Körpermutig
Ein selbstbestimmtes Leben führen, wer möchte das nicht. Dafür braucht es oft Mut – etwas, was sich trainieren lässt. Ohfamoose Leser kennen Tanja Peters, die Mutberaterin aus Köln, bereits aus unserem Mut-Talk. Im Interview heute geht es speziell um: Körpermut. Den wir oft nicht finden vor lauter Abwertung. Wie Du Dich in Dich selbst verliebst und warum unsere Diätkultur so absurd ist, dazu antwortet Tanja auf Elkes Fragen – und wir dürfen uns einmal mehr klar werden: Unser Körper ist ein Gesamtkunstwerk.
Tanja, Dein Lebensthema ist der Körpermut. Verrätst Du uns Deine Maße?
Ich kenne meine Maße nicht, deshalb nein. Und unter uns, ich halte weder die Frage noch die Antwort für relevant. Weder für mein Leben noch für das der Leser😊
Warum konntest Du Dich und Deinen Körper nicht so lieben, wie es nötig war, um ins Gleichgewicht zu kommen?
Die Frage impliziert ja, dass ich nicht im Gleichgewicht bin und dass die fehlende Körperliebe der Grund dafür ist. Genau hier zeigt sich das Problem. Es gibt eine Diätkultur in unserer Gesellschaft. Das führt dazu, dass wir denken:
Schlank = gut, glücklich, gesund, liebt sich selbst, ist im Gleichgewicht und wohlmöglich auch noch erfolgreich
Dick = das alles nicht!
Das ist absurd…
… genau, Du als schlanker Mensch kannst sicherlich bestätigen, dass diese Diätkultur nicht nur total nervt, sondern auch nicht der Wahrheit entspricht. Die schlanken Frauen hängen genauso in der Abwertungsschleife wie Menschen mit anderen Herausforderungen, zum Beispiel Krankheit, Behinderung, zu groß, zu klein – eben einfach anders, als das Schönheitsideal es uns vorgibt.
Warum werten sich vor allem Frauen so ab und hadern permanent mit oder an sich rum?
„Das Vergleichen ist das Ende des Glücks und der Anfang der Unzufriedenheit“ – das hat schon Søren Kierkegaard gesagt. Wir vergleichen uns heutzutage mit unrealistischen Vorbildern, unser Schönheitsideal ist geprägt von Selbstoptimierung und einem bestimmten Bild, dem gerade wir Frauen entsprechen sollen. Das tun aber die wenigsten von uns und so hängen wir alle in der Falle.
In der Falle der Abwertung?
Ja, wir entsprechen nicht, aber wünschen es uns so sehr. Und dann ist die Abwertung nicht mehr weit. Je nachdem, was wir dann im Außen an Feedback erhalten, welche Erfahrungen wir mit unserem Körper machen, bleibt die Abwertung und begleitet uns. Deshalb geht es im KörperMUT auch nicht ums Dicksein, sondern um die Annahme dessen, was ist: Raus aus der Scham, rein in die Selbstliebe, damit ein freies und glückliches Leben gelingen kann.
In Deinem Buch gibt es u.a. diese klare Message: Nur wer „die eigene Hülle als Ausdruck der eigenen Seele in diesem Leben annimmt“, könne wirklich authentisch, selbstbestimmt und frei leben. Du bist mit Deinen Pfunden also im Reinen?
Ich kann meine Pfunde als das annehmen, was sie sind. Genauso wie Falten die kommen, meine Locken oder andere Besonderheiten an meinem Körper.
Dann bist Du, gratuliere, weiter als ich; ich gewöhne mich schwer ans Älterwerden, aber das ist ein anderes Thema. Einer Deiner Impulse, der mir gut gefällt, lautet: „Seziere Deinen Körper nicht so sehr.“ Was steckt dahinter?
Damit meine ich, dass unser Körper ein Wunder ist. Wir atmen und leben, einfach so, automatisch. Wenn wir uns in den Finger schneiden, dann heilt unser Körper sich selbst, ohne dass wir bewusst etwas dafür tun müssen. All das nehmen wir oft als selbstverständlich wahr, holen die Lupe raus und ärgern uns über einen Besenreißer am Bein oder eine Unreinheit im Gesicht.
Deshalb hilft es, unseren Körper des Öfteren als das Gesamtkunstwerk wahrzunehmen und anzuerkennen, welches er ist.
Wie unglaublich unser Körper funktioniert und uns durchs Leben begleitet, dann haben wir die Chance, mit den kleinen und großen Unzulänglichkeiten vielleicht ein bisschen gütiger umzugehen.
Ein großes Thema ist ja auch die Scham. Scham nicht zu genügen, nicht richtig zu sein. Wer setzt eigentlich diese Standards, Heidi Klum?
Heidi Klum ist sicher nicht alleine schuld, aber Sendung wie GNTM tragen natürlich dazu bei, dass wir keinen liebevollen Blick auf uns werfen, sondern weiterhin kritisch „sezieren“ und in der Abwertung bleiben. Dann ist Scham nicht weit und hält uns oft davon ab, endlich in die Annahme zu kommen.
Und wie komme ich aus dieser Scham raus?
