Journalisten leben von ihrer Glaubwürdigkeit
Lügenpresse. Seriöse Medien. Wer gehört wohin? Gibt es zentral gesteuerte Journalisten? Wie steht es um die Glaubwürdigkeit von Journalisten? Klaus Schrotthofer, der als Journalist in ganz unterschiedlichen Funktionen und bei verschiedenen Medienhäusern gearbeitet hat, spricht im Interview mit Elke über seine Kollegen und auch sich selbst: Über Journalisten, die nicht fehlerfrei sind, in der Regel aber freien Medien angehören.
Klaus, Du leitest seit 2014 die Mediengruppe „Neue Westfälische“ in Bielefeld. Nun hat einer Deiner Posts auf Facebook über die Frage, wer die Wahrheit kennt bzw. was sie eigentlich ist, hohe Wellen geschlagen. Innerhalb von nur wenigen Tagen über 4.000 Likes zu bekommen und fast genauso oft geteilt zu werden, das ist Dir noch nie passiert, oder?
Stimmt. Ich war auch einigermaßen überrascht von diesem Echo. Dieser sehr spontan entstandene Text scheint einen Nerv getroffen zu haben.
Worum ging es konkret?
Der Anlass war ein sehr kurzer Disput mit einem Facebook-Freund, der offensichtlich zu den Corona-Skeptikern gehört. Dass er den Begriff Qualitätsmedien in Anführungszeichen setzte und erkennbar rhetorisch fragte, wer die Wahrheit kennt, hat mich geärgert. Und weil mir dieses Zerrbild von den angeblich manipulierenden, interessegeleiteten Medien immer häufiger begegnet, habe ich nicht nur ihm geantwortet. Ich habe mein ganzes Berufsleben für seriöse Medien gearbeitet und mir dabei nie eingebildet, die ganze Wahrheit zu kennen. Ich habe mich aber wie viele andere um die Wahrheit bemüht. Das ist professionelle Arbeit: Als Journalist lernst Du, zu recherchieren, Informationen einzuordnen und zu bewerten.
Und bewerten heißt für einen Journalisten …
… die Plausibilität von Informationen einzuschätzen. Es geht eben nicht um die eigene Meinung eines seriös arbeitenden Journalisten, das ist ein großes Missverständnis! Auch die immer öfter zu hörende Unterstellung, Medien würden in irgendeiner Weise zentral gesteuert, ist einfach Unsinn. Ich war bei sehr unterschiedlichen Arbeitgebern, von Burda über Gruner+Jahr bis Funke, und ich bin ich noch nie aufgefordert worden, im Interesse einer übergeordneten Instanz etwas Unwahres zu verbreiten.
Denn dem „Lügenpresse“-Geschrei zum Trotz sind Medien in Deutschland eben: frei.
So ist das. Und in meinem Post habe ich mehrfach betont: Sie sind gewiss nicht fehlerfrei, aber frei. Frei zu entscheiden, was und wie sie berichten. Das unterscheidet Qualitätsmedien von staatlich gelenkten Propaganda-Kanälen wie dem russischen Auslandssender RT. Dabei ist genauso klar: Es gibt keine absolute Objektivität. Auch die Wahrnehmung von Journalisten, die sich zum Beispiel darum bemühen, Fake News von echten News zu unterscheiden – was oft schwer genug ist –, wird wie bei allen Menschen immer beeinflusst sein von der eigenen Geschichte, von Erfahrungen, Ängsten oder Hoffnungen. Das ist normal und völlig in Ordnung.
Denn es gibt ja Regeln.
Genau, im Journalismus gibt es Regeln, die ein möglichst hohes Maß an Objektivität und Wahrhaftigkeit sicherstellen sollen. Daran halten sich nach meiner Erfahrung die allermeisten Profis. Sie leben nämlich, und das ganz wörtlich, von ihrer Glaubwürdigkeit. Und so habe ich nicht selten um „meine“ Wahrheit gestritten, musste die Richtigkeit meiner Berichte belegen und erklären, worin die Relevanz einer Nachricht für einen größeren Empfängerkreis besteht.
Und genau das tun Tausende von Journalistinnen und Journalisten im ganzen Land jeden Tag. Nicht fehlerfrei. Aber frei.
Das unterscheidet sie von vielen, die bei Facebook und anderswo ungeprüfte oder unüberprüfbare Behauptungen in die Filterblasen pumpen und sie damit zu ungeheurer Größe aufblähen.
Aber wenn es nicht immer einfach ist zu erkennen, was wahr und unwahr ist: Kann die Perspektive dann nicht zu unterschiedlichen Wahrheiten führen?
Natürlich. Umso wichtiger ist professionelle Distanz und ein möglichst unvoreingenommener Blick auf die Dinge. Die Wahrheit zu erkennen, ist ja kein Privileg von Journalisten. Manchmal hilft schon schlichter Menschenverstand, am besten in Verbindung mit einer gesunden Skepsis gegenüber allem, was besonders spektakulär daherkommt. Ich finde grundsätzlich, dass jede Aussage belegbar sein sollte. Wenn es um Behauptungen geht, die dem allgemeinen Wissenstand fundamental entgegenstehen, erwarte ich besonders gute, plausible und nachprüfbare Belege.
