Moderne Liebe und der olle Shakespeare
Adventszeit. Zeit zum Besinnen. Eine Zeit der Liebe zu unseren Nächsten – wobei man Letzteres nicht zu eng auslegen sollte. Zeit, sich auch mal wieder mit der Dimension von Liebe zu befassen! Zum Beispiel damit, was uns der olle Shakespeare dazu sagt. Ganz nach unserem ohfamoosen Motto „Voll das gute Leben“ führt uns Gastautor Dieter R. Fuchs diesmal mit einigen Zeilen von William Shakespeare vor Augen, wie grandios und zeitlos alte Lyrik auch die moderne Liebe im Kern erfasst. Und wie uns das heute noch seelisch guttun und intellektuell bereichern könnte.
Kann man ‚Liebe’ sprachlich prägnant beschreiben, in ihrer ganzen Fülle, Macht und Grenzenlosigkeit? Die selbst unter Shakespeare-Freunden relativ wenig bekannten „Sonette“ dieses Genies enthalten einige Gedichte, welche das ganz wunderbar vermögen, wie ich meine. Zum Beispiel das Sonett 116:
Love´s not Time´s fool, though rosy lips and cheeks Within his bending sickle´s compass come; Love alters not with his brief hours and weeks, But bears it out even to the edge of doom. |
Die Liebe trotzt der Zeit, ist auch die Glut von Wang und Mund in einen Kreis gebannt; die Liebe wechselt nicht mit Ebb und Flut, sie dauert fort bis an der Zeiten Rand. |
Fasst dies nicht poetisch und dennoch so treffend das zusammen, was man sich von wahrer Liebe zwischen Menschen erhoffen darf? Aber Shakespeare gibt uns im gleichen Werk, im Sonett 121, auch Ratschläge, wie wir mit negativem Feedback von außen umgehen sollten, um unsere Seele zu schützen, also auch die Liebe zu uns selbst zu erhalten:
´Tis better to be vile than vile esteem´d, When not to be receives reproach of being, And the just pleasure lost which is so deem´d Not by our feeling but by others´ seeing. |
´s ist besser, schlecht zu sein als schlecht zu heißen, wenn Unbegangnes als begangen gilt und reine Freuden sich als schlimm erweisen für den, der zuschaut, nicht für den, der fühlt. |
Also mir kommt da sofort die alte Volksweisheit in den Sinn, die da lautet: „Ist der Ruf erst ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert.“ Wobei der Dichter sicher anderes mit diesen Zeilen ausdrücken wollte – nämlich dass wir bei gesundem selbstkritischen Bewusstsein unberechtigte Anwerfungen von außen zwar bedenken, aber nicht überbewerten sollten.
Und selbst wenn wir einmal etwas getan haben, was falsch war, so sei dies doch eigentlich etwas Natürliches – und man sollte so wie gegenüber Anderen auch gegenüber sich selbst nicht zu ungnädig sein und Liebe walten lassen, wie in Sonett 35 erklärt:
No more be griev´d at that which thou hast done: Roses have thorns, and silver fountains mud, Clouds and eclipses stain both moon and sun, And loathsome canker lives in sweetest bud. |
Nicht länger sei dir leid, was du getan: Auch Rosen stechen, Quellen werden trüb, und Schatten fallen Mond und Sonne an, die ekle Raupe wohnt im zarten Trieb. |
Also mir geht da das Herz auf, auch wenn diese englischen Originaltexte aus dem 16. Jahrhundert selbst Anglophilen sprachlich sehr fremd sind. Die oben mit abgedruckte tolle Übertragung ins Deutsche von Hanno Helbling ist lyrisch einfühlsam und musisch wunderbar nah am Originaltext, erschließt aber dennoch auch inhaltlich Shakespeares Botschaft.
Über 40 verschiedene Übertragungen der Sonette gibt es ins Deutsche, aber diese hier vorgestellte ist unbedingt meine persönliche Leseempfehlung für alle, die mehr davon genießen möchten:
William Shakespeare
„Die Sonette“ Englisch-Deutsch
Übertragung und Nachwort von Hanno Helbling
© Manesse Verlag 1983
ISBN 3-7175-1648-5
Ohfamoose Freude und gute Anregungen wünsche ich euch hiermit! Und: Alles Liebe!
Dieter R. Fuchs liebt die Vielfalt und das Leben. Nachdem ihn sein bewegtes Berufsleben als Forschung-Manager und Wissenschaftler fast durch die ganze Welt geführt hat, geniesst er es nun im Ruhestand in München, seine Erfahrungen und Begegnungen literarisch aufzuarbeiten und andere hieran teilhaben zu lassen. Was für ihn neben der Partnerschaft mit seiner Frau Ulla wertvoll ist: Fremde Kulturen, Kunst und ein immer wieder neu belebender Austausch mit Menschen aus der ganzen Welt!
Kommentare
Moderne Liebe und der olle Shakespeare — Keine Kommentare
HTML tags allowed in your comment: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>