Vom Brenner nach Palermo mit dem Rennrad
Manche Menschen machen ihre Träume wahr! Einen ganz ohfamoosen Traum hat mein Freund Walter Neunteufel im September 2019 für sich umgesetzt. Er ist, gemeinsam mit seinem Freund George Ralph, mit dem Rennrad vom Brennerpass in den Alpen bis nach Palermo in Sizilien gefahren. Zu dieser ohfamoosen Rennradtour habe ich den 64-jährigen Chefarzt aus Österreich interviewt.
Walter, wie bist Du auf die Idee gekommen vom Brenner nach Palermo zu radeln?
Diese Radtour ist ein lang gepflegter Traum von mir. Italien ist, neben Schweden, mein Lieblingsreiseland und das Rennrad mein liebstes Fortbewegungsmittel.
Warum wir Palermo als Ziel festgelegt haben, hat viele Gründe: die Stadt ist lebendig, aber auch ein bisschen morbid. Sie stellt eine großartige Architektur zur Schau, aber Glanz und Verfall liegen dicht nebeneinander. Meer und Berge, multikulturell und geschichtsträchtig ist die Stadt. Man findet in Palermo Spuren der Griechen, Römer, Normannen, Araber, Spanier und Savoyer… Kurz gesagt: Eine Stadt für alle Sinne! Und natürlich der Wunsch meines Rennradfreunds und Gynäkologen-Kollegen George Ralph – er wollte unbedingt von Graz nach Palermo radeln. Aus Dornbirn und Graz wurde dann der Brenner unser Startort.
Wie sahen Eure Vorbereitungen aus?
George und ich haben uns nur zweimal vor Beginn der Tour persönlich getroffen. Bei diesen Treffen haben wir uns auf alles Wichtige geeinigt:
- Die westliche Route
- Die Etappenplanung: der Zielort des Tages wird erst beim täglichen Mittagessen festgelegt
- Italienische Rennräder: Bianchi und Cinelli
- Die Arbeitsteilung: Navigation und Panne waren mein Resort. Hotels und Restaurants fielen unter Georges Verantwortung.
So leicht wie möglich reisen
Was musste noch bedacht werden?
Dann haben wir, jeder für sich, 2-3 Mal wöchentlich trainiert. George in Graz, ich in Dornbirn. Spannend war auch, dass wir unsere Einkäufe und das Gepäck für die Tour mit der Küchenwaage abgewogen haben. Wir wollten so leicht wie irgendwie möglich reisen.
Wie darf ich mir die Gepäcklogistik vorstellen?
Die Gepäcklogistik haben wir beide unterschiedlich gelöst. Immer mit der Vorbedingung: es sollte Rennrad fahren bleiben und keine Trekkingtour werden. Dabei war die größte Herausforderung beim Packen natürlich, alles Wichtige für vier Wochen dabei zu haben – mit so wenig Gewicht wie möglich. George fuhr mit „bikepacking“: Lenker- und Satteltasche und Rucksack, insgesamt 8kg. Mein Gepäck (10kg) war im „BobYak“, einem zarten Rennradanhänger (6kg) untergebracht. Für mich war das eine fantastische Lösung: Rennradfeeling ungetrübt, nur ein bisschen zäh beim Beschleunigen und bergauf.
Und was war drin im Gepäck?
Sehr wichtig waren das Garmin 1030, mein GPS-Fahrradcomputer mit Navigations- und Online-Funktionen, mein iPhone XS, das iPad und ein 4fach Schnelladegerät. Dies Geräte ermöglichten die Navigation, Fotodokumentation, die Kommunikation und das Lesen. Beim Einkaufen und Auswählen der Ausrüstung war, wie schon gesagt, stets die Küchenwaage am Werk. Eine ultraleichte Mammuthose und alles andere an Kleidung hatte ich nur in dreifacher Ausfertigung dabei. Auch nur das Nötigste fürs Rad und für den Abend. Toilettenartikel in den kleinsten Packungsgrößen. Und dann alles fein nach Themen geordnet in Gefrierbeuteln und Müllsäcken verpackt, um es im Anhänger sofort zu finden.
Habt Ihr Sicherheitsmaßnahmen getroffen? Ich denke da an Reiseapotheke oder einen Notfallplan, wenn am Rad was kaputt geht.
