Sind Frauke Petry und Bernd Höcke „echte Weicheier“?
Ein Buch, das kürzlich zur Leipziger Buchmesse erschien, hat uns besonders gereizt: 25 Autoren setzen sich darin mit Angela Merkels ,Wir schaffen das’ auseinander. Da ich einen der beiden Herausgeber, den Journalisten Armin Fuhrer, noch aus seiner Zeit bei ‚Welt’ und ‚Focus’ kenne, telefoniere ich mit ihm. Spreche mit ihm z.B. darüber, dass der frühere Erste Bürgermeister von Hamburg, Ole von Beust, deutliche Worte findet. Worte, „die man so leider erheblich zu selten von aktuell handelnden Politikern hört“, wie Armin einräumt.
Als Armin Fuhrer im Spätsommer letzten Jahres auf seiner Berliner Dachterrasse die Bilder vom Münchner Hauptbahnhof mit den ankommenden Flüchtlingen sieht, ist ihm – und seinem Mitherausgeber Christian Nawrocki – sofort klar: „Diese Euphorie wird bald einer Welle der Kritik weichen.“ Mental die Geburtsstunde ihres neuen Buches: „Schaffen wir das? – Ein Plädoyer für mehr Offenheit in der Flüchtlingspolitik“.
Interview mit Armin Fuhrer über „Schaffen wir das?“
Welcher Autor hat Dich besonders zum Nachdenken gebracht?
Armin Fuhrer: Alle Beiträge sind so unterschiedlich, dass man sie nicht wirklich vergleichen kann. Sehr zum Nachdenken hat mich der Beitrag von Gabrielle Scharnitzky gebracht. Die Schauspielerin lebt teils in Berlin, teils in London und beschreibt, wie sie Multikulti in London als völlig normal, ja belebend, empfindet – und zurück in Berlin manchmal tief im Inneren ein mulmiges Gefühl bekommt, wenn sie in eine Gegend der Stadt mit vielen Migranten kommt. Warum ist das so? Ich empfinde mich als tolerant und liberal. Aber ich musste mir selbst eingestehen, dass es mir manchmal genauso geht.
Mich persönlich hat Marina Weisband sehr angesprochen. Es sei „vollkommen in Ordnung, sich (…) überfordert zu fühlen“, schreibt die junge Piratenpolitikerin und Publizistin. Sie sieht keine Flüchtlings- sondern eine Wertekrise. Und fordert auf, für unsere liberalen, demokratischen Werte zu kämpfen… Ja, der Begriff der Wertekrise trifft die Problematik gut. Wir haben ja in einem reichen Land wie Deutschland nicht wirklich das Problem, dass wir den Menschen, die bei uns Hilfe suchen, nicht helfen können. Die Frage ist, ob wir das wollen. Oder eben anders formuliert: Entspricht es unseren Werten, diesen Flüchtlingen aus einem anderen Kulturkreis zu helfen? Wollen wir die damit verbundenen Probleme in Kauf nehmen? Nun müssen wir leider feststellen, dass eine gewisse Zahl von Menschen in Deutschland das nicht will. Die offenbar andere Werte haben als ich oder die Autoren unseres Buches.
Was folgt daraus für Dich? Wir müssen uns als Gesamtgesellschaft unserer grundsätzlichen Werte bewusst werden. Das sind wir ganz offensichtlich noch nicht, sondern Werte wie Humanität und Hilfe für Schwache werden sogar von extrem rückwärtsgewandten Kreisen wie der AfD offen in Frage gestellt.
Hat das Buchprojekt etwas in Dir verändert oder gestärkt? Ich war von Anfang an der Ansicht, dass Deutschland helfen muss. Aber natürlich kommt man angesichts der großen Menge an Flüchtlingen ins Grübeln. Das ist normal. Grundsätzlich wurde ich durch die Arbeit mit den Autoren sehr bestärkt.
Worin? Durch die Vielfalt der Denkansätze kam ich noch stärker zum Nachdenken – immer mit dem Ergebnis: Wir schaffen das. Das ist ja auch die Grundaussage aller Autoren, von denen aber nicht ein einziger die Lage in irgendeiner Weise naiv beschönigt.
