Digitalisierung an Schulen: So denken Schüler
Corona zeigt, wie es um die Digitalisierung an Schulen steht. Viel wurde geschrieben über desaströse Zustände an Schulen. Klagen über Klagen – ob von Lehrern, Eltern oder Politikern. Aber es gab und gibt auch Reformer, die positiv denken. Schulleiter, die die Coronakrise nutzen, um Neues auszuprobieren. Und es gibt Schüler*innen, die sich konstruktiv zu Wort melden. Wir haben zwei gefragt, was sie zur Digitalisierung in ihrer Schule zu sagen haben.
Wir beginnen mit Hanno Reents, fast 17 Jahre alt, aus der 11. Klasse am Gymnasium Miesbach in Bayern. Dort macht Hanno nächstes Jahr sein Abi. 2011 besuchte er ein Jahr eine Schule in Woking (England), 2018/19 lernte er ein halbes Jahr in New Rochelle (USA).
Wie hat Hanno die letzten Monate in der Coronazeit erlebt? Sind „die Schulen“ wirklich so schlecht ausgestattet? Wie erleben er – und nächste Woche dann Cara aus Hessen im Interview mit Sonja – ihr Lehrpersonal? Wo sehen sie Chancen, was ist verbesserungswürdig, was klappt schon jetzt?
Hanno, ist „Dein“ Gymnasium gut auf digitales Arbeiten eingestellt?
Zumindest ist der Wille für Digitalisierung vorhanden. Und es wird viel Geld dafür investiert, in jedem Klassenzimmer eine Dokumentenkamera, einen Beamer und ein Laptop für den Lehrer zu haben. Es gibt drei Rechnerräume, wo für jeden Schüler für den Informatikunterricht ein Computer zur Verfügung steht, und wir haben die Lernplattform Mebis, um digital Unterrichtsmaterialien oder jetzt auch Aufgaben zu erhalten.
Gerade jüngere Lehrer haben den Willen zu digitalisieren
Gerade bei jüngeren Lehrern sehe ich den Willen, uns zum Beispiel eine Simulation eines Physik-Versuchs zu zeigen, die wir im Klassenzimmer nicht durchführen können, um so den aktuellen Stoff zu veranschaulichen.
Ist Digitalisierung demnach eine Frage von Ausstattung, auf die das Thema oft reduziert wird?
Als ich ein halbes Jahr in Amerika an der Thornton Donovan School in New Rochelle war, war diese deutlich schlechter ausgestattet. Dort gab es in jedem Klassenzimmer einen Fernseher, um den Schülern etwas zu zeigen und wir haben über Google Classroom unsere Hausaufgaben erhalten (vergleichbar mit Mebis). Dokumentenkameras oder Rechnerräume gab es nicht.
Digitalisierung an amerikanischen Schulen klappt besser
Ich betone das absichtlich, weil ich trotzdem finde, dass Digitalisierung in der amerikanischen Schule besser funktioniert hat. Dort fehlte zwar die Ausstattung, aber dafür hat jeder Schüler immer sein eigenes Laptop im Unterricht dabeigehabt, um damit zu arbeiten. Mittlerweile hat ja fast jeder einen eigenen Computer oder zumindest die Möglichkeit sich einen zu besorgen. Für diejenigen, die sich das nicht leisten können, müsste natürlich gesorgt werden. Ich glaube, dass nicht nur unsere Schule hier die Mittel aufwenden könnte, um alle so auszustatten, dass jeder, der keinen eigenen Rechner besitzt, trotzdem mitarbeiten kann. Ist der Wille dazu da, wird ein Weg gefunden.
Wie beurteilst Du die verschiedenen Lernplattformen?
Die Lernplattform Mebis mag zwar eine gute Idee sein, aber ist einfach schwer zu verwenden, da die Server überlastet sind, es schlecht strukturiert und ziemlich unübersichtlich ist. Dagegen fand ich Google Classroom sehr intuitiv und einfach zu bedienen. Der Unterschied zwischen den beiden ist gewaltig und zeigt das Problem ganz gut. Die Schule in Deutschland ist vom Staat gezwungen Mebis zu verwenden, während die Schule in Amerika freie Auswahl hat und selbst ausprobiert, was funktioniert und was nicht. Dass dabei auch etwas schieflaufen kann, ist klar. Macht aber nichts, weil man so viel lernt, wenn man Probleme selbst lösen muss. Wenn ich die Wahl zwischen Mebis und Google Classroom hätte, wäre die Entscheidung sehr einfach.
Was sollte Deutschland anders machen im Vergleich zu dem, was Du z.B. in den USA oder England gesehen hast?
