„Humor lüftet durch, hält das Zeitfenster auf Kipp und macht den Chancen Avancen.“ Davon ist der Kölner Kabarettist Jürgen Becker überzeugt. Ende Oktober 2021 legt er mit seinem neuen Programm wieder los, tourt durch Deutschland. `Die Ursache liegt in der Zukunft´, heißt Beckers Programm – und es geht darin sowohl um Kapitalismus als auch um Optimismus. Elke hat den Mann interviewt, über Humor, Sex und: Kunst.

Denn schon als Jugendlicher hatte Jürgen Becker bei moderner Kunst „immer den latenten Verdacht irgendwie verarscht zu werden“. Heute, sagt er, ist er Kabarettist und werde genau dafür bezahlt. So entführt er zum Beispiel in seinem Buch Dali Dali* den Leser in einem Crashkurs durch die Kunstgeschichte.

„Kunst kann Distanz zur Welt schaffen.“

Herr Becker, als ich Ihr Buch Dali Dali in der Hand hatte, dachte ich: Der Becker und Kunstgeschichte?

Becker: … wo der doch gar keine Ahnung hat.

Na ja, ich bin zumindest drüber gestolpert… 🙂

Becker: Humor ist, wenn man trotzdem lacht. Philosophie ist, wenn man trotzdem denkt und Religion ist, wenn man trotzdem stirbt. Kunst aber ist, wenn man es trotzdem aufhängt. Entscheidend ist das Wort „trotzdem“.
 Als „Nichtfachmann“ geht man an ein Thema ganz unbefangen ran, behält den Blick von außen. So entstehen Pointen, auf die Fachleute oft nicht kommen.

Jürgen Becker schaut auch gern in die Zukunft…

Warum gefällt Ihnen Kunst?

Kunst kann Distanz zur Welt schaffen. Wenn sie einen Nerv trifft, bleibt man an einem Kunstwerk hängen und dafür muss man es gar nicht direkt verstehen. Auch Humor schafft übrigens Distanz. Wer über den Dingen steht, kann sie belächeln.

Hängt deshalb in Ihrem Hausflur ein Bild mit röhrendem Hirsch?


Ich habe das schöne Ölgemälde in einem Kölner Antikladen gefunden. Ich fand den auf Anhieb gut und das bewahrheitet sich bis heute. Ein röhrender Hirsch gehört in jede Wohnung.

Ihr Hirsch röhrt sogar eine Frage …

Ein Karikaturist hat dem Hirschen eine Sprechblase verpasst, genau. Deshalb fragt der Hirsch da nun: Will hier jemand ficken? Genau das stellt das Bild dar. So wie jede Kunst mit Fruchtbarkeit zusammen hängt. Jede Pflanze, jedes Tier will die Art erhalten, der Mensch ja auch. Was wir schön finden, ist das Versprechen von Funktion, auch von sexueller. Was schön ist, das funktioniert auch. Der röhrende Hirsch ist für mich das ideale Kunstwerk, weil es alles sagt, was Kunst können muss: Menschen faszinieren und auf Fruchtbarkeit hindeuten.

Ein Journalist hat Ihnen aufgrund „vieler Sex-Anspielungen und platter Zoten“ einen „tief gelegten Humor“ vorgeworfen. Schmunzeln Sie darüber?

Nicht nur die Professorin auch der Putzmann sollen Freude an dem haben können, was ich schreibe oder spiele. Diese Spannbreite ist wichtig. Ich setze mir keine Grenze nach oben oder unten. Wir alle haben ein Recht auf Bildung, aber auch auf Albernheit.

„Ich muss nicht jeden Witz auf ein besonderes Niveau legen, ich bin gern albern, man muss auch platt sein dürfen.“

Das klingt nach Lebenskunst…

Ich sag immer: Kabarett – schön und gut. Aber man muss auch mal nen Witz machen.

Kabarett funktioniert über Humor, wie funktioniert Kunst?

Über Spiel. Alle Künstler spielen mit Form und Farbe. Der Mensch muss spielen, um seine Sinne zu kalibrieren. Wie die Tiere: Wenn junge Hunde zusammen über eine Wiese tollen, üben die dabei „mit dem Feind kämpfen“. Spielen heißt also immer. „Überleben üben“.

Künstler üben das Überleben?

Vielen modernen Kunstwerken sieht man genau das an. Man steht vor einem modernen Kunstwerk und denkt: Was will uns das Bild sagen? Die Antwort ist meist schlicht: „Der Künstler hat Hunger!“ Und geliebt werden will er wahrscheinlich auch noch…

Vielen Dank für Ihre Antworten!

Jürgen Becker – „Die Ursache liegt in der Zukunft“, mit diesem Programm besucht er die deutschsprachigen Kleinkunstbühnen.

Jürgen Becker ist bekannt auch aus TV und Radio, hat mal eine Druckerei gegründet und wurde 1959 in Köln geboren. Auch seine Mutter ist gebürtige Kölnerin, sein Vater stammte aus dem Bergischen Land, war Kfz-Mechaniker und Kaufmännischer Angestellter bei Daimler-Benz. Daher liebt auch der Sohn Autos, Crashtests und Zweiräder. Auf dem Gymnasium blieb er zwei Mal sitzen, flog von der Schule. Nach seinem Realschulabschluss folgte die Ausbildung als grafischer Zeichner bei 4711 in Köln. Auf dem 2. Bildungsweg schloss er sein Fachhochschulstudium Sozialarbeit ab.

Mehr über Beckers aktuelles Programm

*Mehr über das Becker-Buch Dali Dali:

Ein Buch, das Schluss machen will mit Wissenslücken – und das ganz humorvoll. Kabarettist Jürgen Becker und Co-Autor Dr. Dietmar Jacobs, der u.a. für das bekannte Düsseldorfer Kom(m)ödchen schreibt, haben 2013 im KiWi-Verlag ihren Streifzug durch die Kunstgeschichte veröffentlicht. Auf rund 200 Seiten präsentieren sie in Dali Dali Hunderte von Pointen über Kunstwerke von Dürer bis eben Dali. Bewusst oft ziemlich platt nehmen sie Gemälde und Skulpturen auseinander, stellen das Ausgrenzende und Pompöse infrage. Ganz nach ihrem Motto: Auf eine Vernissage kann jeder gehen; ein Künstler blamiert sich viel schneller als der Besucher. Das stark bebilderte Paperback gibt es für 9,99 Euro.

Fotos via Beckers Agentur Schoenhauser Promotion GmbH