Du schreibst im Vorwort: „Angela Merkels Zitat „Wir schaffen das“ wird in die Geschichte eingehen wie John F. Kennedys „Ich bin ein Berliner“ (…)“ und die Art ihrer offiziellen Regierungspolitik „löste bei den einen Bewunderung aus, bei den anderen Empörung“. Und bei Dir? Auf jeden Fall zunächst Bewunderung für Angela Merkel. Ehrlich gesagt, war sie mir bis dahin ziemlich egal und sicher fand ich sie nie inspirierend. Selten hatte sie in meinen Augen mal die Richtung angegeben. Als sie sich in der Stunde der Not vorbehaltlos auf die Seite der Flüchtlinge stellte, da muss ich zugeben, hab ich gedacht: Ja, das ist mein Deutschland, so wie ich es haben möchte: humanitär, hilfsbereit, großzügig, liberal.
Und dann? Hat sie in den folgenden Monaten einen Fehler gemacht: Sie hat die Menschen hierzulande nicht wirklich mitgenommen bei ihrer Politik.
Auch deshalb Euer Buch? Bei der Buchvorstellung in Leipzig kam es jedenfalls zu einer Diskussion nicht nur mit den anwesenden Autoren und Herausgebern, sondern auch im Publikum. Das ist genau das, was wir uns erhoffen: dass die Leser darüber diskutieren!
Viele Menschen streiten sehr über das Thema Flüchtlinge. Ole von Beust beschreibt im Buch, wie er sich mit einem guten Freund („materiell völlig unabhängig“, „gut situiert lebend“) darüber „völlig entzweite“. Und er glaubt: „Es ist die Freude am Unmoralischen, an der Gefolgschaft derjenigen, die plötzlich das Dunkle rauslassen können. Etwas, das über Jahrzehnte tabuisiert wurde.“ Wie siehst Du das? Ich glaube, da liegt er völlig richtig. Es gab in Deutschland seit den 80er Jahren einen immer stärker werdenden linksliberal-grünen Mainstream, der jeden, der anders dachte, als rechtsextrem brandmarkte. Das hat mich oftmals zur Weißglut getrieben, selbst wenn es um Meinungen ging, die ich teilen konnte. Viele Menschen fühlten sich dadurch einfach unterdrückt.
Und jetzt wagen sich diese endlich offen ihre wirkliche Meinung zu sagen? Genau. Ich glaube, all diese erschreckenden Dinge, die sich heute vor allem im Internet oder auf Pegida-Demos offenbaren, waren schon immer virulent. Aber erst jetzt kommen sie zum Vorschein. Für die Demokratie muss das nicht schlecht sein, nun wird eben mit offenem Visier gekämpft.
Keine Angst, dass da was ausufert? Schlimm wird es erst, wenn Demokraten klein beigeben, den Rechten nach dem Maul reden oder Verständnis ausdrücken. Horst Seehofer ist doch der beste Wahlkämpfer der AfD mit seinen Sprüchen. Und auch bei Sahra Wagenknecht können sich die Antidemokraten bedanken.
Was hältst Du von der Zuversicht des DRK-Präsidenten Rudolf Seiters, der glaubt, die Zivilgesellschaft in Deutschland gehe gestärkt aus der Flüchtlingskrise hervor? In der Tat sehr optimistisch. Ich war überrascht. So etwas ausgerechnet von einem Mann wie dem früheren CDU-Bundesinnenminister zu lesen, macht Mut. Wenn ein Mensch, der ja eher auf der konservativen Seite zu verorten ist, so etwas sagt, heißt das letztlich:
Lasst uns die Ärmel hochkrempeln, statt zu meckern und zu jammern. Dagegen sind Frauke Petry oder Bernd Höcke doch echte Weicheier. Sie heulen, jammern und schimpfen – und sonst? Nichts!
Armin Fuhrer,1963 geboren, arbeitete nach seinem Studium (Geschichte, Politik, Öffentliches Recht) und dem Besuch der Axel-Springer-Journalistenschule von 1994 bis 2000 als Politikredakteur und Parlamentskorrespondent bei der Tageszeitung »Die Welt«. Danach war er politischer Hauptstadt-Korrespondent für den »Focus« in Berlin. Mehr über ihn.
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Armins Reportage über die Flüchtlingshochburg Saida im Libanon, die sich im beschriebenen Buch findet. Dort war er im November 2015 im Rahmen einer privat organisierten Reise: „Es relativiert sich alles, wenn man einmal dort war“, sagt Fuhrer.
Auch die Hamburger Morgenpost fand den Beitrag von Ole von Beust so gut, dass sie darüber berichtet.
Hier könnt Ihr das Buch bestellen!
„Schaffen wir das? – Ein Plädoyer für mehr Offenheit in der Flüchtlingspolitik“, Herausgeber Armin Fuhrer und Christian Nawrocki, Lau-Verlag, 220 Seiten, 16,90 Euro, ISBN 978-3-95768-179-9
Fotos: Lau-Verlag, privat, Rolf Gerhards