Was tun wir eigentlich – erziehen wir glückliche Menschen?
Gastautorin Michèle Halder hatte kürzlich eine Unterhaltung mit einem Freund, der wie sie die 50 überschritten hat. Sie sprachen über Gott und die Welt und irgendwann kam irgendwie das Gespräch auf ‚früher’ – auf die Zeit, als sie Kinder waren, so von 6 aufwärts bis zur Teenagerzeit. Michèle und ihr Freund kamen zu dem Schluss, dass sie es wirklich gut hatten und eine gute Erziehung genießen durften. Warum? Das beschreibt Michèle wie folgt:
Ich will gar ins Detail gehen aber ich habe begonnen über die Erziehung heute nachzudenken. Erzogen wird die kommende Generation in meinen Augen von nervösen Multitasking-Talenten, deren Jobs wichtiger sind als langsames Familienleben und gemütliches Eins-nach-dem-Anderen-abarbeiten. Es ist wichtiger, sich nach einer langen Ausbildung zu beweisen, dass man alles schaffen kann, als sich Zeit für etwas zu nehmen.
Wir werden von Politik und Wirtschaft darauf konditioniert, die Grätsche zwischen Beruf und Familie schaffen zu wollen, egal ob eines von beiden dabei zwangsläufig zu kurz kommt oder wir für derlei gar nicht gemacht sind.
Hauptsächlich sind heutige Eltern von dieser Doppelbelastung nämlich überfordert, ob sie es zugeben mögen oder nicht. Dabei finde ich es persönlich egal, ob Vater oder Mutter diesen Seiltanz bewältigen muss.
Kinder und Erziehung
So sehe ich heute Kinder, die schon in der Grundschule darauf getrimmt werden, Leistung zu bringen. Ach was Grundschule, eigentlich geht das ganze schon im Kindergarten los. Frühe Sprach- und Musikerziehung, Kreativkurse, Ballettunterricht. Wenn die Sprösslinge nicht aus Zeitmanagementgründen irgendwie untergebracht sein müssen, dann darum, dass schließlich was werden soll aus den Kleinen. Aber was?
Abitur ist die Mindestvoraussetzung, Studium sowieso, nur wer studiert hat die Chance auf ein dickes Gehalt.
Und das werden unsere Kinder brauchen, denn bei den vielen teuren Spielzeugen, die unsere Kinder schon haben, bevor sie überhaupt einschätzen können, welchen rein materiellen Wert diese Sachen darstellen, wird ihr Anspruch im Erwachsenenalter sicher nicht geringer. Es wird ihnen so vorgelebt. Ein weiser Mann – Mark Twain – hat einmal gesagt:
„Wir können unsere Kinder erziehen wie immer wir wollen, sie machen uns doch alles nach.“
Genau. Papa und Mama gehen arbeiten, damit das Haus groß, das Auto fett und der Urlaub dreimal im Jahr möglich ist. Konsum ist ausschlaggebend für das Selbstbild. Und die Werbung suggeriert uns, dass wir, wenn wir eine ganz bestimmte Süßigkeit auf den Tisch legen, die Familie intakt und die Welt heil ist.
Stuhlkreise zur Konfliktbewältigung? Helfen nicht!
Ich beobachte, dass Menschen zunehmend rücksichts- und respektloser miteinander umgehen. Es wundert mich nicht, denn erzogen werden lauter Prinzen und Prinzessinnen, die ganz allein um sich als Mittelpunkt ihrer Welt kreisen. Denn bei der wenigen Zeit, die Eltern heute für ihre Kinder erübrigen, mag man diese sicher nicht mit Konflikten füllen, die ein „Nein“ oder andere unliebsame Erziehungsmaßnahmen nach sich ziehen. Da helfen die Stuhlkreise und faustlos-Strategien der heutigen Pädagogen als Konfliktbewältigung auch nicht.
Ich erinnere mich gut daran, dass meine Eltern – Kriegsgeneration – gerne wollten, dass wir es einmal besser haben sollten als sie. Auf Nachfrage hieß das, friedlicher, ohne Hunger, ohne Krieg. Wir sollten dafür sorgen, dass unsere Welt zusammenwächst und wir aus den Fehlern unserer Großeltern und Eltern lernen.
Haben wir gemacht. Aber was vermitteln wir unseren Kindern?
Noch mehr Dinge anhäufen statt sich wirklich Zeit nehmen
Ich befürchte, diese Sache mit dem „ihr sollt es besser haben als wir“ ist in unserer Generation zu einer Farce geworden. Im besten Fall bedeutet „besser haben“: mehr Freizeit, gerechtere Bezahlung, ökologischere Denkweisen. Im schlechteren Fall ganz einfach noch mehr Dinge anhäufen.
In meiner Jugend war es ganz selbstverständlich, irgendwann Kinder zu bekommen und sich dafür aus dem Berufsleben zurückzuziehen, um diese Kinder großzuziehen. Das führte dazu, dass Kinder ein ganz normaler Teil des Alltags waren und dementsprechend haben wir gelebt. Heute sind Kinder nicht mehr so selbstverständlich, da seltener geworden.
Wir schwirren ständig um sie herum, verwalten sie weg (siehe oben) und sind der elterliche Big Brother, der die Kinder immer beobachtet.
