Once in a life time – mein Traum in New York
Gastautor Jörg Theis war schon mal in New York, damals im Dezember 2015. Dort erlebte er drei nur sehr kurze Tage. Die aber bei strahlendem Sonnenschein und frostigen Minusgraden. Da war ihm klar: Hier muss ich wieder hin. Zum Marathon war er nun wieder da – was für ein Mega-Erlebnis!
Zeitsprung. Wir sind im Jahr 2015 und ich war noch nicht wieder in Big Apple. Inzwischen habe ich ein neues Hobby. Ich laufe jetzt. Habe dabei einiges an Gewicht verloren, aber an Gesundheit und Wohlbefinden dazu gewonnen. Aus einer Schnapsidee heraus wird die Teilnahme am Köln-Marathon geboren. Mein Freund und ich haben ein knappes Jahr später es dann tatsächlich geschafft und wir haben in Köln die 42 km absolviert. Die erste Hälfte lief alles prima. Die zweite Hälfte mussten wir es langsamer angehen lassen, da die Wade meines Freundes zu machte. Wir haben für die zweite Hälfte eine Stunde länger gebraucht wie für die Erste. Wie sagte damals ein Arbeitskollege, unverkennbar aus dem Pott stammend: „Da musst Du wohl noch mal bei, Kollege.“ Dieses Damoglesschwert schwebte von da an über mir. Ich bin dann immer mal wieder einen Halbmarathon gelaufen. Aber einen ganzen?
In 2019 stand mein 50ster Geburtstag an und meine Frau hatte die Idee, mich von dieser Bürde zu befreien. So fragte sie mich, ob ich bereit wäre, einen Marathon zu laufen. Ich stimmte zu und wusste, dass ich mich vorzubereiten habe. „Lasst die Spiele beginnen.“
Wo ich diesen laufen sollte, wusste ich nicht. Ich wußte nur, dass es nach meinem Geburtstag sein wird. Ich sollte die frohe Kunde erst dann erhalten.
Und mein Traum wurde wahr. Ein Startplatz in New York.
Also rüber mit der Eisenfliege nach Übersee an die Ostküste. Ein kleiner Wehrmutstropfen war schon dabei: Ich musste die Reise alleine antreten. Meine Frau bekommen nach eigener Aussage keine zehn Pferde in die USA. Schade, doch ich war nicht allein:
Der Flieger war mindestens zu drei Viertel mit Marathonis gefüllt.
Wo man hin hörte, gab es nur ein Thema. Die Aufregung und Vorfreude war fast zum Greifen. Noch bei Regen und 22°C gelandet, hatte es in den übrigen Tage strahlenden Sonnenschein bei 10°C. Ideales Laufwetter also.
Die Reisegruppe war durchweg nett. Die Reiseführung (Mutter und Sohn) sehr erfahren und mit wem man sich auch unterhalten hatte, man hatte ein gemeinsames Thema. So hatten wir uns schnell mit zwei Rheinländern und einem Schwaben zusammen gefunden, mit ihnen in den zwei Tagen vor dem Rennen New York erkundet.
Baggels und Bananen – was man so zum Marathon braucht
Am Renntag war ich leider alleine unterwegs, da ich mit der Zeitumstellung in der Nacht davor nicht zurecht kam und alles falsch gemacht hatte. Mit dem Ergebnis: Ich war zu spät und musste mir ein Taxi nehmen. Meine Startzeit war um 11:00 Uhr, den Bus um 6:15 Uhr hatte ich verpasst, doch ich blieb recht entspannt. Ich war dann um 8:00 Uhr da. Ohne Lunchpaket. Zum Glück gab es in der Wartezone noch Baggels, Bananen, Waffeln, heiße und kalte Getränke. Weit entfernt von einem kontinentalen Frühstück. Aber wenigstens musste ich nicht mit leerem Magen loslaufen.
Irgendwann war es so weit. Die Startwelle, der man zugeordnet ist, wird aufgerufen und man geht zum Startbereich. Es wälzen sich drei nicht enden wollende Menschenschlangen zum Fuss der Verrazano Bridge auf Staten Island zu, zur Startlinie. In New York wird für jede Startgruppe die Startkanone gezündet und Frank Sinatra schmettert sein „New York, New York“ aus dem Lautsprecher.
