Schwester – ein Buch, so wild wie das Leben
Als „einfühlsame Geschichte hinterfragter Lebensentwürfe und eines ungewöhnlichen Neubeginns“ wird dieser Roman im Klappentext angepriesen: Schwester, das neue Werk von Mareike Krügel. Elke hat es gelesen.
Mir gefiel diese Beschreibung sofort: Lebensentwürfe zu hinterfragen, Neubeginne zu begleiten – auf ohfamoos findet Ihr dazu einiges. Umso dankbarer war ich, als mir meine Schwester diesen Roman schenkte. Denken wir beide doch viel über unser bzw. das Leben nach. Und ich hatte einen spannenden Urlaubsroman.
Schon bald steckte ich tief drin in dieser Geschichte über zwei Frauen, die so unterschiedliche Leben führen und sich dabei oft so nah waren. Oder es zumindest glaubten, denn: Die eine, Lone, fällt nach einem Unfall (?) ins Koma und die andere, Iulia, beschließt, in das Leben ihrer Schwester einzutauchen. Schnell fängt sie damit an, besucht die erste Patientin ihrer Schwester, die als Hebamme arbeitete, und erfährt: Erstaunliches.
Was weißt Du wirklich von Deiner Schwester?
Die Lebensperspektive(n), die Iulia vorfindet, verändern ihren Blick. Eine Patientin nach der anderen werden jetzt auch Teil ihres Lebens.
Und sie bemerkt, wie wenig sie von ihrer geliebten, nun mit dem Tode ringenden Schwester, wirklich weiß.
Parallel dazu beginnt Iulia, intensiver auch über ihr eigenes Leben nachzudenken. Ein Leben, das sie kontrolliert und zielgerichtet führt: Das Leben als Frau eines Pastors und als Bankerin – ein Leben, welches so ganz anders ist als das ihrer Schwester, die als Hebamme Großartiges leistete.
So beurteilt NDR Kultur das Buch
Doch nicht nur die Rahmenhandlung, auch der Erzählstil ist einzigartig. Ich habe ihn so noch nicht gefunden. Mareike Krügel wählt Worte und Bilder, die manches Mal leicht schnippisch, oft frotzelnd daherkommen; es ist das Provozierende, das mich immer wieder bewegt, schnell weiterzulesen. Auf der Seite von NDR Kultur heißt es: Krügel erzähle „eine sehr traurige Geschichte fast leicht und mit viel Sinn für groteske Situationen“.
Im Netz finde ich zudem das Urteil einer Buchhändlerin, die in Mareike Krügels Roman „viele wirre, unsortierte Gefühle“ beschrieben sieht, welche die Autorin mit Selbstironie und schwarzem Humor sehr unterhaltsam präsentiere. Das kann ich nachvollziehen und füge hinzu: So manches Mal war ich auch richtig irritiert – und wollte gerade deshalb weiterlesen. Dann wollte ich mehr wissen und verstehen, was Iulia antreibt, warum sie ihr Leben plötzlich so infrage stellt und welche Konsequenzen sie zu ziehen bereit sein würde.
SCHWESTER behandelt übrigens wie nebenbei auch viele andere Familienbeziehungen jenseits der schwesterlichen. Die Verhältnisse zu Iulias Eltern und Stiefmutter werden immer wieder thematisiert, ihre Eheprobleme werden transparent und auch Iulias Sohn spielt eine größere Rolle.
Ich empfehle dieses Buch allen Frauen, die über Selbstbestimmung nachdenken.
Ich bin sicher: Schwestern werden nach der Lektüre genauer, zumindest anders auf sich schauen. Und speziell Hebammen dürften hier interessante Schilderungen ihrer Arbeit finden! Denn die einzelnen Geschichten schwangerer Frauen oder junger Mütter, die erst Lone, dann Iulia in Vertretung versorgt, rühren emotional an. Auch wenn sie teilweise skurril anmuten und für meinen Geschmack etwas ausufernd Platz finden.
Es ist ein besonderes, ein ohfamooses Buch voller Überraschungen. Ein Buch, das so wild wie das Leben ist oder sein kann.
Mehr über die Autorin: Mareike Krügel, 1977 in Kiel geboren, studierte am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig und erhielt zahlreiche Auszeichnungen, u.a. den Förderpreis der Stadt Hamburg und den Friedrich-Hebbel-Preis. Sie ist Mitglied des PEN Deutschland. Seit 2003 hat sie fünf Romane veröffentlicht. Mareike Krügel lebt bei Kappeln an der Küste Schleswig-Holsteins. Hier geht es zur Website von Mareike Krügel.
Fotos: Elke Tonscheidt und via Piper Verlag GmbH