Karriere? Ohne mich!
Stress, Überstunden, Verantwortung = Anerkennung, üppiges Gehalt, Firmenwagen? Oder: Arbeiten „nach Vorschrift“ und Freizeit genießen? Karriere ist ja kein Muss. Und zwischen „Höher-weiter“ und Stillstand gibt’s eine Menge Zufriedenheits-Modelle.
In meinem Freundes- und Bekanntenkreis sind einige, die überhaupt keine Ambitionen haben, Karriere zu machen. Ob nun auf- oder seitwärts. Sie wollen ihre Arbeit erledigen, mit den KollegInnen Spaß haben, sich auf ihr Gehalt verlassen können. Und nach Feierabend nicht zu ausgepowert sein für ihre Hobbies, Familie und Freunde. Sie wollten überhaupt nie Karriere machen. Sie belächeln dieses Optimierungsgedöns rund um’s Thema Job seit eh und je. Und sind soooo zufrieden!
Besonders eine habe ich gerade vor Augen. Ich habe sie kürzlich gefragt, wie sie sich ihr Belächeln erklärt. Und etwas ketzerisch, womit sie das rechtfertigt (sie ist eine enge Freundin, ich darf das). Sie meinte nur:
„Karriere – wieso? Meine Arbeit macht Sinn! Sie füllt nämlich meinen Kühlschrank und bezahlt meine Reisen. Meine Kollegen sind richtig nett. Reicht das etwa nicht?“
Aufwärts oder auswärts?
Ok, das Bild von der Karriereleiter löst sich zuverlässig auf. Heutzutage spricht man eher von einem Klettergerüst. „Auftsieg“ geht mehrdimensional. Und die sogenannten Digitalen Nomaden avancieren in den Augen Vieler zu Lebenskünstlern, die der Karriere und dem gutbürgerlichem Leben ohnehin die Stirn bieten. Zumindest einige von ihnen sind damit sehr erfolgreich, heißt es. Finanziell und persönlich.
Unter denen, die morgens zum Job und abends wieder nach Hause fahren (oder ihre Schichten bedienen) und ihre Sache dazwischen ziemlich gut machen, sind’s sehr viele, die sagen: Karriere im Sinne von höher, weiter, mehr? Ohne mich! Sie sind nicht bereit, den Preis zu zahlen: mehr Überstunden, Geschäftsreisen, Druck und Verantwortung. Für wenig freie Zeit – ob für Sport, Familie oder Ehrenamt.
Gehört es immer noch dazu, im Laufe des Berufslebens nach „mehr“ und „nach oben“ zu streben? Die Karriere-Literatur und zahlreiche Selbstoptimierungs-Appelle beschönigen Erfolg und Aufzustieg immer noch als hoch erstrebenswert.
Muss es immer so spektakulär sein?
In den sozialen Medien, in Dokumentationen oder Zeitschriften erfahren wir zumeist von den spekatulären Biografien. Da wird ein Chirug zum LKW-Fahrer oder eine Bänkerin zur Bienenzüchterin. Bloß raus aus dem Irrwitz von Leistung, Anspruch und Fremdbestimmtsein. Rein in die köstliche Freiheit, ins sinnvolle Tun und – natürlich – die Skepsis aller Besorgten oder Neider bzw. den Applaus aller, die es sich ähnlich wünschen.
Die haben sich verabschiedet vom allgemeinen Karriere-Bild , was bedeutet: die Veränderung der Qualifikation und Stellung im Unternehmen verbunden mit einem wirtschaftlichen und/oder sozialen Aufstieg. Also Stufenklettern in Unternehmen mit klassischen, hierarchischen Strukturen. Und irgendwie auch im Ansehen unseres gesellschaftlichen Gefüges, oder?
Ein anderes Bewusstsein von erfülltem Arbeiten
Immer mehr junge Menschen entscheiden sich gegen ein klassisches Lebenskonzept mit Karriereambitionen. Und sie erwarten auch, Familie und Beruf meistern zu können. Alternative Lebenskonzepte und Modelle von erfülltem Arbeiten und Leben fordern also auch Arbeitgeber heraus, z. B. Arbeitszeitmodelle anzupassen. Und die Politik, Maßnahmen zu ergreifen. Schon einige Male habe ich Klienten begleitet, die diese Wege gegangen sind:
- Eine Fachkarriere etwa, also die „Aufwärtsbewegung“ ohne Führungsverantwortung.
- Oder das sogenannte Downshifting – wenn man sich bewusst für weniger entscheidet: Arbeitszeiten, Mitarbeiterverantwortung oder Budget etwa.
- Und der konsequente Ausstieg aus dem Hamsterrad auf Zeit durch ein Sabbatical. Oder konsequent mit dem Weg in die Selbständigkeit.
Diese Motive stehen hoch im Kurs: erfülltes Arbeiten, Selbstbestimmtheit und sinnvolles Tun. Und die große Sehnsucht, einfach mehr Zeit zu haben. Die Bestätigung von jemandem, der von „oben“ anerkennend applaudiert, brauchen diese Menschen nicht.
Machen wir uns klar: „Karriere“ steht einfach für die persönliche Laufbahn eines Menschen in seinem Berufsleben. Und die kann, muss aber nicht aufwärts gehen! Das eröffnet womöglich ohfamoose Möglichkeiten.
