Weg mit dem Handy!
Das ewige Online-Sein macht mich narrisch. Doch wo verläuft die Grenze zwischen zeitgemäßem Informations- und Kommunikationsverhalten und Online-Sucht? Und wie viele sind bereits immer am Handy? Wenn ich mich bewusst danach umschaue: gefühlt jede/r zweite. Ob in der Bahn, auf dem Spielplatz, im Restaurant. Überall wird gegoogelt, es piepst, rauscht und vibriert. Noch schnell diese Mail schreiben, bevor die Stewardess dich erschlägt. Und eins tun Menschen weniger: Miteinander sprechen. Und sich in die Augen schauen.
Der Trend beunruhigt mich wirklich sehr, deshalb muss ich darüber schreiben! Zudem las ich vor kurzem diese Zahl des Tages: 40 % der Millennials sollen laut einer Studie der Bank of America ihr Handy nutzen, um bei Familientreffen bewusst Gesprächen mit der Verwandtschaft zu entgehen. Ach Du lieber Himmel, denke ich. Noch übler wird mir in dieser Situation:
Ich fahre Bus. Mitten in Frankfurt, Familienwochenende. An einer Haltestelle geht die Tür auf und kurz bevor sie schließt, springt meine Schwester auf: Eine Frau mit Kinderwagen hatte vergeblich versucht, in den Bus hinein zu kommen; jemanden zu finden, der ihr hilft. Vergesst es! Die Frau sah keiner mehr! Alle glotzen in ihr „Ding“. Auch ich hatte sie nicht wahrgenommen – weshalb ich richtig erschreckte. Kann das Virtuelle die reale Umwelt so ausschalten? Und was macht das langfristig mit uns?
Weg mit dem Handy!
Kein Wunder, dass der Spiegel kürzlich titelte: „Legt doch mal das Ding weg!“ Die Kioskbesitzerin bei mir ‚umme Ecke’ war erstaunt: „Da muss ich wohl neue Hefte nachlegen, die waren aber sensationell schnell weg“, meinte sie. Verwunderte mich nicht, denn die Omnipräsenz des Smartphones beschäftigt viele. Spreche ich das Thema an, nicken alle: Eine Seuche, dieses permanente Wegtauchen. „Ich guck das mal schnell nach“, und schwupps ist die Person im Netz und weg aus dem Gespräch.
Es ist gut ein Jahr her, da outete sich eine Freundin: „100-mal drauf schauen am Tag ist bei mir gar nix.“ Und eine andere sagte kürzlich: „Wie oft ich allein auf diese dämliche Wetter-App gucke…“ Deshalb sind die Zahlen, die der Spiegel nennt, auch so glaubhaft:
„Im Schnitt schaltet ein Smartphonebesitzer den Bildschirm seines Handys 88-mal am Tag ein. 35-mal schaut er nur auf die Uhr oder ob eine Nachricht eingegangen ist. 53-mal entsperrt er das Handy, um eine Mail zu schreiben, Apps zu benutzen oder im Internet zu surfen.
Weitere alarmierende Fakten sind laut Sherry Turke, die am Massachusetts Institute of Technology lehrt, die neuen Fähigkeiten von Teenagern: Nachrichten schreiben und gleichzeitig Augenkontakt zum Gegenüber halten – um Aufmerksamkeit vorzugaukeln wo keine sei. Menschen drifteten auf diese Weise auseinander.
Die Pionierin der Medienforschung befürchte gar den Verlust von Empathie, lese ich im Spiegel beunruhigt weiter. Kinder und Teenager, die sich seltener treffen, dafür häufiger texten, verlernten „den anderen zu verstehen, seine Reaktionen, seine Mimik zu deuten und angemessen zu reagieren“.
Zudem: Wer sich permanent mit seinem Smartphone beschäftigt, entwickelt oft den Wunsch, möglichst sofort zu antworten. Als Business-Handy genutzt mag das ja nachvollziehbar sein. Aber privat? Manche nennen es ganz offen Druck. Schaut Euch allein mal die Situation auf Deutschlands Spielplätzen an!
Von zehn Eltern ziehen neun, so meine persönliche Sicht, sofort ihr Ding aus der Tasche, wenn der Kurze buddelt. Schnell mal nachschauen, was passiert ist.
Und alles parallel: Kürzlich sitze ich neben einer Frau, die mitten in einem regen Whats App Chat ist. Da bimmelt in ihrer Handtasche ihr 2. Handy: Sie beantwortet den Anruf, indem sie es sich hinter das Ohr klemmt – und chattet parallel auf dem anderen weiter.
Immer mehr Hektik im Alltag
Ich verändere gerade meine Kommunikation. Das ist schwieriger als ich dachte, denn ich muss Muster durchbrechen. Warum antwortet die Elke nicht mehr sofort, mag manche/r denken. Auch steige ich z.B. sofort aus WhatsApp-Gruppen aus, wenn ich vorab nicht gefragt werde. Ich wehre mich gegen die zunehmende Hektik im Alltag, die auch der steigenden Technisierung, Digitalisierung und Individualisierung geschuldet ist. Menschen werden immer ungeduldiger – auf Kosten der zwischenmenschlichen Kommunikation, die an Achtsamkeit verliert.
Meine Kollegin Melanie, die ja in Sydney lebt und öfter in Asien ist, schreibt:
„Dass Menschen nur noch mit Smartphone zu funktionieren scheinen, sieht man am besten in asiatischen Großstädten. Aber daran hat man sich ja fast schon gewöhnt. Was mir aber langsam gegen die Hutschnur geht, ist das permanente Abgelenktsein: Die Verkäuferin interessiert sich mehr für ihr Handy neben der Kasse als für mich, der Taxifahrer bekommt beim Fahren ständig Text-Nachrichten und selbst Grenzpolizisten bei der Einreise in diverse Länder schielen lieber auf ihr Telefon als auf meinen Pass.“
Ganz ehrlich – das Ohfamoose an der Smartphone’isierung und seinen Folgen kann ich hier und heute nicht recht sehen. Bei allen Vorteilen gefällt mir momentan am besten: Das Ding hat einen Ausknopf. Und den sollten wir für meinen Geschmack öfter nutzen. Also: Weg mit dem Handy.
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Fotos: privat (Dank an U.H.)