Leonard Grobien: „Sind nicht allein auf dieser Welt“
Ein Film über Empathie. Speziell in diesen wirren Tagen ist Einfühlungsvermögen auf diversen Ebenen wertvoll. Geht es doch um die Fähigkeit und Bereitschaft, sich in einen anderen Menschen hineinzuversetzen. So einen Menschen, dazu noch jung an Jahren, habe ich kennengelernt – und Leonard Grobien geht mir seitdem nicht mehr aus dem Kopf. Im folgenden Interview erfahrt Ihr mehr über diesen besonderen Mann und seinen neuen Kurzfilm Shut Up.
Zunächst zur Person: Leonard Grobien ist Anfang 20 und studiert an der Kölner Filmhochschule. Er hat den neuen Kurzfilm Shut Up gemacht, für mich geht es darin vor allem um: Empathie. Großartige 11 Minuten lang. Sein Werk hat mich emotional gefangen.
Leonard ist Drehbuchautor und hat zudem etwas, was die meisten Menschen nicht haben: Glasknochen. Ob er mir deshalb so glasklar erklären konnte, worin sich Mitleid von Mitgefühl unterscheidet? Blödes Wortspiel? Vielleicht. In jedem Fall kommt Leonard ohne viele Worte aus und ist stets prägnant. Und: Nach unserem Gespräch weiß ich zudem, wie reich das Leben für Menschen mit Glasknochen sein kann!
Erfahren habe ich von Leonard und seinem Filmprojekt aus dem Kölner Stadt-Anzeiger. Leonards Vater, den ich aus meiner Zeit in der Bonner Politik kenne, schickte mir das einfühlsame Porträt mit den Worten:
„Leider ist die Überschrift etwas irreführend – Mein Sohn meint eher, dass man nicht jammern sondern einfach das Beste aus seinem Leben machen soll…“
Und sofort dachte ich, was für ein ohfamooses Thema!
In Leonards Film geht es um einen Schauspieler, der in einem staubigen, fast leeren Waschsalon seine Texte lernt. Setting: Ende der 90er Jahre. Dabei bekommt er einen Anruf und erfährt: Er hat seine Stimme nicht nur temporär sondern für immer verloren. Der darauf folgende, emotionale Zusammenbruch bleibt nicht unbemerkt: Die fremde Frau neben ihm fängt ihn auf, unterstützt mit ganz viel Empathie. Ob sie es schafft, ihn durch ihre Aktion auf den richtigen Weg zu bringen, bleibt offen…
Leonard und ich treffen uns da, wo er studiert: in der Kölner Filmhochschule. Sprechen über den Film, dem ich es mehr als wünsche richtig bekannt zu werden. Das Ende ist offen – und obwohl ich offene Enden wenig schätze: Hier gefällt es mir gut. Leonard erwähnt „die kleine Nuance“ im Blick seines Protagonisten; und ich antworte – wir sind bereits im Interview-Modus:
Die Nuance ist sehr wichtig, richtig?
Leonard Grobien: Genau, der Schnitt muss genau da sein. Keine Mini-Sekunde früher oder später.
Das Hauptthema Deines Films ist Empathie. So verstehe ich es jedenfalls. Was macht das mit Menschen, die davon zu wenig haben?
Es macht sie irgendwie hilflos, mittellos, finde ich, weil ihnen diese wichtige Fähigkeit fehlt, es geht ja ums Geben und nicht ums Nehmen. Und das zu können, hat ganz viel Wert – fürs Umfeld und am Ende auch für sich selbst.
Hat unsere Gesellschaft zu wenig Empathie und wenn ja: warum braucht eine Gesellschaft diese Fähigkeit?
Ja, fehlt auf jeden Fall. Empathie ist sehr wichtig für den Kollektivgedanken, zu wissen dass man mehr ist als nur seine Familie und seine Freunde. Es geht viel weiter, man muss wenigstens in Ländergrenzen denken und einen Beitrag leisten, dass es allen gut geht. Nicht nur sich selbst. Und dieses Bewusstsein ist bei ganz vielen da.
Das empfindest Du so?
Die Mehrheit hat es einigermaßen verinnerlicht, das spüre ich in meinem Umfeld, ja. Es ist meine Absicht, mich mit Leuten zu umgeben, die da sensibel für sind.
Momentan befindet sich unsere Gesellschaft im Ausnahmezustand. Fehlt da Empathie jetzt besonders?
Alles, was wir jetzt selber an Verbesserungen der aktuellen Situation in der Hand haben, kommt durch ein empathischeres Denken. Mehr auf die Hilfsbedürftigkeit der anderen eingehen z.B. Das setzt voraus, dass Du nachvollziehen kannst, wie es den anderen überhaupt geht. Genauso, wie den anderen noch etwas übrig zu lassen. Man ist nicht allein auf der Welt und am wenigsten, wenn alle plötzlich zu großer Angst neigen könnten.
