Unbekannte, wilde Alpen
Ins Kauner was? Wie soll das Tal heißen? Eigentlich nicht schwer, Kaunertal – und der künftige Bundespräsident Österreichs ist dort sogar aufgewachsen. Vielen ist diese Region in den Tiroler Alpen aber bis heute unbekannt – zu Unrecht, wie ich finde! Vor allem, wenn man entspannen will.
Zweimal waren meine Familie, Freunde und ich nun dort, haben im Kaunertal das neue Jahr begrüßt. Jeweils mit wenig Schnee unten, aber viel oben. Hat dieses Tal doch einen Gletscher aufzuweisen, weshalb ich es nicht glauben wollte, die Region um die Skigebiete Fendels und Feichten nicht zu kennen. Mit 5 Jahren habe ich das Skilaufen gelernt und sogar im Sommer zog es meine Eltern in die Stubaier Alpen zum Sommerski.
Bekannter als das Kaunertal sind die Skigebiete ringsherum: Pitztal, ja das kennt man. Auch im Ötztal, das nicht weit entfernt liegt, trifft man sich: Sölden lässt grüßen. Als Alexander van der Bellen, der künftige Bundespräsident Österreichs, am 1. Januar 2017 aber, genau, ins Kaunertal kommt um eine öffentliche Rede zu halten, wird mir klar, warum diese Region es schwerer hat. Sehr arm sei die Gemeinde lange Zeit gewesen, erinnert van der Bellen, der extra kommt um sich bei seinen Freunden für die Unterstützung im Präsidenten-Wahlkampf zu bedanken. Um so mehr freue man sich heute am Wohlstand, den das jüngste Gletscher-Skigebiet Tirols nun genießt.
Tiefe Einblicke in wilde Naturschönheiten
Wie sieht es vor Ort aus? Interessanterweise wirbt die Gemeinde selbst mit ihren „scheinbaren Widersprüchen“, wie die Kaunertal-Gletscher-Website schreibt. Dort heißt es:
„Beschreiben kann man sie nur schwer; es gilt sie selbst zu erleben und zu erfahren. Ein tief eingeschnittenes Hochgebirgstal, das auf den ersten Blick den Horizont begrenzt und dennoch tiefe Einblicke in eine wilde Naturschönheit gewährt.“
Genau so ging es mir! Als ich 2015 das 1. Mal dort war, hatte ich den Eindruck: Holla, ganz schön eng hier. 2016/7 ist es komplett anders. Jetzt begeistern mich die steilen Hänge, wir hatten aber auch Sonne pur. Und was ich vor allem so angenehm finde, ist genau das, was in den angesagten Tälern rings rum fehlt: Ruhe und Abgeschiedenheit. Natürlich geht es auf dem Gletscher oben, wenn der Schnee im Tal fehlt, hoch her – unten in den Dörfern aber fühlt man sich noch wie vor 30 Jahren. In einem Artikel, der die Tiroler Gletscher vergleicht, heißt es sogar süffisant:
„Alles sieht nach 80er Jahren aus, man würde sich nicht wundern, wenn Menschen in engen roten Jethosen und langen, dünnen Skiern über den Gletscher führen.“
Charmant und familienfreundlich
Das ist natürlich übertrieben, wenn auch lustig geschrieben. Selbstverständlich brausen auch hier längst die Carver über die in der Regel breit ausgebauten Pisten. Aber den Charme alter Tage hat das familienfreundliche Kaunertal wirklich nicht abgelegt. Wer das liebt, der ist hier richtig. Und wer seinen Kindern das Skifahren beibringen (lassen) will, der findet hier ebenfalls großartige Bedingungen.
Übrigens: Wer von seinem Hotel hoch ins Gletschergebiet will, der braucht ein bisserl Zeit. In etwa zwei Dutzend Kehren gondelt man hinauf und passiert einen wunderschönen See, den Gepatsch-Stausee. Der enorm schöne Blicke frei gibt, schmiegt er sich doch auf sechs Kilometer Länge ins Gebirge. Riesige dunkelbraune Felsen – meist verziert mit langen, weiß gefrorenen Eiszapfen – säumen das grünblau funkelnde Wasser.
Ein perfekter Lebensraum für Steinböcke
Und: Der Naturpark Kaunergrat ist auch und gerade für Steinböcke ein perfekter Lebensraum, wie ich von einem Experten erfahre. Andi Wiesinger, begeisterter Extrembergläufer, Hobbyfotograf und Buchautor, sagt mir auf Anfrage:
„Ja, im Kaunertal gibt es sehr viele Steinböcke. Manche Rudel kann man zwischen April und Juni fast direkt an der von Dir beschriebenen Mautstraße zum Kaunertaler Gletscher beobachten. Ab Juni wandern sie dann weiter hoch in die Sommereinstände meist über 2500m. Manche Rudel wechseln je nach Jahreszeiten ihre Einstandsgebiete vom Pitztal ins Kaunertal und wieder zurück.“
Jetzt weiß ich also: Wir müssen auch mal im Sommer dort hin!
- Wir haben Andi Wiesinger bereits ohfamoos porträtiert. Dort findet Ihr auch sein grandioses Buch, den ersten Steinbockführer, über die sogenannten „Könige der Alpentiere“.
Text & Fotos: Elke Tonscheidt