In Deutschland müssen Lehrer nach einem Lehrplan handeln, das heißt, dass zum Beispiel mein jetziges Wirtschaftsbuch 12 Jahre alt ist und die Themen darin kaum noch aktuell sind. In der Thornton Donovan School hingegen gab es nur ein Ziel – und der Weg dahin war unbestimmt. So haben wir im Unterricht immer etwas Neues ausprobiert und auch der Lehrer wusste meistens nicht, was wir am nächsten Tag tun würden. Oft haben wir uns jeder ein Programm heruntergeladen, damit ein paar Dinge gemacht und am nächsten Tag gelöscht, um etwas völlig Neues zu verwenden.
Klingt ineffizient…
Ja, ist es aber nur auf den ersten Blick. Weil der Lehrer mit jedem Programm auch an seine Grenzen kam und oft nicht wusste, wie man da jetzt weiter macht, entstand viel gute Energie. Denn nun war ich als Schüler in so einer Situation motiviert herauszufinden, wo die Grenzen des Ganzen waren.
Ich hatte Spaß dabei, etwas Neues zu entdecken und Dinge auszuprobieren, die auch der Lehrer bis dahin noch nicht kannte.
So habe ich mit Freude abends um zehn Uhr noch an einer Webseite geschrieben, um ein ganz neues Skript auszuprobieren, wobei der Lehrer uns auch um diese Uhrzeit noch Fragen dazu beantwortet hat.
Du hattest in den USA offenbar ebenfalls sehr motivierte Lehrer!
Stimmt. Sie waren sogar oft von dem, was Schüler entdeckt haben, so begeistert, dass es am nächsten Tag sofort in den Unterricht aufgenommen wurde und meistens sogar Eingang in die Tests fand. Diese ‘learning by discovery‘ Herangehensweise bringt auch noch eine Menge Flexibilität mit sich.
Wie meinst Du das?
Wir hatten einmal zum Beispiel das Problem, dass uns unsere Laptops gestohlen wurden. Die Schule hat uns dann sehr einfache Notebooks im Wert von etwa 300€ ausgeliehen. Auf diesen Ersatzgeräten konnten wir keine eigene Software installieren. Also haben die Lehrer ihren Unterricht total flexibel angepasst. Sie haben dafür gesorgt, dass wir auch mit diesen Geräten bei allem mitmachen konnten bis wir wieder neue hatten.
Wäre das in Deutschland auch denkbar?
Ich wünschte mir das sehr! Allerdings merke ich bislang vor allem, welche Probleme die Lehrer jetzt durch Corona haben, weil sie den Lehrplan durchbringen müssen. Offenbar haben sie nicht die Freiheit, einfach etwas Neues auszuprobieren. Vielleicht nutzen sie sie auch noch nicht gut genug, das kann ich nicht flächendeckend beurteilen.
Vielen Dank für Deine Antworten und weiter viel Erfolg!
Hanno Reents, Jahrgang 2003, besucht die 11. Klasse eines Gymnasiums in Miesbach, wo er 2021 Abi machen will. Er hat das Schulwesen auch in England und den USA kennenlernen dürfen. In seiner Freizeit engagiert der fast 17jährige sich als Jugendleiter der Evangelischen Jugend. Dort leitet er mit anderen zum Beispiel Freizeiten und Zeltlager, gestaltet den Konfirmandenunterricht mit oder liebt es selbst etwas Neues zu organisieren – wie beispielsweise einen 3D-Druck Stand. Mit diesem werden Modelle der Kirche in 3D gedruckt und verkauft. Zusammen mit einem seiner zwei Brüder und anderen Jugendlichen sammeln sie damit Spenden für den Umbau des Gemeindehauses. Hannos Projekt in 2020: Zusammen mit anderen Jugendleitern will er den Film „2467 km“ in der Kirche zeigen. Auch ein Gespräch mit dem Filmemacher Pascal Rösler war geplant – und wird nach der Coronakrise hoffentlich stattfinden. Hanno ist einer von drei Söhnen unseres Gastautors Martin Reents.
Abschließend der Blick auf ein Interview von ZEIT ONLINE. „Frei wie nie“ lautet der für mich überraschende Titel. Zur Sprache kommen zwei Rektoren und eine Schulleiterin. Alle drei wenden sich gegen das weit verbreitete Urteil, Vorgaben von Behörden würden Reformen zum Scheitern verurteilen. Das Gegenteil sei der Fall! Schulen hätten viele Freiheiten, die sie oft leider nicht nutzen.
Und sie sprechen von einem solch‘ enormen Schub, dass man denkt: Toll, jetzt kommen sie also, die Bildungsinitiativen. „Es war“, sagt Maike Schubert, „als hätte man uns Fesseln abgenommen.“ Die Frau leitet eine Reformschule in Hamburg. Ich empfehle das ZEIT-Gespräch sehr – zeigt es doch, was möglich ist, wenn innovativ denkende Lehrer*innen die Corona-Ausnahmesituation für überfällige Reformen nutzen. Wenn zudem Schüler wie Hanno mithelfen und kreativ denken, sind hoffentlich viele Klagen über hilflose Schulen bald passé… die ohfamoose Hoffnung halten wir jedenfalls hoch! 🙂
Fotos: via Familie Reents