Warum hältst Du es für sehr unwahrscheinlich, dass – ich zitiere aus Deinem Post – „ausgerechnet die mir bis vor kurzem völlig unbekannten Galionsfiguren der aktuellen Protestbewegung eine gigantische Verschwörung aufgedeckt haben, die die gesamte freie Welt bislang nicht bemerkt haben soll“?
Weil es diese plausiblen und nachprüfbaren Belege eben nicht gibt. Nicht für die Behauptung, dass beispielsweise Bill Gates die Weltbevölkerung beherrschen, mit Chips versehen oder gar ausrotten will. Auch nicht dafür, dass die 5G-Technologie erfunden worden sei, um die Menschheit zu versklaven. Ich habe bislang weder einen überzeugenden Beleg für die Existenz einer geheimen (jüdischen?) Weltregierung gesehen noch für unterirdische Kinderlager, aus denen eine Elite sich angeblich mit Menschenblut versorgt. Eine finstere Macht soll die Bundesregierung wie Marionetten steuern? Und dann – in wessen Auftrag auch immer – eine Pandemie erfinden, um unser politisches oder wirtschaftliches System zu verändern?
Ich glaube das alles nicht, weil ich bisher keinen einzigen überzeugenden Beleg dafür gefunden habe. Weil ich manche der handelnden Personen persönlich kenne. Und weil eine große Zahl von belegbaren Fakten dagegenspricht.
Aber auch Du kennst „die Wahrheit“ ja nicht…
Ja, aber ich maße mir nicht an, anderes zu behaupten. Auch ich bin verunsichert von den Auswirkungen dieser Pandemie und ich bin davon überzeugt, dass es auch jenen so geht, die in dieser Zeit so weitreichende Entscheidungen zu treffen haben. Wir wissen noch immer zu wenig über das Corona-Virus und mit fortschreitendem Wissenstand ändern sich auch die Einschätzungen der Wissenschaft. Ich finde nicht alle Maßnahmen, die in Deutschland ergriffen wurden, angemessen und plausibel. Ich verstehe und teile nicht alle Äußerungen der Politik. Aber ich glaube nicht, dass Sadismus, Niedertracht oder die Lust am Zusammenbruch das Handeln der Regierenden leitet. Vielmehr habe ich den Eindruck, dass die Mitglieder von Bundes- und Landesregierungen sich ehrlich bemühen, unter ständig sich verändernden Bedingungen die richtigen Entscheidungen zu treffen, um uns halbwegs sicher durch diese beispiellose Zeit zu bringen.
Zur Demokratie gehört aber auch, dass Kritik geübt werden darf.
Natürlich und gerade deshalb ist es ja so wichtig, eine freie Presse zu haben. Gerade weil niemand fehlerfrei ist, darf und soll man Fehler kritisieren. Aber die Maßlosigkeit der Angriffe der so genannten Corona-Gegner erschreckt und beunruhigt mich.
Regelrecht wütend macht mich die Gedanken- und die Rücksichtslosigkeit, mit der viele Menschen derzeit auf alles einschlagen, was dieses Land bisher zusammengehalten und zu einem der privilegiertesten Orte weltweit gemacht hat.
Mich stört die Anmaßung, die aus so vielen verbreiteten Halb- und Unwahrheiten spricht, mich besorgt die Aggression, die so viele Wortmeldungen durchzieht – und die immer häufiger in realer Gewalt explodiert.
Sollten wir uns also damit begnügen, die Wahrheit nicht zu kennen?
Ich kenne „die Wahrheit“ so wenig wie Du. Ich kenne Teil-Wahrheiten und ich messe sie ständig neu an der sich verändernden Wirklichkeit. Auch meine Überzeugungen reiben sich immer wieder an dieser Wirklichkeit. Manches aber muss und will ich nicht in Frage stellen. Ich bin davon überzeugt, dass eine wirklich freie Gesellschaft nur mit Anstand, Respekt, Toleranz und Solidarität funktionieren kann. Ich bin davon überzeugt, dass die Radikalen, die Nazis, die Menschenfeinde, die ich in Berlin gesehen habe, keinen Beitrag zu einer freien Gesellschaft leisten können. Das halte ich für eine Wahrheit – und darüber habe ich auf Facebook geschrieben. Schön, dass ich es in Deinem Blog festhalten darf.
Klaus Schrotthofer (54) hat als Journalist in ganz unterschiedlichen Funktionen und bei verschiedenen Medienhäusern gearbeitet. Als Korrespondent in Bonn für die Augsburger Allgemeine und das Magazin FOCUS – in dieser Zeit lernte er Elke kennen –, später in den Chefredaktionen des Kölner Stadt-Anzeigers und der Berliner Zeitung. Bevor er als Chefredakteur zur Westfälischen Rundschau nach Dortmund ging, wechselte er für eine Weile die Seite und war als Sprecher des Bundespräsidenten Johannes Rau im Berliner Bundespräsidialamt tätig. Seit 2014 leitet er als Geschäftsführer und Herausgeber die Mediengruppe „Neue Westfälische“ in Bielefeld, zu der neben der Tageszeitung digitale Nachrichtenseiten und Radiobeteiligungen gehören.
Fotos: privat und Ingo Roman Becker
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