Bewegungsmangel – ohne Power sitzen wir uns zu Tode
In einer Presseinfo heißt es: Den Deutschen geht die Puste aus. Zu heiß? Gemeint ist der erschreckende Bewegungsmangel von uns Deutschen. Eine große deutsche Krankenversicherung legte ihre Ergebnisse vor. Demnach sitzen wir uns zu Tode. Darüber hat Elke Tonscheidt mit dem wissenschaftlichen Leiter der Studie, Prof. Ingo Froböse, gesprochen. Der meint: „Ein regelmäßiger Waldlauf würde natürlich die ein- oder andere Pille überflüssig machen!“ Mehr darüber, was wir für unsere Gesundheit tun können und müssen, im folgenden interview.
Herr Froböse, Sie formulieren es selbstverständlich eleganter und diplomatischer, aber im Grunde kommen Sie nach vielen Studien, und kürzlich im neuen DKV-Report, zu dem Ergebnis: Die Deutschen sitzen sich zu Tode. Gemeint ist der eklatante Bewegungsmangel. Was können wir tun?
Ingo Froböse: Hier muss ganz klar ein noch größeres Umdenken stattfinden und zwar auf allen Ebenen. Gerade in der heutigen Arbeitswelt muss sich einiges verändern. Der Gesundheitsgedanke sollte bei jedem einzelnen aber auch in Betrieben und Firmen fest verankert werden. Ein gut integriertes Gesundheitsmanagementsystem kann hier zum Beispiel Abhilfe schaffen und der Gesundheit wieder einen größeren Stellenwert einräumen.
Nur wenn dies geschieht, und Bewegung und körperliche Aktivität zum Alltag gehören kann sich der angesprochene Negativtrend aufhalten lassen. Denn genau hier liegt der Hund begraben.
Was müssen wir also tun?
Es regelmäßig schaffen, also spätestens alle 60 Minuten, unsere Sitzzeiten zu unterbrechen. Nur so schaffen wir es unseren Stoffwechsel aktiv zu halten und Folgekrankheiten wie Rückenschmerzen, Übergewicht, Diabetes oder Herz-Kreislauf Erkrankungen zu vermeiden.
In der Studie heißt es:
„Nicht einmal die Hälfte aller befragten Bundesbürger erreicht den Benchmark zur körperlichen Aktivität. Nur 43 Prozent realisieren in diesem Jahr die Mindestaktivitätsempfehlungen.“
Als Sportwissenschaftler müssen Sie doch verrückt werden zu wissen, dass die meisten Bürger sich nicht einmal mehr 10 Minuten Bewegung am Stück leisten, oder?
Mit Kleinigkeiten zum Erfolg! Das ist mein Rat. Denn es geht nicht darum einen Marathon zu laufen. Hier spielt vielleicht auch die Begrifflichkeit eine Rolle. Körperliche Aktivität bezieht sich auf jede Form der Bewegung, die den Energieverbrauch über den Grundumsatz anhebt.
Haben Sie Beispiele, die es konkreter machen?
Ja, egal ob Treppensteigen, Wäsche aufhängen oder Rasenmähen. Sport hingegen stellt eine Unterform der körperlichen Aktivität dar, für die auch Leistung und Wettkampf von Bedeutung sind. Ziel ist es also genau diese Art der körperlichen Aktivität zu steigern. Nutzen Sie die Möglichkeiten, die auf der Hand liegen. Treppen zum Beispiel bieten eine kostenlose Möglichkeit ihre körperliche Aktivität zu steigern. Fangen Sie am besten sofort damit an!