Kommen wir wieder auf Dich zu sprechen: Du hast ja Glasknochen und man nennt das besser Gendefekt als Krankheit, hast Du mir bereits vermittelt. Seitdem ich Dich kenne und anderen berichte, was für einen besonderen jungen Mann ich da kennengelernt habe, höre ich oft als Erstes: „Oh Gott, das ist ja schlimm, der ist ja arm.“ Und ich entgegne dann: Halt, Stopp, der ist nicht arm. Wie regierst Du, wenn Dich Menschen fälschlicherweise so betrachten?
Ich will diesen Leuten beweisen, dass ich nicht arm bin. Sondern eher das Gegenteil.
Wie sieht Dein Reichtum aus?
Es überwiegt, wenn man es richtig macht, der Vorteil, den man daraus ziehen kann. Ich mache so viele Erfahrungen, die so viel Wert haben!
Was bedeutet das konkret?
Vielleicht liegt es nicht da dran: Aber ich habe in meinem Leben ganz viel Liebe erfahren. Das ist ein enormer Reichtum, den ich mit mir tragen darf.
Nicht nur von Deiner Familie…
… genau, vor allem von meiner Familie, aber auch von Freunden, Bekannten und eben auch von Menschen, die mir erst fremd waren und die ich dann kennenlernen durfte.
Und vielleicht ist man auch reich durch einen anderen Blick auf die Welt – die Perspektive ist ja immer anders; nicht nur physisch niedriger, sondern mir fallen einfach andere Sachen auf.
Man guckt einmal mehr hin. Und auch lieber einmal mehr als zu wenig.
Denn das kann zu einem Problem werden, wenn man gewisse Stolpersteine übersieht.
Eine schöne Metapher für eine andere Wahrnehmung! Sind Menschen vielleicht achtsamer im Umgang mit Dir als z.B. mit Tanja (ich deute auf die Fotografin im Raum) und mir?
Das könnte sein, ja. Also, die Zerbrechlichkeit, die sie vermuten und sehen, findet nicht nur in der Physis statt: Dass sie z.B. vorsichtiger bei Berührungen sind; sondern es überträgt sich auf das Verhalten für das innerliche Beisammensein. Die Zwischenmenschlichkeit ist anders. Und deshalb verstehe ich auch, dass Menschen anders zu mir sind, denn äußerlich habe ich ja etwas nicht, was andere haben.
Du meinst beispielsweise das Gehen?
Genau oder eben normale Knochen. Und dann muss ich dem Menschen erzählen, was er nicht sieht. Denn das kann er ja nicht wissen…
Ich greife noch mal Deinen Film auf: Dort hat die Frau für den fremden Mann nicht nur Mitgefühl, sondern sie macht eine Aktion draus. Kannst Du uns Mitleid und Mitgefühl bitte noch mal sauber voneinander abgrenzen?
Ich glaube, aus Mitleid kann viel schwieriger eine Aktion werden. Aus Mitgefühl schon, denn das ist konstruktiv, das erschafft etwas. Wohingegen Mitleid („Der Arme!“) darin endet, dass ich nichts tun werde. Also entsteht keine Handlung.
Weil Mitleid blockiert?
Genau, weil man dann im wahrsten Sinne des Wortes leidet. Schon mit der Person, aber aus nur Leiden wird eben auch nur Leiden bleiben.
An dieser Stelle wurde das Interview unterbrochen, weil ich einen Anruf bekam. Mir hat es als Schlusswort für unser Interview gut gefallen.
Wir haben dann noch gesprochen darüber, wie „erhebend“ Mitgefühl sein kann und ich habe Leonard nach einem großen Wunsch gefragt. Wie der lauten würde, dürfte er ihn äußern. Auch darauf war seine Antwort so einfühlsam, wie ich ihn kennengelernt habe. Sie lautete:
Mein Wunsch wäre, dass jeder Mensch effektiv fühlen kann, was andere fühlen, um sich in die Lage der anderen zu versetzen.
Geht es noch ohfamooser? Ich glaube: Nein.
Noch ein paar Informationen über Leonard und seinen (vererbbaren) Gendefekt Glasknochen:
Leonard sitzt, wie die Fotos zeigen, im Rollstuhl. Er ist ein cooler junger Mann, der seine Worte abwägt, bevor er spricht. Der ganz genau zuhört, viel lächelt und lacht und trotzdem ernst ist. Ja, er spricht voller Bedeutung. Ich glaube, wir haben uns schnell auf einer jedenfalls für mich sehr besonderen Ebene getroffen.
Leonards Eltern hörten nach der Geburt die Prognose: Ein Jahr Lebenserwartung. Es ist also nicht irgendwer, in dessen Kopf das Drehbuch entstanden ist. Weil es nicht Semesterabschlussfilm wurde, entwickelte Leonard den Stoff während eines Urlaubs in Dänemark weiter. Jetzt ist der Kurzfilm fast fertig.
Wir wünschen uns, zum Beispiel ein Kino hätte Interesse daran, diesen Film zu zeigen. Wer hier Verbindungen hat, kann sich gern unter elke@ohfamoos.com melden.
Der Kölner Stadt-Anzeiger hat unter der Überschrift „Mitgefühl statt Mitleid – Grobiens Film macht den Unterschied“ berichtet.
Fotos: Von der wunderbaren Tanja Deuß