Kann Deutschland den Fachkräftemangel in der Pflege stoppen?
Wie müssen sich Fachkräfte in der Pflege gerade fühlen? Wahrscheinlich wie in einer Endlosschleife. Schon im letzten Winter waren die Pflegekräfte auf den Covid-Intensivstationen der Kliniken am Limit. Jetzt sind sie es erneut – ein Hamsterrad, dessen Deutschland unwürdig ist. Was muss passieren, um den Fachkräftemangel in der Pflege zu stoppen?
Viele Kliniken in Deutschland sind am Limit. Die Intensivstationen sind voll, es fehlt an Personal, Patienten müssen in andere Kliniken verlegt werden. Und wichtige Operationen von nicht an Covid-19 erkrankten Patienten werden verschoben. Aber schon lange vor der Pandemie haben der Fachkräftemangel und die Kräfte zehrenden Schichtdienste den Mitarbeitern viel abverlangt.
Fachkräftemangel in der Pflege ist nicht neu
Der Begriff Pflegenotstand stammt aus den 1960er und 1970er Jahren, als in Deutschland Krankenhäuser und die Altenpflege ausgeweitet wurden. Es kam zu einem massiven Personalmangel und ausländisches Pflegepersonal wurde eingesetzt, um dem Notstand entgegen zu wirken. Die Situation von damals hat sich jedoch kaum verändert.
50 Jahre Pflegenotstand und nichts gelernt…
Nicht nur in Kliniken, auch in allen anderen pflegerischen Bereichen verzeichnet Deutschland weiterhin einen massiven Personalmangel. „Derzeit reden wir von 200.000 fehlenden Pflegefachkräften, und das werden in Zukunft noch viel mehr, denn die Zahl der Pflegebedürftigen, die heute schon bei mehr als 4 Millionen liegt, steigt weiter“, berichtet Christine Vogler, die Präsidentin des Deutschen Pflegerats in der taz. „Der Personalmangel führt zur Überlastung und zur Frustration bei den Pflegekräften, die können gar nicht anwenden, was sie über gute Pflege gelernt haben. Sie verlassen dann lieber den Beruf.“
Für Pflegekräfte klatschen reicht leider nicht!
Was also tun? Die Zahl der Pflegebedürftigen in Deutschland steigt stärker als bisher berechnet: Das geht aus dem Barmer-Pflegereport hervor, der am Mittwoch in Berlin vorgestellt wurde. Bis zum Jahr 2030 wird es voraussichtlich mit insgesamt rund sechs Millionen Pflegebedürftigen mehr als eine Million Betroffene mehr geben als bisher angenommen. Um sie zu versorgen, sind gegenüber heute rund 180.000 zusätzliche Pflegekräfte nötig. Die jährlichen Ausgaben der Pflegeversicherung werden von derzeit etwa 49 Milliarden Euro im Jahr auf 59 Milliarden Euro steigen. Zudem geht der Report davon aus, dass immer mehr Menschen zuhause – und somit privat – von Angehörigen gepflegt werden müssen.
Bessere Entlohnung für Fachkräfte in der Pflege
„Um mehr Pflegekräfte zu gewinnen, brauchen wir eine bessere Entlohnung – ein Einstiegsgehalt von monatlich 4.000 Euro brutto für Pflegefachkräfte wäre angemessen.“ Christine Vogler, Präsidentin Deutscher Pflegerat
„Denn die Pflege ist ein anspruchsvoller Job. Sie ist körperlich anstrengend, nervlich belastend, und man arbeitet im Schichtbetrieb“, so Vogler im taz Interview.
Das ist eine klare Ansage von Frau Vogler. Wird die Politik darauf reagieren – und was können wir sonst noch tun? Wir müssen das Rad ja nicht immer neu erfinden. Ein Blick auf andere Länder könnte uns vielleicht helfen, auch alternative Lösungen in Betracht zu ziehen.
