er mittendrin.
„Die fröhlich-heiteren Spiele der ersten Tage waren Geschichte, eine unwirklich entsetzte, gelähmte Stimmung legte sich wie Mehltau über das olympische Dorf.“
Der Terror der Roten Armee-Fraktion paralysierte die Republik. Und für jeden Einzelnen ging das Leben scheinbar normal weiter.
Wie man 150 Millionen DM versenkt
Ende 1973 sorgte die Ölpreiskrise zu Fahrverboten an vier Sonntagen. Lutz Lenschow ergatterte eine Sondergenehmigung und fuhr stolz mit seinem kleinen weinroten R4 von Lübeck aus täglich in die Hamburger Redaktion – sonntags war die A1 geisterhaft leer.
Noch während der türkischen Militärdiktatur folgt er 1982 einem Ruf nach Istanbul, um eine neue Tageszeitung zu gestalten. Noch heute freut er sich: „Wie ein alter Freund wurde ich empfangen!“ Er verlebte ein wunderbares Vierteljahr. Die Herzlichkeit und die legendäre Gastfreundschaft der Türken begeistern ihn. Unvergessen der abendliche Heimweg durch den arabischen Gewürzbasar an der Galatabrücke und der morgendliche Weg zurück in den Verlag, vorbei an der kleinen Bäckerei.
„Jeden Morgen empfahl der liebenswürdige Bäcker mir eine andere Köstlichkeit. Was für eine Dienstreise, ein einziges Abenteuer, auch kulinarisch.“
Kaum zurück ging es nach Venezuela, um für ein neues Reisemagazin recherchieren. Wenig später, zur Deutschen Einheit, realisierte er mit dem damaligen Chefredakteur Claus Jacobi zwei Sondermagazine. Es folgte eine Zeit in Ost-Berlin, um einen Verlag zu integrierten. Dann Madrid. Hier sollte eine Boulevard-Zeitung mit Millionen-Auflage etabliert werden. Die spanische BILD womöglich. Das ging krachend daneben, kostete den Verlag 150 Millionen Mark. Damit hatte Lenschow als Kreativer im Team zwar nichts zu tun. Das Management hatte den spanischen Pressemarkt jedoch völlig falsch eingeschätzt.
Als Lutz Lenschow 1999 daran mitwirkte, einer der größten, deutschen Tageszeitungen ein völlig neues Layout zu verpassen, war der Lohn beachtlich: »Europe’s Best Designed Newspaper 1999«. Zum Artdirector aufgestiegen, entwickelte er anschließend ein großes Gesundheits-Magazin.
Jahrzehnte im Kreise der Presse-Giganten. Und dann Ruhestand?
Scheinbar plötzlich kamen die ersten Gedanken über den Ruhestand. Wie konnten die ereignisreichen Jahre so schnell vergehen?!
„Wird mir die Hektik der Presseszene fehlen? Die interessanten Menschen? Das Herumreisen?“
Eines Tages formulierte seine Frau, eine Reiterin, diesen Wunsch, der das Leben der beiden völlig verändern sollte: »Wenn ich bei der Küchenarbeit aus dem Fenster blicke, möchte ich meine Pferde sehen können«. So kamen die Lenschows zu einem denkmalgeschützten Reetdach-Hof von 1792 mit über drei Hektar Weide. Sie waren beide beruflich außerordentlich engagiert. Doch das, was das Leben aufregend, angenehm und lebenswert machte, veränderte sich. Leise. Unaufhaltsam. Nach vier Jahrzehnten Verlagsleben gab Lutz Lenschow seinen Hausausweis ab:
„Aus, vorbei, ich gehörte nicht mehr dazu!.“
Und nun? Kann er die scheinbar grenzenlose Freizeit sinnvoll ausfüllen? Staffelei, Farben und Pinsel würde er wieder hervorholen, fotografieren, mit Freunden halb Europa bereisen, und lesen, lesen, lesen. Was für ein Privileg, dafür Zeit zu haben. Zunächst jedoch lernte er kochen, denn seine Frau hatte noch ihre Apotheke. Die Instandhaltung von Haus, Stall, Backhaus und 31.000 qm Land incl. Reitplatz mit Flutlicht hielt ihn auf Trapp.
Heute macht er eine Dorfzeitschrift.
Irgendwann wurde es doch zu viel. Inzwischen leben die beiden in einem Haus neben einer Reitanlage. Sie reisten mit Freunden nach Palästina, um einem palästinensischen Weinbauern gegen radikale israelischen Siedler beizustehen und betreuen als Paten traumatisierte syrische Kriegsflüchtlinge.
Ab und zu, zwinkert Lutz Lenschow, passiere ihnen auch mal ein gepflegtes Nichtstun: Im Garten liegen und in den vorüberziehenden Wolken Bilder entdecken:
„Wir führen ein erfülltes, ausgefülltes und außerordentlich befriedigendes Nach-Berufsleben. Meine Frau musiziert und engagiert sich im Lübecker Hospiz. Und ich? Ich kümmere mich um unsere Dorfzeitung! Uns fehlt wenig, genaugenommen: nichts.“
Könnte es ein ohfamoos’eres Resümee am Ende einer beachtlichen Karriere geben?
Text: Cornelia Lütge
Fotos: Lutz Lenschow und Tanja Deuss
Sehr beneidenswert!
Die Artikel und Blogs sind voll mit dem Thema Finanzielle Freiheit & Vorruhestand.
Schön, wenn man finanziell abgesichert ist, aber ein Leben ohne Aufgaben und sinnvollen/wertbringenden Tätigkeiten gemeinsam mit anderen ist wohl doch durch nichts zu ersetzen.
Lieber Felix Krausche,
ein verdienter Ruhestand nach einer langen, erfüllenden Karriere heißt eben keineswegs, dass die Tage mit viel „Nichtstun“ verbracht werden. Ja, Menschen wollen sich sinnvoll betätigen, auch nach dem Broterwerb. Es braucht wohl die eigene Lust und Neugierde, weiterhin aktiv zu sein. Keine finanziellen Sorgen zu haben macht es natürlich leichter.