Wer wird’s? Sicher ist nur: Es wird ein Mann
Dieses Jahr fängt auch parteipolitisch mit etwas ganz Neuem an – die CDU nennt es Parteitag – Digital Edition. Das klingt so gar nicht altbacken und für die 1001 CDU-Delegierten ist es tatsächlich brandneu. Denn zum 1. Mal kommen sie zu einem CDU-Parteitag nur virtuell zusammen. Und müssen digital darüber abstimmen, wer ihre Partei als neuer Vorsitzender in den Bundeswahlkampf 2021 führen wird. Dabei ist momentan nur eines sicher: Der CDU-Parteitag wählt einen Mann, der dieses Neuland betritt.
Ich habe mit diesen zwei CDU-Delegierten gesprochen:
Stefan Grüttner, Jahrgang 1956, war von 2010 bis 2019 hessischer Sozialminister, zuvor sieben Jahre Chef der Hessischen Staatskanzlei. Der studierte Volkswirt wohnt in Offenbach, war dort wie auch in Wiesbaden lange Zeit kommunalpolitisch aktiv. Seit 1979 ist er Mitglied der CDU, saß von 1995 bis 2019 im Hessischen Landtag, wo er 2018 sein Direktmandat an Tarek Al-Wazir, dem heutigen hessischen Wirtschaftsminister und stellvertetenden Ministerpräsidenten, verlor.
Ellen Demuth, Jahrgang 1982, ist seit 2011 Mitglied des rheinland-pfälzischen Landtags, seit 2009 CDU Mitglied des Kreistages des Landkreises Neuwied und sitzt im Stadtrat ihrer Heimatstadt Linz am Rhein. Norbert Röttgen, der übrigens als Bundestagsabgeordneter den Nachbar-Wahlkreis Rhein-Sieg vertritt, rief die studierte Betriebswirtin im Dezember 2020 als „Chefstrategin“ seiner Kampagne aus. Die Älteste von vier Schwestern und Mutter einer jugendlichen Tochter verdankt ihrer eigenen Mutter die Leidenschaft für Politik – sie war über Jahrzehnte in der Kommunalpolitik aktiv, so dass Ellen früh politische Luft schnupperte.
Ellen Demuth und Stefan Grüttner kennen Parteitagsabläufe in- und auswendig, auch mögliches Kungeln auf Parteitagsabenden. Sie wissen, wer wann wo früher um Einfluss rang, bevor gewählt wurde. Das alles gibt es in diesem Jahr am 15. und 16. Januar nicht. 2021 finden solche Vorbesprechungen maximal digital statt – und die sind sicher anders zu bewerten.
Wo der Nachbar sein Kreuz macht, erfährt man nicht beim Bier, darüber kann man sich vielleicht via WhatsApp informieren.
Einen weiteren wichtigen Unterschied erkennen Journalisten in der Art der Vorbereitung. So schreibt der Spiegel: „Der Unterschied zu damals: Merz hat diesmal wirklich hart gearbeitet im Vorfeld, sich durch die Landesverbände telefoniert, fleißig für sich geworben.“ Auch freundliche Neujahrsbriefe kursierten, Stefan Grüttner hat zum Beispiel einen solchen von Friedrich Merz bekommen.
Wer wird den CDU-Parteitag überzeugen?
Wir von ohfamoos wollten wissen: Wie ist die Stimmungslage so kurz vor der Wahl? Dazu habe ich mit beiden Politikern telefoniert.
Frau Demuth, Herr Grüttner, Sie sind zwei von 1001 Delegierten, die den CDU-Bundesvorsitzenden wählen. Wie haben Sie sich auf Ihre Aufgabe vorbereitet?
Demuth: Sehr gründlich. Mir ist nicht egal, wie sich unsere Partei und damit unser Land entwickelt. Beim letzten Mal habe ich Annegret Kramp-Karrenbauer unterstützt, dieses Mal war mir schnell klar, dass Norbert Röttgen der richtige Kandidat ist, denn wir teilen die gleichen Ziele für die CDU und unser Land.