Schweden setzt auf Aufstiegschancen im Pflegeberuf
Während die Ausbildung in Deutschland für die Gesundheits- und Pflegeberufe weitgehend unterhalb einer akademischen Bildung erfolgt, ist dies in Schweden, laut dem deutschen Ärzteblatt, umgekehrt. Dort liegt ein Schwerpunkt auf der akademischen Bildung – mit Bachelorabschlüssen, Masterprogrammen sowie weiterführenden Studiengängen bis zur Habilitation – um dadurch hoch qualifizierte Arbeitskräfte für die Pflegeberufe zu gewinnen. Das erhöht nicht nur die Attraktivität und die Arbeitsbedingungen in der Pflege, sondern ermöglicht auch eine höhere Qualität der Pflegeleistungen. Der Aufstieg von einer „einfachen“ Krankenpflege- oder Hebammentätigkeit bis hin zu Top-Positionen in Management, Wissenschaft und Forschung ist in Schweden keine Seltenheit.
Pflegeinitiative in der Schweiz
In der Schweiz hat die Bevölkerung ein Mitspracherecht, und so haben am 28. November 2021 die Schweizer Stimmberechtigten mehrheitlich einer Pflegeinitiative zugestimmt. Der Volksentscheid zeigt: Die Schweizer empfinden es als notwendig, dass mehr Pflegefachpersonen ausgebildet werden und sie mit besseren Arbeitsbedingungen länger motiviert und gesund im Job bleiben. Die Pflegeinitiative fordert:
- Mehr Pflegende ausbilden – Ausbildungsoffensive starten
Mit mehr Ausbildungsplätzen und besseren Ausbildungslöhnen lässt sich die Zahl der Berufseinsteigerinnen erhöhen. - Berufsausstiege verhindern – Arbeitsbedingungen verbessern
Es braucht eine verlässliche Zeit- und Dienstplanung, familienfreundliche Strukturen und berufliche Entwicklungsmöglichkeiten. - Pflegequalität sichern – genügend Pflegende garantieren
Es braucht genügend Pflegefachpersonen auf allen Abteilungen, damit die Pflegequalität gesichert werden kann.
Roboter aus Japan
Die Überalterung der Gesellschaft, die in Japan so rasant verläuft wie in keinem anderen Industrieland, führt auch dort zu einem Mangel an Arbeitskräften. Nach jüngsten Schätzungen der Regierung in Tokio werden in der Pflegebranche bis zum Jahr 2025 rund 370.000 Arbeitskräfte fehlen. Japan setzt angesichts seiner rasant alternden Gesellschaft bei der Pflege verstärkt auf Roboter und künstliche Intelligenz. So kommen in Japans Alten- und Pflegeheimen bereits Roboter zum Einsatz: Geh- und Aufsteh-Assistenten, künstliche Robben zum Kuscheln, sowie auch futuristische Gehhilfen, die Senioren und Behinderten zu mehr Bewegung verhelfen.
Wäre das eine Teillösung für Deutschland? Leider noch nicht. Eine Studie des IGES Instituts für das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) in Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Gerhard Naegele von der Universität Dortmund sowie mit Prof. Dr. Franz Waldenberger vom Deutschen Institut für Japanstudien Tokyo stellt fest: „Was in Deutschland bisher fehlt, ist vor allem eine klare Vision über die künftige Rolle moderner Assistenzsysteme in der Pflege.“
Deutschland – wie weiter?
Wenn ich mit meinem Lebenspartner, der Arzt ist und früher eine Klinik geleitet hat, über den Pflegenotstand rede, ist seine Meinung: Akademisierung und bessere Entlohnung würden möglicherweise den „Krankenstand-Gap“ zwischen Ärzten und Pflegerinnen vermindern und damit den Pflegenotstand lindern, wenn nicht gar beseitigen.
Mein persönliches Fazit:
Für die Bekämpfung der aktuellen Probleme gibt es ganz offensichtlich kein Wundermittel, sonst hätte sicher bereits jemand eine sofortige Lösung herbeigeführt. Der Pflegenotstand kann nicht schnell behoben werden, vielmehr benötigt es große Investitionen und Umstrukturierungen. Um diese zu meistern, müssen bisherige Strukturen verändert werden, Es gilt, das Dilemma von vielen Seiten anzugehen. Letztendlich müssen auch die Krankenkassen – und der Patient selbst – bereit sein, mehr Geld für die Pflegeleistungen ausgeben, um das erwartete Leistungs- und Hygieneniveau im Pflegebereich zu erhalten.
Foto: Pixabay