ZeitMann: Gediegene Langeweile zwischen Rolex und Prada
„Ich lese den ‚Playboy‘ nur wegen der guten Geschichten“ – inzwischen ein geflügeltes Wort. „Na, wenn das so ist, brauchen wir für unser Männermagazin ja keine Nacktfotos einzuplanen“, wird sich der Verlag der bekannten deutschen Wochenzeitschrift gedacht haben, als er das neue ZEITmagazin MANN konzipierte. Und er versucht es mal ohne. Aber Begeisterung will da nicht aufkommen, meint Thomas Rietig, den wir um seine Meinung gefragt haben.
Bis Mann zum ersten redaktionellen Artikel gelangt, der gelesen werden will, muss er 16 Seiten Werbung überblättern. Glashütte, Prada, Ermenegildo Zegna, Burberry (auch für Frauen), Moncler (nur für Frauen) und andere. Namedropping vom Feinsten, hervorragend fotografiert. Besagter erster Artikel ist dann das Editorial, gestaltet in gefühlt 18 Punkt großen Buchstaben. Es handelt nur mit zwei Sätzen davon, wen die neue Zeitschrift erreichen will: Männer, die im Leben Entscheidungen getroffen haben „um ein glücklicherer Mensch zu werden. Und zwar nur für sich, unabhängig von Familie und Partnern, von Kindern und Freunden, Kollegen und Chefs“. Oh Mann! Die Nummer „Ich ziehe jetzt mein Ding durch!“ klingt eher nach Hornbach-Werbung. Ob mich die ohfamoos-Redaktion deshalb als Leser vorgeschickt hat?
Ansonsten geht es im Editorial darum, wie Chefredakteur Christoph Amend beim Urlaub in Portugal von dem 104 Jahre alten Ex-Banker und Ex-Pferdezüchter Baron Bruemmer gehört hat, der sich erst mit 96 entschlossen hat, ein Weingut zu bewirtschaften. Die Geschichte dazu – nicht vom Chefredakteur – findet sich weiter hinten im Blatt, und sie ist tatsächlich lesenswert.
Selbst die Schrift: für Ältere geeignet
Beim Editorial dürfte es keine Beschwerden älterer Leser über zu kleine Schrift geben, ebensowenig beim Inhaltsverzeichnis und beim Impressum, das nach weiteren Anzeigen die Seite 24 komplett füllt..
Auf Seite 26 schreibt Bernd Ulrich, stellvertretender Chefredakteur und Leiter des Politikressorts der „Zeit“, über „Politik und Männlichkeit“. Ulrich fragt, ob das, was in der Regel als
Politik bezeichnet wird, männlich ist. Und wenn ja, ob es vielleicht gut wäre, mal über weibliche Politik nachzudenken. Er erwähnt in dem ganzen Artikel nur einen einzigen Politiker*innen-Namen: Donald Trump. Da fragt Mann sich nach der Rechtfertigung des Satzes im Teaser: „…seit immer mehr Frauen an die Macht gelangen…“, und denkt an Margaret Thatcher, Indira Gandhi, Golda Meir, an die Königinnen Elizabeth I., Maria Theresia und Viktoria und viele andere, die mal mehr, mal weniger blutige Weltpolitik gemacht haben.
Und natürlich: Die Frau im roten Porsche Cabrio
Als Leser soll Mann vermutlich Spaß daran haben, wenn eine Frau am Ende der Geschichte „Ich durfte mal ein rotes Porsche 911 Cabrio fahren“ gesteht, dass sie sich beim Einparken mit dem 200.000-Euro-Geschoss in einen Kleinwagen zurückwünscht. Preisbewusstere Leser fragen sich, warum die Zuffenhausener Sportwagenbauer für das viele Geld keinen vollautomatischen Einpark-Assistenten mitliefern.
Ob es Christoph Waltz gerecht wird, dass die Fotos, die seine Personality-Story garnieren, die Hersteller der jeweiligen Klamotten nennen, soll er selbst entscheiden. Die Geschichte beschreibt einen Oscar-Preisträger, dem zuzutrauen wäre, dass er so etwas mit einer wegwerfenden Handbewegung abtut.
Auf zur Bar in Singapur
Am Ende stehen „Listen der Saison“. Es geht dabei unter anderem um „Cafés, in denen es um sieben Uhr morgens guten Kaffee gibt“, um „die Apps der Stunde“, oder um „Bars, in denen man auch gut essen kann“. Es empfiehlt Charles Schumann, Inhaber der Schumann’s Bar in München, je eine in Barcelona, Singapur, Dubai und New York. Da müsste Mann auch mal wieder hin. Auf der letzten Seite die unvermeidliche Rolex-Werbung.
Alles in allem: Eine „Brigitte“ für gesetzte Männer, die ihre gesellschaftliche Stellung in ihren Accessoires ständig zeigen müssen.
Zielgruppe sind ganz offensichtlich vermögende Mitglieder des angeblich starken Geschlechts. Wer dieses Heft mit Gewinn liest, der hat wohl schon Karriere gemacht oder reichlich geerbt. Wie eben Baron Bruemmer mit seinen stolzen 104 Jahren.
Wo ist der Hauch von Abenteuer?
Doch scheint sich das Heft ohnehin in erster Linie weniger an die Zielgruppe selbst, sondern an noch nicht akquirierte Anzeigenkunden zu wenden. Es sagt auf jeder Seite:
Unsere Leser haben viel Geld, sind konservativ und wagen nichts. Aber sie zahlen für teure Marken.
Für mich hat das Heft nichts Aufregendes, nichts Exzentrisches, schon gar nichts Disruptives. Experimentierfreude allein auf der Impressum-Seite ist zu wenig. Sonst kein Hauch von Abenteuer, weder im Layout, noch bei Text oder Fotos. Ach ja, da dann doch zwei Aktfotos, beide dokumentarisch Schwarzweiß: Das eine von den Geschwistern Green, das andere von Rainer Langhans. Ansonsten ruhige, gediegene Herrenclub-Atmosphäre. Mann wartet auf Phileas Fogg, der sie aufmischt. Er kommt aber nicht. Er liest wahrscheinlich ohfamoos.
Thomas Rietig ist Journalist in Berlin. Zunächst arbeitete er als Lokalredakteur in Frankfurt am Main, dann in Bonn und Berlin fast 30 Jahre als Korrespondent, Reporter, Hauptstadtbüroleiter und stellvertretender Chefredakteur für den Deutschen Dienst der Nachrichtenagenturen Associated Press und der dapd. Seit die 2012 pleite ging, ist er freier Journalist und Autor. Eines seiner Spezialgebiete ist Verkehrspolitik.
Fotos:Pixabay
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