Grüttner: Da ich alle drei Kandidaten kenne und dieses Mal noch nie soviel Zeit hatte, war für mich klar: Ich vergleiche genau die Profile, die Inhalte und wer wie tagespolitisch agiert. Dann sucht man nach größtmöglichen Schnittmengen zur eigenen Denkweise. Ich habe diverse TV-Runden geschaut, aber ehrlich: Ich habe mich noch nicht entschieden.
Das heißt, Sie lassen den Parteitag auf sich wirken?
Grüttner: Genau. Und da werden die Sitznachbarn und alles, was Parteitage sonst so ausmacht, schon fehlen. Und wie Parteitage das Stimmungsbild verändern können, das haben wir ja in Hamburg, als plötzlich Annegret Kramp-Karrenbauer gewählt wurde, gesehen.
Auf einer Skala von 1 (unfrei) bis 10 (ganz frei): Wie frei sind Delegierte in ihrer Entscheidung?
Grüttner: 10. Komplett frei, egal wieviel vorab besprochen wird.
Demuth: Das sehe ich genauso. Ich habe mich allerdings bereits früh entschieden: Nachdem Norbert Röttgen seine Kandidatur bekanntgegeben hatte, habe ich seine Themenfelder betrachtet und mit den essentiellen Fragestellungen, die ich habe, verglichen. Bei mir ist seit März 2020 klar, dass ich ihn aktiv unterstützen werde.
Herr Grüttner, Sie haben als hessischer Delegierter sicher auch den Delegiertenbrief von Roland Koch und Petra Roth bekommen? In diesem werben die beiden ja unverblümt und fast aufdringlich für Friedrich Merz als Vorsitzenden und Kanzler…
Grüttner: Ja.
Und was halten Sie davon?
Grüttner: Die Position verwundert natürlich nicht. Und da auf den Delegiertenlisten nicht so viele jüngere Politiker stehen, ist das der Versuch die zu adressieren, mit denen schon andere Schlachten gewonnen wurden. Ich hätte diesen Brief jedoch nicht geschrieben.
Der Brief ruft ein gewisses Störgefühl hervor und ist ambivalent. Man fragt sich: Was soll das jetzt? (Stefan Grüttner)
Demuth: Ich finde das auch befremdlich und denke, es ist sogar kontraproduktiv. Delegierte möchten sich nicht vorschreiben lassen, wen sie zu wählen haben. Wir können alleine abwägen.
Was erwarten Sie am Wahltag?
Grüttner: Ich erwarte momentan einen Hauch Vorsprung für Herrn Merz. Es wird ein sehr enges Rennen, in jedem Fall. Und das ist jetzt so spannend: Norbert Röttgen hat eine für mich erstaunlich gute Kondition gezeigt – ich war nicht sicher, dass er durchhält. Das hat mich ein bisschen gewundert, wie sehr die Zustimmung für ihn gewachsen ist!
Demuth: Zunächst wird ersichtlich, dass unsere sympathische, nette Werbung für Norbert Röttgen ganz anders ankommt als eine, die so gezwungen an alle adressiert ist. Wir haben eine enorme Dynamik erzeugt – und unsere Bewegung holt jetzt auch viele bis dato Unentschlossene ab. Ja, es wird im 1. Wahlgang sehr, sehr knapp. Unsere Herausforderung ist es, dass Norbert Röttgen keine Hausmacht mit bringt. Dennoch:
Ich halte das Rennen für komplett offen. (Ellen Demuth)
Vielen Dank für die Gespräche!
Wie wird man Delegierte/r?
Die CDU bietet folgendes FAQ für ihre Delegierten.
Wie wird man eigentlich CDU-Delegierter?
Interessant auch, was der Fernsehsender n-tv 2018 zusammengestellt hat. Hier wird auf Folgendes verwiesen: „Allerdings spielt die Linie des Landesverbandes, aus dem die Delegierten stammen, durchaus eine Rolle. Haben Delegierte bereits ein Mandat inne – z.B. Beispiel im Land- oder Bundestag – können strategische Erwägungen wichtiger werden.
Fotos: via Stefan Grüttner, Ellen Demuth und CDU