Wer steuert nur unsere Welt?
Es gibt sie nicht… Um es gleich vorweg zu nehmen: Nein, es gibt nicht die große Weltverschwörung, die heimlich und mit bösen Absichten die Welt steuert. Es gibt Heimlichkeit, es gibt Macht, es gibt Verschwörungen und es gibt Absichten, die aus Sicht anderer „böse“ sind, aber die Möglichkeit, die Welt zu steuern, die gibt es nicht. Das schreibt uns Dr. Jochen Roose, der eine repräsentative Studie über Verschwörungstheorien verfasst hat. Davon lasen wir in einer Zeitung, nun nutzt der Soziologe #ohfamoos, um uns im folgenden Gastbeitrag mehr Hintergrundwissen zu geben. Danke, das ist sehr erhellend!!
Die Welt ist zu komplex, es gibt zu viele Menschen mit einem eigenen Willen, um alles und alle zu kontrollieren. Wer immer mit anderen Menschen zu tun hatte – oder auch nur mit sich selbst, kennt das Phänomen, einen Menschen nicht komplett an einem Ziel ausgerichtet (sehr) langfristig steuern zu können. Schon das Schicksal von Neujahrsvorsätzen ist dafür ein schöner Beleg.
Neben diesem „empirischen“, also erfahrungsbasierten Argument gibt es ein zweites, logisches Argument. Wenn es möglich wäre, langfristig die Welt geheim zu steuern, dann gäbe es auch keine Verbreitung von Verschwörungstheorien. Wenn Weltverschwörer die ganze Welt steuern können, können sie auch Hinweise vermeiden. Mindestens müssten sie ja die Verbreitung der Enthüllung ihrer Verschwörung verhindern können. All die Internetseiten über Weltverschwörungen belegen diesen Widerspruch. Verschwörungstheorien sind in sich unlogisch.
Es gibt sie nicht …aber viele glauben daran.
All dies verhindert aber nicht einen weit verbreiteten Glauben an Verschwörungstheorien. In einer repräsentativen Telefonumfrage hat die Konrad-Adenauer-Stiftung erhoben, wie die Menschen eine Aussage zu einer Weltverschwörung beurteilen. „Es gibt geheime Mächte, die die Welt steuern.“ Diese Aussage hielten elf Prozent der Befragten für sicher richtig. Weitere 19 Prozent sind der Ansicht, dies sei wahrscheinlich richtig. Damit halten drei von zehn wahlberechtigten Menschen in Deutschland eine Weltverschwörung für möglich. Diese Frage haben wir wohlgemerkt gestellt, bevor mit der Corona-Pandemie Verschwörungstheorien durch die Medien geisterten.
Wer hält Verschwörungstheorien für wahrscheinlich?
Menschen, die eine Verschwörungstheorie für wahrscheinlich halten oder von ihr überzeugt sind, finden sich in allen Teilen der Bevölkerung. Unter ihnen sind Menschen mit Hochschulabschluss oder Fachhochschulreife oder Hauptschulabschluss. Unter den Wählern der Linken gibt es welche, auch unter den Wählern von CDU oder Grünen oder allen anderen Parteien. Männer und Frauen, Ostdeutsche und Westdeutsche, Junge und Alte halten Verschwörungstheorien für wahrscheinlich oder sicher richtig.
Ganz gleich verteilt sind die Anhängerinnen und Anhänger oder tendenziellen Anhänger von Verschwörungstheorien allerdings nicht. Unter Menschen mit einem niedrigeren formalen Bildungsabschluss sind sie etwas häufiger, vor allem aber sind sie unter den Wählerinnen und Wählern der AfD deutlich häufiger zu finden. Das Misstrauen gegen alles, was in irgendeiner Weise „offiziell“ ist, passt zu der populistischen Haltung der AfD mit ihrer Fundamentalablehnung von Eliten und (Fach-)Autoritäten aller Art.
Warum an Verschwörungstheorien glauben?
Die Frage drängt sich auf: Wie kann es sein, dass so viele Menschen an etwas glauben, das es aus plausiblen und logischen Gründen nicht geben kann? Auf diese Frage gibt es nicht die eine einfache Antwort.
Vermutlich gibt es unter allen, die eine Weltverschwörung für möglich halten, nur eine Minderheit von restlos Überzeugten. Verschwörungstheorien leben von Andeutungen, sie säen hier und da Zweifel und legen sich nicht fest. Gleichzeitig muss nicht jeder Anhänger jede Behauptung im Detail übernehmen.
In unserer Umfrage sollten alle, die eine Weltverschwörung für wahrscheinlich oder sicher wahr halten, im Anschluss Auskunft geben, welche geheimen Mächte die Welt denn steuern. Die Antworten sind eindrucksvoll vielfältig und lassen erahnen, dass auch die Theorien und Vermutungen fast unendlich vielfältig sind. Geheimdienste unterschiedlichster Länder, gern auch gemeinsam, werden als Weltverschwörer genannt, aber auch Regierungsoberhäupter. Natürlich finden sich Klassiker unter den Nennungen, wie die Illuminaten, die Freimaurer und auch die schon seit Jahrhunderten beschuldigten Juden. George Soros oder Bill Gates kommen auch vor. Hinter all diesen Organisationen oder Namen stehen ganz unterschiedliche Verschwörungsvorstellungen, Verschwörungsmythen oder Verschwörungsgerüchte.
Ist der Glaube an Verschwörungstheorien eine Selbsterhöhung?
Der Glaube an Verschwörungstheorien dürfte auf dem menschlichen Hang zum Erkennen von Mustern aufbauen. Wir tendieren dazu, auch dort Muster zu erkennen, wo es keine gibt. Hinzu kommt die Attraktivität von Erklärungen als solchen. Vieles, was in der Welt passiert oder uns zustößt, ist unerklärlich. Verschwörungstheorien erfordern nicht den Umgang mit Zufall oder Wahrscheinlichkeiten, sondern bieten mit der Intention von bösen Mächten eine leichter fassbare Erklärung. Schließlich ist der Glaube an Verschwörungstheorien eine Selbsterhöhung. Während die große Masse die (vermeintlich) wahren Zusammenhänge nicht erkennt, weiß sich der Verschwörungstheoretiker auf der Seite der Erkenntnis.
Nicht zuletzt diese Selbsterhöhung macht eine Abkehr von Verschwörungstheorien schwierig, zumindest für die fest Überzeugten. Andere, die sich eine Weltverschwörung vorstellen können oder hinter dem einen oder anderen Ereignis eine Verschwörung vermuten, sind vielleicht bereit, ihre Position zu überdenken. Ist die unterstellte Steuerbarkeit (fast) aller Menschen wirklich überzeugend?
Ist es wirklich plausibel, dass eine große Zahl von Menschen über sehr lange Zeit einen geheimen Plan verfolgt, während meine Pläne, mehr Sport zu machen, schon nach drei Wochen vergessen sind?
Mit solchen Nachfragen die Diskussion zu suchen, mag nicht immer Freude bereiten, aber eins ist auch klar: Für die von Verschwörungstheorien Beschuldigten ist die Verschwörungstheorie nicht ein lustiges Märchen. Es gibt keine harmlose Verschwörungstheorie.
Gastautor Dr. Jochen Roose ist Referent in der Abteilung Wahl- und Sozialforschung der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS). Er verfasste die Studie „Sie sind überall. Eine repräsentative Umfrage zu Verschwörungstheorien“
Davor hat er als Soziologe an der Freien Universität Berlin, der Universität Leipzig, der Universität Hamburg und der Universität Wroclaw gearbeitet.
Fotos: Pixabay, Jörg Klam
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