Scham kann nur in der Dunkelheit überleben und uns weiß machen, dass wir nicht liebenswert und genug sind. Deshalb ist sich zeigen und nicht mehr verstecken der erste Schritt raus aus der Scham. Wenn wir uns dann mit anderen verbinden, stellen wir oft fest, dass auch das Gegenüber Themen hat, für die er oder sie sich schämt. Dann erfahren wir Verbindung statt Ablehnung, Zuspruch statt Abwertung und können ein Stück die Scham ablegen.
Kannst Du das noch ein bisschen konkreter machen? Gibt es weitere Schritte, die Du empfiehlst?
Erst mal braucht es die Entscheidung, wirklich aus dieser Spirale auszusteigen. Wenn klar ist, ich will bei dem Abwertungsspiel nicht mehr mitmachen, dann geht das Training erst los. Dabei hilft Gedankenhygiene! Immer wieder innerlich Stopp sagen zu den schlechten und abwertenden Gedanken und so langsam Raum schaffen für wertschätzende Gedanken über uns selbst. Hier hilft oft im ersten Schritt in die Dankbarkeit zu gehen. Das ist ein guter Wegbereiter, um irgendwann bei der Selbstliebe anzukommen.
In vielen Medien dominieren leider die schlanken, faltenlosen Menschen ohne jeden Bauchansatz 🙂 …
Ganz wichtig auf dem Weg ist es, seine Sehgewohnheiten zu überprüfen. Wenn wir uns selbst ständig konfrontieren mit dem Schönheitsideal, dann wird es natürlich schwer. Deshalb sortiere ich regelmäßig aus, bei Insta, auf Facebook, nicht zu viele Frauenzeitschriften und ich sage mir immer wieder, wenn ich mal auf Netflix unterwegs bin:
Wow, so schöne Menschen! Das ist nicht die Realität.
Und wenn ich dann doch mal in den Vergleich falle, hilft mir die Gedankenhygiene und ein Dankbarkeitstagebuch.
Sich in sich selbst verlieben – ein Rat am Ende Deiner #KörperMUT Challenge, die Du gemacht hast. Wie verliebt sich eine Frau ganz konkret in ihre Cellulite?
Wir sind schöpferische und bewusste Wesen, wir als Frauen können Leben in die Welt bringen und ich soll wirklich meine kostbare Lebenszeit verschwenden, um über Dellen an meinen Beinen nachzudenken? Dazu sage ich klar NEIN und glaube wirklich, solange uns unsere Beine tragen, ist alles gut.
Kürzlich habe ich gelesen: Die Veranlagung zum Dicksein ist Schicksal – dick zu werden und dick zu bleiben aber nicht. Wie siehst Du das?
Wenn dieser Satz wirklich wahr wäre, dann ist auch dieser Satz wahr: In Armut reingeboren zu werden ist Schicksal, arm zu bleiben aber nicht. Alle hängen immer in der Idee der Selbstoptimierung fest. Wenn Du nicht zufrieden bist, dann verändere es halt. Wenn das so einfach wäre, na dann würden es sicherlich alle tun. Ist es aber nicht. Die Frage ist, warum so viele Menschen in Ihrem Job unglücklich sind und es nicht verändern. Warum so viele Menschen gerne erfolgreich und finanziell frei wären und es eben nicht schaffen. Warum leben so viele Menschen in toxischen Beziehungen und kommen nicht raus. Der einzige Unterschied zum Dicksein: Diese „Unzulänglichkeiten“ sind von außen nicht direkt sichtbar.
Deshalb ist meine Message: Jeder Mensch hat seine Begrenzungen und Herausforderungen in diesem Leben. Jeder Mensch trägt sein Schicksal und es ist vermessen von außen beurteilen zu wollen, wie leicht oder schwer dieses Schicksal wiegt und ob und wie dieses veränderbar ist.
Kürzlich habe ich den Begriff Fatshaming gehört und war perplex, was es alles gibt. Dahinter steht die Tatsache, dass es so viele abwertende Kommentare über (vermeintlich) zu dicke Körper gibt. Um darauf aufmerksam zu machen, werden Geschichten von Betroffenen öffentlich gemacht. Was hältst Du davon?
Ich bin erstaunt, dass Du den Begriff nicht kennst. Da ich schon mein Leben lang mit meinem Gewicht kämpfe, weiß ich genau, welche Diskriminierung am Dicksein hängt. Alles was hilft, dieses Thema öffentlicher zu machen und etwas dagegen zu tun, finde ich gut.
Tanja Peters spricht, schreibt, berät und trainiert – macht so Menschen mutiger. Ihr Credo: Mut wird wie ein Muskel größer und stärker, je öfter wir ihn trainieren.
In ihren MUTmuskeltrainings lehrt sie, wie wir die mutigen Anteile in uns füttern und so stärker werden können. Ihre Geschichten wimmeln von Potentialen und Chancen – bewusst legt die Mutberaterin den Fokus auf die Anteile, die uns unterstützen, selbstwirksam Großes in der Welt zu wagen.
Die Mutberaterin aus Köln war bereits zweimal im ohfamoosen Mut-Talk und Termine von Tanja Peters gibt es auch wieder.
Fotos: Beate Knappe, Gedankentanken und Jodie-Luisa Schwarz