Unterm Po kam der nächste Schlitz
Doris blüht auf, wenn sie näht. Mode selber nähen, das ist ihr Ding. Urkölsch, wie sie ist, hat sie mit einem Karnevalskostüm begonnen. Der Oma wegen. Peu à peu hat sie in den letzten Jahren ihre Leidenschaft nun ausgebaut. Ihre kleine Unikat-Manufaktur im Norden Kölns hat großes Potenzial zu wachsen. Wenn, ja wenn Doris Königstedt ihren Graphiker-Job an den Nagel hängen würde… Was glaubt Ihr, wird sie es machen? Lest selbst, was sie Elke im Interview erzählt hat.
Doris, seit wann nähst Du?
Seitdem ich 14 Jahre alt bin. Meine Oma hat mich auf die Idee gebracht. Denn ich wollte ein ganz besonderes Karnevalskostüm haben.
… das es auf dem Markt nicht gab?
Genau, denn es war eine rosa Pumphose mit violetten, geknöpften Wadenmanschetten.
Das hast Du dann auch getragen?
Natürlich. An Karneval kann man alles tragen.
Zumindest in Köln ist das so, ja. Was kam nach dem Kostüm?
Die erste „Tageshose“, also etwas für den Alltag; war aber auch Pump, nur nicht Satin sondern aus Leinen und: wieder violett.
Welche große Leidenschaft steht hinter Deinem Hobby?
Ich habe am Ende des Tages gern ein Ergebnis. Ich bin Handwerker. Mich faszinieren Stoffe, deren Haptik, die Farben und Formen. Und ich kreiere etwas ganz Eigenes, das man so nicht bekommt.
Wo findet man Schnitte, die Du nutzt?
Mit Pinterest heutzutage im Netz. Ich habe aber auch viele Jahrgänge holländischer Zeitschriften. Ganz früher bin ich einfach zum Karstadt gegangen, die hatten eine Riesen-Stoffabteilung. Über gute Kontakte habe ich dort Schnitte auf Maß bekommen und konnte so Montana-Kleider oder einen Lagerfeld-Mantel tragen, selbstgenäht natürlich.
Das waren aber alles Sachen für Dich persönlich?
Nur. Da war ich sehr egoistisch. Abschlussball. Abendkleider – mit 18 hat man da nichts. Züchtiger, hoher Kragen, tiefe Rückenausschnitte, unterm Po kam der nächste Schlitz. Schrill türkis, knallrot, breite Schultern, es waren ja die 80er. Reißverschluss hinten einmal komplett durch. Je spektakulärer desto besser (schwelgt)
Bis die Kinder da waren, oder?
Die Jungs ja, halt bis sie sich wehren konnten J Das hatte sich aber schnell erledigt, denn die Sachen wurden dreimal getragen, das lohnte sich nicht.
Was fehlt dafür noch, um Deine Leidenschaft zum Hauptjob zu machen?
Die Lust an meinem Hauptberuf Graphik überwiegt noch. Der ist natürlich auch lukrativer. Beides zusammen geht nicht. Und ich bräuchte ein Ladenlokal. Aber alles, auch zusammen mit anderen als Team, ist bereits angedacht… (lacht)
Dann würdest Du in anderen Stückzahlen produzieren müssen.
Das ist es eben. Dann würde das, was ich am liebsten mache, das selber schneidern, ganz hinten anstehen. Denn dann müsste man ja alles machen: Vertrieb, im Laden stehen, mit Näherinnen kooperieren, die Werbung machen etc. Noch halte ich es lieber was kleiner, damit ich wirklich nah dran bleibe. Ich fahre so gern Stoffe aussuchen – durch Leinenstoffe zu gehen, zu fühlen, zu gucken, dem Kaufrausch zu erliegen… (schwärmt)
Wie gut kannst Du Dein Hobby mit Deinem Job vereinbaren?
Nur abends ab neun. Viele Wochenenden gehen dafür drauf, auch mal gern bis zwölf, ein Uhr nachts. Seit 3 Jahren habe ich Unterstützung durch eine Näherin.
Woher nimmst Du Deine tägliche Motivation?
Ich liebe es, so viele verschiedene Materialien zu verarbeiten. So viele Kleiderschränke kann sich kein Mensch hinstellen. Die Chance immer was Neues auszuprobieren, ohne schlechtes Gewissen zu haben: Jetzt haste Dir wieder nen Rock gemacht, der nur rum hängt. Ich bewege mich in Farbwelten, die für mich selbst nicht in Frage kommen.
Wirst Du auch beauftragt?
Ja, die Mutter eines schwerstbehinderten Kindes, das auch noch blind ist, meinte: Nur weil ihre Tochter nicht sehen könne, brauche sich nicht alles schwarz in grau. Ihr Auftrag war: Eine Tasche für den Rollstuhl! Ich habe dann mit ihr eine spezielle Tasche entwickelt aus einem wasserabweisenden Polsterstoff, mit Innentaschen für die Ergotherapie. Außen blau und innen pink.