Zu der Belastung, die der Beruf mit sich bringt, zwingt einen das zwangsläufig schlechte Gewissen, dass man seinem Kind gegenüber hat, das bisschen Zeit, das man hat, mit der Überwachung eines jeden Schrittes der Kinder zu verbringen.
Ich frage mich ja, wohin das führt, was mit dieser Art der Erziehung erreicht wird. Glückliche, selbständige und selbstbewusste Menschen ganz sicher nicht.
Erziehung für eine glücklichere nächste Generation
Als mein Kind auf die Welt kam war mir klar, ich möchte, das dieser kleine Mensch zu einem glücklichen Erwachsenen wird. Das war das erklärte Erziehungsziel. Wenn das jedoch, wie leider ganz oft, mit dem Wort Erfolg im heutigen Sinne des Wortes – also gleichgesetzt mit materiell – verbunden wird, wage ich daran zu zweifeln! So soll ein glücklicher Mensch heranwachsen?
Erst wenn wir es schaffen, unseren Kindern wieder zu vermitteln, dass Erfolg nicht materieller Reichtum bedeutet sondern ganz einfach, dass das, was wir machen, gut und richtig gemacht wird, egal welchen Beruf wir ausüben, dann schaffen wir auch eine ausgeglichene, glücklichere nächste Generation.
Michèle Halder ist Mutter einer 17jährigen Tochter. Eines ihrer liebsten Dinge ist es, das Leben zu beobachten und Schlüsse zu ziehen: Nachdenken über Gott und die Welt und all das, was unsere Welt wirklich ein bisschen besser machen kann. Michèle freut sich, wenn sie ihre Gedanken mit anderen Menschen teilen kann – auch um dabei ihre eigene Sicht auf die Welt prüfen und gern auch neu gestalten zu können. Ihr erster Beitrag bei ohfamoos, der über Heimat, war schon sehr wertvoll.
Fotos: unsplash
Ein interessanter Beitrag, doch ich finde ihn leider ein wenig einseitig.
Vollzeit arbeitende Eltern = unglückliche Kinder? Finde ich sehr eingeschränkt. Ich kannte es auch von meinen Eltern nur so, dass sie Vollzeit arbeiten. Deswegen waren wir nicht unglücklich.
Ich bin der Meinung, es kommt darauf an, wie ich die Zeit mit den Kindern verbringe, wenn ich zu Hause bin. Jage ich sie von Sport zu Musik zu Tanz zu was weiß ich oder verbringe ich die Zeit mit ihnen gemeinsam? Gehe ich mit ihnen raus zum laufen, entdecke mit ihnen gemeinsam die Jahreszeiten, bastel mit ihnen? Ich kann meinen Kindern auch mit weniger Zeit vermitteln, was die Werte der Gesellschaft sind, was Geborgenheit in der Familie bedeutet und das sie mir wichtig sind.
Ja es gibt Familien, da zählt das Materielle alles und die Kinder wirken emotional arm. Leider werden diese Familien auch immer mehr. Dennoch finde ich es falsch, es zu verallgemeinern.
Liebe Heike,
es gibt einige, die den Beitrag als einseitig empfunden haben. Er spricht ja auch ein heißes Eisen an und bei solchen Themen passiert (glaube ich) oft, dass man sich auf das konzentriert, was man am wichtigsten findet. Und doch schließt der Artikel mit diesem Absatz:
„Erst wenn wir es schaffen, unseren Kindern wieder zu vermitteln, dass Erfolg nicht materieller Reichtum bedeutet sondern ganz einfach, dass das, was wir machen, gut und richtig gemacht wird, egal welchen Beruf wir ausüben, dann schaffen wir auch eine ausgeglichene, glücklichere nächste Generation.“
Es geht Michele (so habe ich sie verstanden) nicht darum, Vollzeit arbeitende Eltern gegen die, wo eine/r zuhause bleibt, auszuspielen. Sondern darum sich auf das zu konzentrieren, was man wirklich machen möchte – eben „egal, welchen Beruf wir ausüben“.
Und in meinem Umfeld machen doch viele Menschen etwas, was sie nicht gerne tun, sprich der Fokus liegt auf etwas anderem. Es geht nicht um die, die arbeiten MÜSSEN. Das wäre selbstherrlich. Wer Michele kennt, weiß, dass sie das sicher nicht meint.
Zunächst: Danke für das tolle Feedback. Und dann: ich glaube, dass ich mich vielleicht nicht ganz klar ausgedrückt habe. Es lag so ganz und gar nicht in meiner Absicht, Familien, in denen ein oder beide Elternteile arbeiten als nicht liebevoll oder den Kindern zugewandt abzukanzeln. Mein Fokus liegt eher auf der Art, wie wir unsere Kinder an die Anforderungen der heutigen Zeit heranführen und sie dabei trotzdem noch zu glücklichen, ausgeglichenen Menschen erziehen können. Denn eines beobachte schon eine Weile, Kinder und Jugendliche sind gestresst und handeln oft nicht altersgemäß. Ich frage mich also, was da für eine Generation heranwächst und ob derzeit noch glückliche Menschen erzogen werden. Für mich gibt es eine sehr wichtige Erkenntnis, die sowohl in einer Partnerschaft als auch bei der Erziehung von Kindern greift. Es gibt zwei ganz bedeutende Geschenke, die wir machen können: Platz in unseren Herzen und Gedanken ist das eine. Zeit – und wenn es auch nur 10 Minuten sind, die aber ausschließlich – das andere.