Um mich herum waren einige von den 1.600 deutschen Startern. Ich komme aber mit einer Läuferin aus Neuseeland ins Gespräch. Allerdings kommt unsere Konversation nicht weit, da sie von ihren Gefühlen überfallen wird und ihr nur noch die (Freuden)Tränen über die Wangen kullern. Dann ging es los. Auf dem höchsten Punkt der Brücke, nach einer Meile und 60 Meter über dem Wasserspiegel, hat man einen grandiosen Ausblick. Auf der rechten Seite zur offenen See und zur Linken sieht man in der Ferne die Südspitze Manhattans. ‚Oh je, da will ich hin. Genauer gesagt auf die andere Seite der Südspitze.‘
Leichte Zweifel kommen auf, auf was man sich da eingelassen hat.
Auf der Brücke bietet sich die Mittelleitplanke als Fotoplattform an. Ich bin nicht der Einzige, der sich hier die Zeit nimmt, grandiose Fotos zu machen. Ich nehme mir vor, mich auf dem Rest der Strecke etwas zu zügeln. Man will ja auch noch mal ankommen. Bei Meile drei habe ich dann einen mitlaufenden Hund fotografieren können. Nein, es war kein Blindenhund. Das musste sein.
Bei Meile vier oder fünf habe ich dann meinen persönlichen Laufhelden gesehen. Gianni aus Italien. Unterwegs auf zwei Krücken und einem Bein. Trotz des Handicaps hat er sich der Herausforderung gestellt. Wie auch viele andere Läufer mit Handicap, die meisten leicht zu erkennen, durch den Aufdruck „Achilles Tour“ auf dem neongelben Shirt. Natürlich war ich schneller als die meisten dieser Läufer. Aber jeder hat meinen höchsten Respekt, den ich auch im Vorbeilaufen diesen Teilnehmern gezollt habe: Daumen hoch oder ein „great job“.
Später habe ich einem Kleinwüchsigen auf Instagram geschrieben. „Siehst Du. Ich kann mich an Dich erinnern, wie ich Dich überholt habe und Dich anfeuerte. Du kannst Dich nicht an mich erinnern, weil ich einer dieser vielen Namenlosen war, die dir zugejubelt haben. Und trotzdem ist deine Leistung so viel größer, obwohl wir die gleiche Strecke gelaufen sind.“ Wir schreiben uns heute noch sporadisch #dwarfparati.
So viele Eindrücke, die noch immer nachwirken. ‚The incredible mile 8‘ habe ich auf einem Schild in Brooklyn gelesen. Und das stimmte. Es ist unbeschreiblich, mit welcher Freude und welchem Enthusiasmus nicht nur auf dieser Meile einen die New Yorker vorantreiben.
Was bewegt die Leute, an einem Sonntag auf die Strasse zu gehen und dort über 56.000 (verrückte) Teilnehmer, die sich laufend durch deren Stadteil bewegen, anzufeuern?
Ich bin wirklich dankbar dafür. Johlende Zuschauermassen tragen einen von Meile zu Meile, beflügeln einen, lassen einen die Strapazen nicht merken. Jede Meile gibt es eine Verpflegungsstation mit Wasser oder einem isotonischen Getränk. Das ein oder andere Mal will man sich umdrehen, weil man das Gefühl hat, die vorherige Verpflegungsstation war doch gerade erst und muss noch in Sichtweite sein. Dann ist der halbe Marathon geschafft.
Ich bin noch nie so ein kurzweiliges Rennen gelaufen. Die Meilen sind nur so vorbeigeflogen. Und da sieht man das erste Mal Manhattan wieder. Man sieht das Empire State und das Chrysler Building. Und jetzt sind die Riesen zum Greifen nah. Das macht wieder Mut.
Jetzt schon voll von Eindrücken, stellt man sich die Frage, was folgt auf der zweiten Hälfte noch alles? Um es kurz zu machen. Es ging ähnlich weiter. Man läuft über die Queensboro Bridge nach Manhattan rein. Bei Meile 17 stand unsere Reiseführung und hat uns aufmunternd zugejubelt. Obwohl ich die nicht brauchte. Mir ging es prima. Keine körperlichen Zipperlein und meinen aufkommenden Hunger habe ich mit Gel besänftigen können.