Ja, wir hatten jeder zwei Schläuche und einen Radmantel dabei und das dafür notwendige Werkzeug. Dazu je einmal für uns beide: eine Pumpe, ein Multifunktionstool, Kabelbinder, ein Kettenreparaturset, Schaltaugen, Verbandszeug und Schmerztabletten. Und hier muss ich ein „Achtung!“ an alle, die etwas Ähnliches planen, aussprechen: Es gibt in Süditalien viel weniger Fahrradläden als vermutet und sie sind schwer zu finden.
Wie habt Ihr während der Tour geplant?
Unsere Tagesplanung lief ausschließlich mit dem Routenplaner-Tool Komoot für Rennräder. Garmin 1030, das Navigations App, hat die Tracks von Komoot auch problemlos übernommen. Natürlich brauchten wir dafür ständig einen Internetzugang während der Fahrt. Das ging bei uns aber immer einfach übers iPhone. Nur das morgendliche Kopplungsmanöver zwischen Garmin und iPhone klappte manchmal erst nach 15 Minuten, was George regelmäßig mit „Das muss noch besser werden“ kommentierte.
In Kalabrien das Fahrrad schieben
Welche Herausforderungen gab es noch?
Was uns ein bisschen gestört hat: Komoot wählt fürs Rennrad manchmal zu kleine, schlecht asphaltierte oder sehr steile Straßen. Daher mein Tipp: eher auf „SS“ (strada statale) ausweichen. Da hat man zwar mehr Verkehr, aber bestens asphaltierte Straßen und eher moderate Steigungen. Denn ab 18% Steigung ist es mit Anhänger nicht mehr zu dertreten (ugs). Ich musste in Kalabrien mein Fahrrad zweimal schieben.
Ich konnte Eure Reise ja als Follower auf Komoot verfolgen. Wie habt Ihr das angestellt?
Nun, wie schon gesagt, es gibt fantastische Apps und Tools. Wir haben die gesamte Dokumentation der Tagesetappen für uns und unsere Follower mit Komoot und Relive erstellt. So haben Freunde und Familie gesehen, welche Route wir fahren und wie viele Kilometer und Höhenmeter wir täglich zurückgelegt haben. Auch meine Bilder konnte man sich anschauen, genau. Viele unserer Freunde haben jeden Tag kommentiert und die Tour interessiert verfolgt.
Was war für Dich der bedeutendste Moment auf der Reise?
Ganz eindeutig: Das Erreichen des Ortsschilds „PALERMO“ und das schon nach drei Wochen.
Was hat Dir an der Tour besonders gut gefallen?
Das Italien abseits der Touristenströme kennen zu lernen. Die totale emotionelle Entschleunigung für ganze vier Wochen. Cornettos und Cappuccinos in einfachen Bars. Täglich das erste „Nastro Azzurro“, unser Lieblingsbier, nach der Ankunft am Tagesziel. Jede Mahlzeit! Und allem voran, die tief-gehende und nie getrübte Übereinstimmung zwischen uns beiden.
Gab es negative Aspekte während der Tour?
Auch die gab es. Ab Salerno der Müll auf beiden Seiten der Straßen, die unwürdig untergebrachten Flüchtlinge und die Straßenprostitution in Süditalien haben mich bestürzt.
Was unsere Ausrüstung betrifft: Die suboptimale Fixierung der Ortlieb-Satteltasche bei Georges Rennrad. Auch gab es immer wieder Probleme bei der jeden Morgen notwendigen Koppelung von Garmin und iPhone, ohne die nichts läuft. Und nicht zu vergessen, der für Rennradfahrer ignorante und lebensgefährliche Autoverkehr in den großen Städten.
Wem empfiehlst Du so eine Rennrad Tour?
Mir selbst jedes Jahr! Und jedem, der sich für vier Wochen wirksam aus dem gewohnten Leben ausklinken will.
Und was ist Deine persönliche Bilanz?
Meine ganz spezielle persönliche Bilanz sind 3 Tuben Sonnencreme, 2 Tuben Gesäßcreme, 2 Schläuche, 1 Radmantel, 2kg Gewichtsverlust, keine Verletzungen, keine Unfälle, 1.900km und 16.000 Höhenmeter 🙂
Vielen Dank für die Einblicke in dieses ohfamoose Rennrad Abenteuer.
Dr. Walter Neunteufel ist begeisterter Sportfan. Neben seiner Liebe zum Rennrad hat er vor einigen Jahren auch das Tauchen entdeckt. Der geborene Wiener war der ärztliche Leiter des Krankenhauses in Dornbirn und Primarius (dt. Chefarzt) der Abteilung für Gynäkologie und Geburtshilfe. Jetzt genießt er seinen Ruhestand.
Fotos: Walter Neunteufel