Bewegungsmangel: Wir brauchen Motivation
Müssten nicht Ärzte und Krankenkassen, welche die Folgen durch zu wenig Bewegung und schlechte Ernährung zu tragen haben, viel offener direkt mit Patienten sprechen? Warum sagt man nicht im Klartext: „Speck ab und beweg Dich, dann brauchst Du weniger im Wartezimmer hocken?“
Absolut, manchmal wünsche ich mir hier auch direktere Worte. Gerade unter dem Gesichtspunkt, dass die Aussage des eigenen Arztes immer noch das größte Vertrauen genießt. Trotzdem ist es essentiell, jeden Patienten individuell zu betrachten und auch dementsprechend die Empfehlung auszusprechen.
Die Art der Kommunikation ist hier deswegen das A und O.
Trotzdem sollte der Inhalt der Nachricht und die Wichtigkeit von körperlicher Aktivität und der richtigen Ernährung deutlich hervorgehoben werden. Die Umsetzung allerdings kann nur dann erfolgreich sein, wenn die Motivation aus einem selbst heraus kommt.
Welches Wort spricht da auch die Lobby der Pharmaindustrie, die Bewegungsmuffeln gern neue Pillen schmackhaft macht statt zum Waldlauf ermuntert?
Auch die Pharmaindustrie lässt oft anklingen, dass sich das Bewegungsverhalten der Deutschen verändern sollte. Leider bieten Sie keine Anreize, um eine Veränderung bei der Bevölkerung hervorzurufen. Ich würde mir wünschen, dass hier weniger auf den Profit als auf die Gesundheit der Menschen wert gelegt wird. Ein regelmäßiger Waldlauf würde natürlich die ein- oder andere Pille überflüssig machen!
Regeneration und Pausen sind ebenfalls wichtig
Ein anderes großes Thema des DKV-Reports ist das Thema Regeneration. Wir hätten verlernt regelmäßig Pausen einzulegen, schreiben Sie, und halten dies für fatal. Wie können Menschen ihren Chefs klar machen, dass Sie diese aber essentiell brauchen? Und so einfordern, dass sie nicht als Arbeitsverweigerer da stehen?
Nur wer regelmäßige Pausen einlegt kann über den kompletten Arbeitstag volle Leistung bringen. Stichwort ist hier der BRAC. Der BRAC folgt dem Prinzip unseres natürlichen Biorhythmus’, des Wechsels zwischen „An und Aus“, „Leistung und Pause“.
Konkret bedeutet dieser BRAC?
Dieser sieht vor, dass circa alle 70-90 Minuten eine kurze Pause von etwa zehn Minuten eingelegt werden sollte – mal mit aktiver, mal passiver Gestaltung, da das unserem natürlichen System von Höhen und Tiefen entspricht. Erst durch regelmäßige Belastungs- und Pausenabschnitte können wir unser volles Potential ausschöpfen, also wieder „Power durch Pause“ haben.
Arbeitgeber haben also durchaus einen Benefit?
Ja. Die kurze Auszeit ist nicht nur gut für den Körper sondern bringt auch das Gehirn wieder in Schwung und lässt uns konzentrierter und fokussierter weitermachen. Benefit für den Arbeitgeber: die Produktivität bleibt hoch, Fehler verringern sich und die Arbeitsmoral bleibt erhalten.
Sportwissenschaftler Professor Ingo Froböse, leitet das ‚Zentrum für Gesundheit’ an der Deutschen Sporthochschule Köln. Als wissenschaftlicher Berater zahlreicher Krankenkassen/Sozialversicherungsträger bringt er seine Erkenntnisse für die Gesundheit ein. Er hat diverse Bücher verfasst, denn für ihn ist die Gesundheit der Menschen Beruf und Leidenschaft zugleich.
Seit 1995 ist er, 1957 in Unna geboren, Hochschulprofessor. Gemeinsam mit der DKV untersucht er, wie gesund Deutschland lebt. Dafür führte die GfK Nürnberg pro Bundesland wieder mindestens 200 Interviews zum Thema Gesundheitsverhalten. Hier die Ergebnisse des DKV Report „Wie gesund lebt Deutschland?“.
Fotos via Prof. Froböse und Unsplash (Vyacheslav Beda)