Integration geht Hand in Hand
Wenn Dino, dessen korrekter Vorname Vahidin ist, über Hasib spricht, dann hat das etwas Väterliches. „Der ist total fit, der will.“ Dino schaut mich dabei fast euphorisch an. Ob er sich erinnert? Und wie! Denn Hand in Hand haben sie es geschafft. Und tatsächlich teilen Dino und Hasib etwas, was sie enorm verbindet: Die Erfahrung wegzugehen.
Hinzu kommt: Die beiden wissen genau, wie es ist, in einem gänzlich unbekannten Land ganz neu anzufangen. Integration zu schaffen. Dino sagt es mehrfach, während wir an einem seiner kleinen Kaffeetische sitzen:
„Ich weiß genau, was das heißt.“
Denn Dino, heute zweifacher Familienvater und seit 17 Jahren bei der Bäckereikette KAMPS aktiv, musste 1992 ebenfalls ganz neu anfangen, als er in Bosnien mit 23 Jahren seine Heimat verließ. Seit 2011 leitet er die KAMPS-Filiale in Düsseldorf Angermund.
In 29 Tagen von Kabul nach Düsseldorf
Auch Hasib, einen ganzen Kopf kleiner als sein heutiger Chef, musste neu anfangen. Anfang 2016 macht er sich, gerade 15 Jahre alt, auf den Weg. Allein, ganz ohne Familie. In seiner Heimat bleiben alle zurück: Vater, Mutter, sechs Geschwister. 29 Tage dauert seine Reise, die ihn von Kabul nach Düsseldorf bringt.
10 Monate ist das jetzt her. Mittlerweile versteht Hasib so viel Deutsch, dass wir uns gut unterhalten können. Er ist einer von denen, die wir als „unbegleitete Minderjährige“ kennen. Wobei das Wort „kennen“ das Dilemma schon beschreibt: Wir sehen sie auf Fotos in den Zeitungen, in kleinen Gruppen in Bus und Bahn oder eben in einer Backstube wie in Angermund. Wir kennen sie aber nicht – und doch löst gerade diese Gruppe, meist junge Männer, so viel Angst unter uns Deutschen aus.
Minderjährige Flüchtlinge und ihre Bleibeperspektive
Und was passiert mit ihnen? In der Regel, erkundige ich mich, kommen sie in die Obhut des vor Ort zuständigen Jugendamtes. Um eine Bleibeperspektive zu bekommen, gibt es zum einen die Möglichkeit des Asylverfahrens; zum anderen stellen ihnen die Ausländerbehörden unter entsprechenden Voraussetzungen, so heißt es in einem Dokument des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, „in der Regel eine Duldung aus, die in einen längerfristigen Aufenthalt münden kann, wenn sie sich in die Lebensrealität in Deutschland einfügen können und beispielsweise eine Schul- oder Berufsausbildung abschließen.“
Einfügen, integrieren – am besten Hand in Hand
Einfügen, integrieren. Aber wie? Hasib ist einer, der es gut vormacht und die Hilfe anderer dankbar in Anspruch nimmt. Er lebt in einem Haus, das die Graf Recke Stiftung, eine der ältesten diakonischen Einrichtungen Deutschlands, mitten in Düsseldorf angemietet hat. Mit ihm wohnen dort 20 andere junge Männer, in kleinen Wohngemeinschaften, und auch ein Teambüro der Stiftung ist im Haus.
Und er hat Arbeit gefunden – in Dinos Backstube eben. Die liegt ein paar S-Bahn-Stationen entfernt im nördlichsten Stadtviertel der Landeshauptstadt. Direkt zwischen EDEKA und dem Angerkrug, wo sich Angermunder gern auf ein Bierchen oder Gyros, zum Fußball gucken oder zum Kartenspielen treffen. Internationale Küche verspricht die Gaststätte auf ihrer Webseite.
Angermunder Flüchtlingshilfe: sehr fürsorglich
Internationaler geht es in Angermund seit einem Jahr ohnehin zu, seitdem hier Ende 2015 ein Wohndorf für fast 200 Flüchtlinge errichtet wurde. Die Menschen, darunter viele Familien, trafen auf eine gut vorbereitete, von zwei Kirchengemeinden koordinierte Flüchtlingshilfe, die bis heute von Dutzenden ehrenamtlicher Bürger fürsorglich und mit Riesenengagement gestützt wird.
Auch Dino ist von Anfang an dabei – offiziell spielt er in der örtlichen Flüchtlingshilfe keine zentrale Rolle, spricht man ihn aber an, ist fast sicher, dass er mit macht. So ist es auch an einem Tag im Sommer, als die Mutter einer früheren Angestellten mal wieder bei ihm im Café frühstückt und ihn bittet, Hasib ein Praktikum anzubieten. Dino sagt:
„Da habe ich schnell gemerkt, dass der Junge was drauf hat.“
Er kennt die vielfachen Herausforderungen, und vor allem wie es sich anfühlt, in einem fremden Land Fuß zu fassen. „Ich weiß genau, was das heißt.“ Er sagt das erneut und man spürt geradezu, wie er sich erinnert und dass auch Dino viel lernen, einstecken, ackern musste. Bis heute. Aber das ist ein anderes Thema und auch das versichert Dino mehrfach: „Es geht hier nicht um mich, es geht um Hasib!“
Hasib ist offen, fröhlich und engagiert
Bevor ich selbst mit Hasib spreche und ihn als offen und fröhlich kennenlerne, frage ich Dino noch, wie er Hasib sieht. Denn das fragen sich auch einige Gäste, die hier ihre Brötchen einkaufen und plötzlich den kleinen, schwarzhaarigen jungen Mann inmitten des 8köpfigen KAMPS-Team sehen. Wer das wohl ist? Dino beschreibt Hasib als engagierten, willigen und auch sensiblen Menschen:
„Er zieht mit, ordnet sich ein und macht er mal einen Fehler, tut ihm das sehr leid. Wir haben ein herzliches Miteinander.“
Das Team hat sogar beschlossen, ihm das ganze Trinkgeld für die Kaffeekasse zu geben. Man spürt: Eine runde Sache, so kann Integration funktionieren, auch wenn ein Arbeitsvertrag noch aussteht. Hasib ist aber auf gutem Wege dorthin. Momentan absolviert er eine sogenannte „Einstiegsqualifikation“. Schafft er diese, kann das Jahr auf die dreijährige Ausbildungszeit angerechnet werden.
Dann könnte Hasib tatsächlich, wie es auch sein Vater in Kabul war, hier bei uns Bäcker werden. Ein weiter Weg, aber ein guter Anfang.
Text und Fotos: Elke Tonscheidt