Text: Cornelia Lütge
Quellenangaben/Fotos: rob-bye-145060 und lili-kovac-620047, beide von unsplash
Ich bin das etwas zwiegespalten. Ja, ich möchte niemanden dazu verdonnern Karriere zu machen, wenn er/sie nicht will. Aber auch nicht belächeln, wenn dann doch. Sich dafür entschuldigen müssen, strebsam nach oben zu klettern, ist auch nicht der geeignete Weg. Ich kenne Dich zu gut, Cornelia, als dass ich Dir das unterstellen würde, natürlich nicht! Aber so sehr ich mir wünsche, dass wir alle etwas runter schalten würden – so richtig eingeleuchtet ist mir bislang nicht, ob wir wirklich darauf verzichten können, dass einzelne dann doch richtig Gas im Job geben. In meiner Start-Up Zeit musste das nicht jeder im Unternehmen. Aber es war doch gut, dass es ein paar gab! Ambitionierte ziehen andere mit und das ist oft sehr produktiv, Karriereleiter hin, Klettergerüst her 🙂
Wie du schreibst, liebe Elke: Karriere macht, wer möchte (die Chance sucht und ergreift, die bekommt zumal).
Es sollte meiner Ansicht nach kein Stigma sein, sich dagegen zu entscheiden – gegen die klassische Karriere i. S. von höher, Status usf.
Liebe Cornelia, liebe Elke,
auch ich sehe diese Thematik weniger in schwarz-weiss, sondern eher in den spannenden und schönen Grautönen dazwischen: „Karriere“ kann eigentlich niemand für sich selbst definieren (im Gegensatz zu individuellem „Erfolg“ je nach eigener Definition), sondern eine solche ist eher das, was von außen über eine berufliche Entwicklung gewertet wird. „Karriere-Typen“ können sehr unterschiedlich sein – und ja, es gibt sie, diejenigen, die „objektiv“, von außen betrachtet, „Karriere machen“, und die sich dennoch nie verbiegen oder eine gesunde Work-Life-Balance aus den Augen verlieren. Wenn man das richtige Maß findet, und sich in der „professional time“ des Tages voll reinhängt, wenn man ein gutes und bewusstes Zeitmanagement beherrscht, wenn man nie vergisst, was im Leben wirklich zählt, wenn man nie rein egoistisch orientiert ist, sondern sich für „sein“ Team einsetzt (egal wie groß oder wie klein dieses ist), dann bleibt bei entsprechender Begabung und Ausbildung auch der Erfolg – und die Karriere als Resultat desselben – selten aus. Klettergerüst oh ja, Karriereleiter war gestern, Hamsterrad – niemals 🙂
Ich bin ganz bei Dieter:)
Und habe noch einen Gedanken. Ganz gleich ob Selbständig oder wo auch immer im Unternehmen: es gibt Phasen, Momente, Anlässe, da packen Menschen gerne mal mehr Zeit aufs Stundenkonto. Weil ein Ziel erreicht werden will. Weil man identifiziert ist. Gesund wäre in meiner Vorstellung (und das auch ein Zukunftswunsch), wenn die Akzeptanz wachsen würde, nach Intensivphasen auch Normal- oder gar Ruhephasen einzuplanen und zu halten. Ich denke, viele steigen aus, weil es scheinbar nur Intensivphasen gibt, oder geben darf.
Danke Cornelia! Führt mich ins Denken 😉
Mich macht es sehr glücklich, wenn Dinge beim Arbeiten, die ich mir erst nicht zugetraut habe, einfach dann doch funktionieren. Nicht immer habe ich dabei die Karriere im Hinterkopf. Ich arbeite einfach gerne. So blöd es klingt.
Ich finde, dass jeder an seiner persönlichen Mosaikkarriere arbeiten sollte und zwar immer! In jeder noch so kleinen Aufgabe richtig gut werden und irgendwann auf das Gesamtbild besonders stolz sein!
„Ich arbeite einfach gerne“ – das klingt gar nicht blöd. Im Gegenteil, das sollte m. M. möglich sein.
Es gibt die eine Seite: gerne tun, was man tut. Zufriedenheit und Stolz sein, ja. Die Rahmenbedingungen sind es andererseits, die Viele Zaudern lassen. Und die keinen Weg daraus finden.
Nun ja, wenn ich mir meine persönliche Karriere so anschaue, vom Wirtschaftswissenschaftler zum Web-Designer mit Wohnort in Patagonien, dann ziehe ich daraus vor allem eine Erkenntnis. Erlaubt ist was zufrieden macht. Ich habe jetzt bewusst nicht glücklich geschrieben. Das wäre vielleicht ein wenig überzogen. Oder anders herum argumentiert, erstrebenswert ist, was einen nicht kaputt macht. Weil man schon den Eindruck bekommen kann, dass die Karrieren die Leute krank machen können. Das ist es nicht wert.
Im Grunde ist es das, was ich im Freundeskreis aufgeschnappt habe. Mit vollem Einsatz tun, was zufrieden macht und nicht bereit sein, einen Preis zu zahlen, der über eigene Grenzen geht. Sei es Krankheit oder anderes. Schön, dass es dir gelingt.