Hast Du viel Mundpropaganda?
Ja, sehr. Nach Elternabenden bekomme ich Anrufe wie: Ich habe gesehen, der Vater xy trägt so tolle Leinenschals zum Anzug und da ist diese weiße Krone auf rotem Grund drauf. Das ist ja mein Logo. Oder in der Bahn werde ich angesprochen darauf, was ich trage. Das ist schon witzig und macht mich ganz stolz. Klar, das ist keine Weltmarke, aber ich freue mich sehr darüber mir in Köln so einen Namen gemacht zu haben.
Wie hilft die Familie mit?
Vor allem mein Mann hilft sehr. Er hat die Hardware: Unser Verkaufspavillon, Tische, Schaufensterpuppen – alles lagert bei ihm im Büro. Große Weinkisten, in denen meine Schals präsentiert werden, gusseiserne Gestelle bei uns im Haus. Das wird dann zum Markt geschleppt, aufgebaut, hergerichtet. Er kommt aus dem Handel, er weiß wie das geht.
Was ist das Allerschönste, wenn Du nähst?
Wenn ich das Label dran nähe und das Unikat fertig ist.
Du fertigst auch für Unternehmen?
Ja, eine Firma bestellt z.B. gern was für ihre Weihnachtsfeier oder für Jubiläen, die Schnitte alle unisex, bei den Farben kann man dann passend wählen.
Du verarbeitest sehr robuste Materialien, aber auch ganz dünne, leichte Schals aus Kunstfaser… Was bringt der Sommer?
Für die Sommerware verarbeite ich ganz leichte Blusenstoffe zu Schals, kombiniere Baumwolle und Leinen, mixe auch gern Jersey dazu. Dadurch entstehen tolle Strukturen. Und doppelt genäht bekomme ich eine schöne Fülle hin.
Du nennst Dich „die Unikat-Manufaktur aus Köln“, was ist Dein absolutes Markenzeichen?
Die Materialvielfalt. Ein Rundschal ist nix Neues, Loops gibt es in allen Variationen. Bei mir sind Loops, die man nur einmal über den Kopf zieht, aber ganz bewusst kürzer. Damit sie ein schönes Kleidungsstück unterstreichen. Da geht nichts bis zum Brustbein und verdeckt die halbe Schulter! Ich verkaufe Ergänzungen zur Bluse oder zum Jackett. Ein kleines Detail, das meine Sachen sehr anders macht. Und die Vielzahl – ich habe allein über 400 Tücher da! So eine Vielfalt hat kein Kaufhof.
Das heißt, Deine Familie ist zusammen gerückt?
Wir haben einen Keller… Und der große Sohn ist ausgezogen, im Winter ist mein Lager sein altes Kinderzimmer.
Es gibt ja viele andere, auch in Köln, wodurch unterscheidest Du Dich?
Ich beobachte den Markt nicht, weil ich es frustrierend finde, was es alles gibt. Zigtausende Seiten allein, wenn man Rundschal googelt. Ich gehe allein nach meinem Geschmack. Und ich spreche Leute erst ab Ende 20 an. Dann aber bis die 80er.
Senioren?
Ja, ich gehe seit fünf Jahren in ein Seniorenheim – und die Streublümchenschals gehen da weg wie warme Semmeln. Die Damen kommen mit ihrem Rollator inklusive Pullover, zu dem der 4. oder 5. neue Schal passen soll. Weil sie chic aussehen wollen. Das ist eine wunderschöne Freude, da bin ich total gerne.
Hast Du ein Lieblingsstück, das Dich seit Jahren begleitet?
Ja, ein langer Wollschal. Die eine Seite aus sandfarbenem Schurwollteddy, die andere Seite ist eine naturfarbene 70% Wolle , kraus gestrickt. Ganz robust. Den trage ich rauf und runter, sogar im Büro. Die Wolle riecht noch immer ein bisschen nach Schaf, so ganz natürlich nach Stall.
Doris Königstedt ist „urkölsch“ – sie lebt seit ihrem Geburtsjahr 1966 in Köln. Ursprünglich wollte sie in Amsterdam Modedesign studieren, hat sich dann aber doch als Graphikerin ausbilden lassen. Das Näh- und Schneidehandwerk autodidaktisch gelernt zu haben, verdankt sie ihrer inspirierenden Oma: Sie hat nach dem 2. Weltkrieg aus Fliegerseide Damenunterwäsche hergestellt und verkauft. Im Hause Königstedt lagern Doris Schätze vom Keller bis hoch unters Dach. Denn seitdem ihr ältester Sohn aus dem Haus ist, dient auch sein Zimmer als Materiallager. So gut wie an der Nähmaschine ist Doris auch bei anderen handwerklichen Arbeiten: Sie kann Fliesen legen, mauern, den Garten beackern, stricken. Die rote Krone verziert aber nur das Selbstgenähte… Hier geht es zur Website von Doris Königstedt, wo noch viel mehr zu finden als Schals oder Taschen…