Der „Mann mit dem Hammer“, wie es Herbert Steffny beschreibt, der ab Kilometer 33 zuschlägt, war milde mit mir umgegangen. Zu diesem Zeitpunkt stellt der Körper von Kohlenhydratverbrennung auf Fettverbrennung um. Da habe ich gerade Manhattan auf der 1st Ave in Richtung Norden verlassen, laufe eine Schleife durch die Bronx, erreiche dann wieder Manhattan auf der 5th Ave. Um dann in Richtung Central Park zu laufen, wo sich das Ziel befindet. Hier sind die Menschenmassen wieder hilfreich. Zum Schluss wird es noch mal hügelig.
Kleine Anstiege, die wehtun. Wenn man jetzt zwei Kilometer vor dem Ziel auf die Idee käme, aufzuhören, ginge das gar nicht.
In Dreierreihen stehen die Zuschauer dicht hinter den Drängelgittern an der Strecke. Da wäre gar kein Durchkommen. Egal, ich hatte eh nicht diese Absicht.
Nach 26,2 Meilen ist dann der Spaß auch schon vorbei. Man hat nicht viel Zeit für sich. Man bekommt die Medaille umgehangen, ein paar Selfies mit dem Zielturm im Hintergrund werden gemacht. Es gibt einen Verpflegungsbeutel und man wird freundlich aber bestimmt weiter geschoben. Ich treffe eine Dame aus dem Flieger wieder, die schräg hinter mir saß und ihren Sitznachbarn erzählte, dass sie Probleme mit der Achillessehne habe. Sie freut sich riesig, als ich sie nach Ihrer Sehne frage. Klar hat sie gehalten, sonst hätte ich sie nicht im Ziel treffen können. Sie war zuerst erstaunt, woher ich das wusste, und dann auch sehr froh, dass sie jemanden fand, mit dem sie sich über das gerade eben Erlebte austauschen konnte.
Und da war es. Das verbindendende Element „Ich bin New York gelaufen“.
Dann haben sich abrupt unsere Wege getrennt, weil ich vorher eine Tasche aufgegeben hatte und sie nicht.
In der Rückschau sage ich: Es hat alles gestimmt: Der Flug, die Reisebekanntschaften, die Reiseführung, das Wetter, das Event, meine Laufzeit (= nur vier Minuten über Wunschzeit) und Hunderte tolle Erlebnisse bleiben. Für immer.
Voll das gute Leben, eben #ohfamoos.
PS: Ein bitterer Beigeschmack bleibt. Die derzeitige Diskussion über Fernreisen und deren negative Auswirkungen auf das Klima hinterlassen bei mir ein schlechtes Gewissen. Welches nicht weg zu diskutieren ist. Auch wenn dass Laufen an sich vergleichsweise wenig die Umwelt belastet. Bei solchen Unternehmungen kehrt sich die Bilanz schnell ins Negative. Daher sag ich mir. Das hast Du einmal im Leben gemacht und nicht wieder. Auch wenn der NYC Marathon nächstes Jahr sein 50jähriges Jubiläum feiert und noch andere interessante Städte auf der „Six Majors Tour“ liegen. Denn: Es gibt andere Marathonveranstaltungen, die klimafreundlicher zu erreichen sind. Die sind dann für mich genau richtig. Und da werde ich wieder die lokalen Besonderheiten und die vielen kleinen Eindrücke aufspüren.
Gastautor Jörg Theis hat gerade seine 5. Dekade angefangen. Mit seiner Familie (zwei Töchter, zwei Hunde) lebt er nun schon länger in Köln als in seiner Heimat, dem Mittelrhein. Der Ingenieur der Versorgungstechnik hat vor einigen Jahren mit dem Laufsport angefangen. Seine Freizeit verbringt er zudem mit ehrenamtlichen Tätigkeiten in der Kirchengemeinde und solidem Handwerk, denn er hat seinen (erlernten) Beruf zum Hobby gemacht.
Fotos: privat
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