Jede Krise ist auch eine Chance!
Das Coronavirus hat vieles in unserem Leben verändert. Für jeden Einzelnen und auch für unser gemeinschaftliches Zusammenleben. Um unser bürgerliches Leben zu gestalten, brauchen wir eine funktionierende Kommunalpolitik, aber durch Maßnahmen wie Social- Distancing hat speziell die Bürgerbeteiligung in der Kommunalpolitik Federn gelassen. Stattdessen lassen Corona-Maßnahmen Populisten aus dem Boden sprießen, Verschwörungstheorien wachsen wie Unkraut in den sozialen Medien und treiben die Spaltung zwischen politischen Entscheidern und Teilen unserer Bevölkerung voran. Aber es gibt auch gute Nachrichten!
Social distancing hat in weiten Teilen des Landes zu einem politischen Stillstand geführt. Gerade in kleinen Kommunen finden keine Parlamentssitzungen mehr statt. Vieles verharrt, die Schockstarre hält an.
Im Newsletter von Jörg Sommer, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Umweltstiftung und Gründungsdirektor des Berliner Instituts für Partizipation, lese ich, dass eine aktuelle Studie des Instituts, in der über 1.700 vorwiegend kommunale Akteure befragt wurden, überraschend eindeutige Ergebnisse zeigt:
Die Bürgerbeteiligung in Deutschland ist durch Corona weitgehend zum Erliegen gekommen.
„Digitale Beteiligungsformate bieten grundsätzlich die Möglichkeit einer räumlichen und teilweise auch zeitlichen Entkopplung der Beteiligung. Sie stellen daher theoretisch eine geeignete Beteiligungsform dar, um bei unerwarteten Ereignissen eine Verstetigung der Partizipation zu garantieren. Die Auswertung zeigt jedoch, dass dies selten der Fall ist. Zum einen lässt sich dies auf fehlende digitale Möglichkeiten zurückführen. Zum anderen ergab die Befragung, dass vorhandene Optionen lediglich in moderatem Umfang vermehrt genutzt werden.“ (Quelle www.bipar.de)
Bürgerbeteiligung Digital – Fehlanzeige
In Deutschland zeigt sich gerade deutlich: In einer Krise sind wir digital nicht wirklich gewappnet. E-learning und der digitale Unterricht sind nur weitere Beispiele, die nur bedingt funktionieren.
Die Corona-Krise offenbart die Schwächen unseres gesellschaftlichen Systems – und zeigt, wie dringend notwendig grundlegende Veränderungen sind. Das konstruktive Potenzial, das Technologie und digitales Denken für unsere Gesellschaft insgesamt haben, besprechen auch Georg Diez und sein Mitautor Emanuel Heisenberg ausführlich in ihrem Buch „Power to the People“.
Bislang überwiegt die Skepsis
In Deutschland steht man der Digitalisierung aber weiterhin sehr skeptisch gegenüber: Überwachung, Manipulation, Fake News. Dabei bietet Digitalisierung enorme Möglichkeiten, unsere Demokratie zu erneuern. Die Autoren plädieren in ihrem Buch für einen anderen Umgang mit den neuen Technologien. Sie beschreiben, wie Identität, Autonomie und Mitbestimmung mit digitalen Mitteln erreicht werden können, etwa durch Bürgerversammlungen und neue Formen der Abstimmung.
Zurück zur Studie: „Über drei Viertel der für die Studie Befragten bestätigten, dass Beteiligungsveranstaltungen abgesagt wurden. Die meisten Kommunen sind auch nicht in der Lage, diese kurzfristig durch Onlinebeteiligung zu ersetzen. Nur rund ein Drittel der Befragten praktiziert überhaupt digitale Beteiligungsverfahren. Über 90 % der Fachleute aus Politik bzw. Verwaltung glauben, dass digitale Tools den persönlichen Austausch nicht vollwertig ersetzen können.“
Jörg Sommer schreibt dazu: „Dabei geht es nicht um den Ersatz, sondern um die Ergänzung. Doch auch hier sind die Aussichten nicht rosig. In vielen Kommunen gibt es bislang kaum die technischen, finanziellen oder personellen Ressourcen.“
Frustrierte BürgerInnen
In unserer aktuellen Situation ist das fast schicksalhaft. Ohne ein Mittel, sich politisch zu beteiligen, wächst die Frustration der Bürger und Bürgerinnen. Eine Ohnmacht macht sich breit und wird Nährboden der Verschwörungstheorien. Unsere Demokratie wird geschwächt, die Vertrauensbasis in die kommunale Verwaltung und Politik erodiert. Eine Spirale, die es aufzuhalten gilt.
Die Studie aus Berlin zeigt aber auch sehr deutlich, dass Bürgerbeteiligung ein weitgehend unkoordiniertes Feld in Deutschland ist. Ein Antrag an das Stadtparlament für mehr Bürgerbeteiligung in meiner Heimatgemeinde Lich liegt schon seit vielen Monaten auf Eis. Es gibt derzeit keine nationalen Standards, keine Prozesse, keine Strukturen, an denen sich kleine Kommunen orientieren können.
Das Berlin Institut für Partizipation schlägt deshalb ein Nationales Kompetenzzentrum für Bürgerbeteiligung vor. Ein Kompetenzzentrum könnte Strukturen entwickeln, die es insbesondere den weniger gut ausgestatteten Kommunen ermöglichen, Beteiligung zu organisieren – und wäre eine unabhängige Erstberatung für kommunale „Neueinsteiger“.
Wie schreibt Jörg Sommer so treffend: „Wir haben ein Umweltbundesamt, ein Bundesamt für Kartographie und Geodäsie, ein Bundesamt für Naturschutz, eine Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin und über 100 ähnliche Bundesämter und -einrichtungen mehr. Das leisten wir uns. Ein Bundesamt für Bürgerbeteiligung dagegen nicht.“
Wir finden, das ist eine ohfamoose Idee!
Fotos: pixabay