Sexuelle Übergriffe im Krankenzimmer?!
Menschen, deren Berufung es ist, andere Menschen zu pflegen, sind hohen Belastungen ausgesetzt. Körperlicher, aber auch psychischer Natur. Wir sprechen mit Gabriela Koslowski, die über eine ganz andere Herausforderung berichtet: Sexuelle Übergriffe im Krankenzimmer. Die nötige Distanz zu ihrem Job zu wahren, fällt ihr bei diesem Thema nicht leicht.
ohfamoos: Gabriela, Du bist seit 30 Jahren im Gesundheitswesen Krankenhaus, Altenpflege und Hospiz tätig. Ein psychosoziales Thema, worüber niemand spricht, ist der sexuelle Übergriff in der Pflege.
Gabriela: Was sexuelle Übergriffe sind, wurde mir schon als 16 jähriger Teenie bei meinem ersten Diskobesuch klar, als plötzlich eine männliche Hand auf meinem Allerwertesten lag.
Aber was sind sexuelle Übergriffe in der Pflege?
Das konnte ich mir als 18 jährige damals nicht vorstellen, als ich in einer Klinik mitten im Ruhrgebiet meine Ausbildung zur Krankenschwester machte. Schließlich gab es hier nur Kranke, Verletzte und hilflose Menschen, die Unterstützung benötigten.
Menschen über 50 Jahre alt, waren in meinem Erleben geschlechtslose Wesen, Neutren, fern von sexuellen Gelüsten und Wünschen.
Und dann landete ich als frisch examinierte Krankenschwester auf einer internistischen Männerstation (ja so etwas gab es 1986 noch, Männer und Frauen strikt getrennt). Die 12 Jahre, die ich dort gearbeitet habe, waren sehr spannend. Jeden Tag Sprüche, Blicke, Gesten und Berührungen, die ich oft nicht einsortieren konnte.
Zum Beispiel?
„Hasi, kannste mir mal ein wenig den Rücken buckeln, mit Deinen zarten Fingerchen darfste meinen Rücken ruhig mal verwöhnen?“ So was hat mich total irritiert. Darauf hatte mich in meiner Ausbildung niemand vorbereitet und es wurde auch nicht im Unterricht behandelt, was mich im Alltag erwarten könnte.
Und wie sah dann der Alltag aus?
Meine männlichen Patienten leckten sich morgens, wenn ich den Raum betrat, die Lippen. Mein erster Gedanke: Die sind dehydriert, die Armen, haben die ganze Nacht nichts getrunken! Die Männer benötigen dringend etwas Flüssigkeit.
Im Traum wäre mir nicht eingefallen, dass Sie andere Bedürfnisse hatten, schließlich waren die Männer ja krank und ich mit 21 Jahren, als frisch examinierte Krankenschwester, ein wenig naiv.
Stellt man sich da selbst in Frage?
Ja, genau! Ich fragte ich: Liegt es an mir, meinem Aussehen, meiner Einstellung oder meinem Verhalten? Gebe ich meinem Gegenüber Signale, die vielleicht falsch verstanden wurden?
Hört man auf dem „falschen Ohr?“
Als ich im Wohnheim meine Kolleginnen fragte ob Sie so etwas auch erlebt hatten, waren einige schweigsam und andere berichteten von ähnlichen Geschichten. Wir überlegten, ob wir wohl eine „ Berührungs- oder Gefahrenzulage“ beantragen sollten?
Und dann kam die Idee, Pflegepersonal anders zu coachen?
Als Pflegepädagogin und als Coach kam immer wieder die Frage bei Schülerinnen und Seminarteilnehmerinnen auf, wie gehe ich mit Grenzsituationen um und es war eine große Ratlosigkeit zu spüren. Aus diesem Grund habe ich es vor Jahren als Seminarthema aufgegriffen und 15 Jahre im Unterricht mit Schülern und Schülerinnen behandelt.
Zuerst recherchierte ich, was man überhaupt unter sexueller Belästigung versteht. Und fand verschiedene Aussagen, die ich hier einmal zusammenfasse:
Als sexuelle Belästigung gilt, was gegen den Willen des Betroffenen geschieht, wie jemand das Thema Sexualität empfindet. Jeder Mensch empfindet Grenzverletzungen auf ganz eigene Weise, es fließen gesellschaftliche Werte, familiäre Prägungen und persönlichen Erfahrungen mit hinein. Es fängt an beim Anstarren über unnötige Körperkontakte, unerwünschte Komplimente, Aufforderungen zu sexuellen Handlungen.
Wie kann man eigene individuelle Grenzen erkennen?
Ziemlich schnell habe ich damals verstanden: Es hat eigentlich immer mit meinem eigenen Erleben und meinem Gefühl zu tun, wo meine eigene, individuelle Grenze ist. Und die war relevant und sonst gar nichts! Ich beschloss, einige Aussagen mit Humor zu nehmen, aber auch, auf meine Worte zu achten. Wie genau grenze ich mich ab?
Die Arbeit in der Pflege und am Menschen ist ein Berührungsberuf. Was rätst Du anderen Pflegekräften im Umgang mit sexueller Belästigung?
Die Gratwanderung ist schwierig. Pflegekräfte sind immer wieder aufs Neue gefordert, sich mit dem Patienten und seinem Krankheitsbild auseinanderzusetzen. Unter anderem auch mit dem Körper des Patienten. Auf der einen Seite sollen Pflegekräfte Nähe und Emotionalität zulassen, um eine vertrauensvolle Beziehung zum Patienten aufzubauen, auf der anderen Seite ist aber wiederum Distanz gefragt, um die Privatsphäre des Patienten nicht zu verletzen.
Durch Routineabläufe werden hier schnell auf beiden Seiten Grenzen überschritten, was zu Verunsicherung führt.
Jedoch muss jeder für sich entscheiden, wo die eigene, individuelle Grenze ist und wann ich humorvoll kontern darf!!
Gabriela Koslowski war 12 Jahre in der praktischen Pflege tätig, 15 Jahre als Pflegepädagogin im Unterricht eingebunden und ist inzwischen systemischer, psychologischer Coach seit 8 Jahren im eigenen Unternehmen „Lebensspur.org“ mit 3 Mitarbeitern beschäftigt.
Fotos: privat und pixaba
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