Politische Polarisierung – was hält Freundschaft aus?
Wenn Freundschaften zerbrechen… gerade dieses Jahr scheint das häufiger passiert zu sein. Nicht selten gab es da Streit um Politik, Corona, Impfen. Doch stimmt der Eindruck? Wie sieht das die Forschung? Jochen Roose ist Referent in der Abteilung Wahl- und Sozialforschung der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS). Dort hat er eine große Studie über politische Polarisierung durchgeführt. Wir haben ihn gebeten, auf Ohfamoos darüber zu berichten. Hier folgt sein Gastbeitrag.
„Ich habe einen ehemaligen sehr guten Schulfreund. (…) [Er ist] der Einzige (…), den ich kenne, der sagt, dass er AfD aus Überzeugung wählt. Daraufhin habe ich ihm die Freundschaft gekündigt. Seit drei Jahren sprechen wir nicht mehr miteinander. (…) Ich sagte: Du willst mich verscheißern oder provozieren? – Nein, das meine ich ernst. Ich sagte: Dann reden wir nie mehr wieder. Dieser rechtsradikale Hintergrund und die heimliche und unheimliche Sympathie zu einer besonders scheußlichen Vergangenheit. (…) Dieses ganze rechtsradikale Gedankengut hasse ich wie die Pest und da mache ich auch keinen Hehl draus.“
Politische Polarisierung und Freundschaft
Dies ist nicht der einzige Bericht, wie eine Freundschaft an politischen Meinungsverschiedenheiten zerbricht. In den Gesprächen, die im Rahmen einer großen Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung über politische Polarisierung geführt wurden, gibt es vielfältige Berichte, wie sich Menschen voneinander entfernen, weil ihre unterschiedlichen politischen Ansichten einen Umgang miteinander kaum noch möglich machen.
Die Meinungsverschiedenheiten treffen Freunde, sie zerreißen auch Familien. Und einer berichtet, wie er nach kurzer Zeit gar keinen Freundeskreis mehr hat.
Eine politische Diskussion allein wird vermutlich keine Freundschaft, keine Familienbeziehung beenden. Es ist meist ein längerer Prozess der Entfremdung, vielleicht auch kombiniert mit anderen Unstimmigkeiten. Doch auch Politik spielt eine Rolle. Sieben Prozent stimmen der Aussage „Zu bestimmten Menschen habe ich den Kontakt wegen ihrer politischen Ansichten abgebrochen“ voll und ganz zu. Weitere sechs Prozent stimmen eher zu. Damit hat rund jede und jeder Achte schon einmal die Beziehung zu einem anderen Menschen abgebrochen, weil die politischen Einstellungen grundlegend nicht zueinander passen.
Das Ende einer Freundschaft
Das Ende einer Freundschaft, aus welchen Gründen auch immer, ist nichts Ungewöhnliches und würde kaum Aufmerksamkeit verdienen – wenn, ja wenn sich solche Kontaktabbrüche über alle gleichermaßen verteilen würden. Doch genau das ist nicht der Fall.
Mit Veganern wollen zwölf Prozent nichts zu tun haben, mit Jägern 14 Prozent, mit CDU-Wählern sieben Prozent, aber mit AfD-Wählern wollen 57 Prozent nichts zu tun haben.
Das politische Meinungsbild in Deutschland sieht zunächst nicht so sehr nach einer Polarisierung aus. Bei großen Streitfragen, beispielsweise der Sozialpolitik oder der Einwanderungspolitik, plädiert eine große Mehrheit für abwägende Positionen in der Mitte. Bei der Klimapolitik sind die Ränder mit ganz konsequenten Forderungen stärker besetzt. Doch auch hier positioniert sich eine knappe Mehrheit in der Mitte mit abwägenden politischen Vorstellungen.
Während die Verschiebungen zu den politischen Rändern in der Gesamtbevölkerung eher gering sind, haben sich die Unterschiede zwischen den Parteianhängerschaften in dem letzten Jahrzehnt in der Klima- und Migrationspolitik vergrößert. Auf der einen Seite plädieren die Anhängerschaften von Grünen und Linker mehrheitlich für einen sehr konsequenten Klimaschutz und zu je rund einem Viertel für eine konsequent offenere Einwanderungspolitik, während in der Anhängerschaft der AfD 35 Prozent konsequent dem Wirtschaftswachstum Vorrang vor dem Klimaschutz einräumen wollen und 78 Prozent die Einwanderung konsequent begrenzen wollen. Dieser Abstand zwischen den Parteianhängerschaften an den Meinungsrändern hat in den letzten zehn Jahren zugenommen. Die Anhängerschaften der übrigen Parteien finden sich dazwischen, allerdings näher an der Seite von Grünen und Linken.
Insgesamt stößt die AfD auf wenig Gegenliebe
Diese Unterschiedlichkeit in den Positionen schlägt sich in den Beurteilungen der Parteien nieder. Unter allen, die bei einer kommenden Bundestagswahl die AfD wählen würden, mögen 77 Prozent die AfD und lehnen gleichzeitig die Grünen ab. Umgekehrt mögen in der Grünen-Wählerschaft 92 Prozent die Grünen und lehnen gleichzeitig die AfD ab. Insgesamt stößt die AfD auf sehr wenig Gegenliebe. In der Bevölkerung lehnten vor der Pandemie 78 Prozent die AfD ab.
So wird ein Graben zwischen den politischen Einstellungen sichtbar mit der Wählerschaft der AfD auf der einen Seite und einem Großteil der Gesellschaft auf der anderen Seite. Dabei wird der Unterschied und die gegenseitige Abneigung gegenüber den Wählerschaften von Grünen und Linken am deutlichsten ist.
Angesichts der heißen Debatten um die Eindämmung der Maßnahmen zur Corona-Pandemie und der Impfungen mag dieser Graben kaum überraschen.
Allenthalben ist die Rede von einer Spaltung der Gesellschaft durch eine Impfpflicht. Doch die hier vorgestellten Ergebnisse stammen aus einer Untersuchung, die vor der Pandemie durchgeführt wurde.
Die Umfrage
Von Oktober 2019 bis Februar 2020 wurden für die Hauptumfrage 3.250 Personen telefonisch befragt und auch die am Anfang zitierten offenen Interviews fanden im Herbst 2019 statt. Um dem Einfluss der Pandemie nachzugehen, gab es eine zweite standardisierte Befragung im August und September 2020, als intensiv über eine Polarisierung diskutiert wurde, angesichts von Debatten über Maskenpflicht, Lockdown und „Querdenkern“. Diese zweite Untersuchung konnte aber keine Anzeichen für eine stärkere Polarisierung finden.
Die Haltungen zu politischen Streitfragen gehen nicht weiter auseinander als vorher. Die Ablehnung der AfD als Partei ist auf praktisch gleichem Niveau geblieben: Mit einer Ablehnung von 78 Prozent vor und 81 Prozent in der Pandemie. Und auch die Ablehnung von Kontakt mit AfD-Wählern ist in der Pandemie nur geringfügig von 57 Prozent vorher auf 62 Prozent in der Pandemie gestiegen.
Politische Diskussionen vermeiden ähnlich viele Menschen in der Pandemie wie in der Zeit zuvor. Der Befund einer Polarisierung zwischen der Anhängerschaft der AfD auf der einen und den meisten anderen, insbesondere den Anhängerschaften von Grünen und Linken, auf der anderen Seite galt vor der Pandemie. Er gilt weiterhin in der Pandemie – und das auf ähnlichem Niveau.
Der Befund überrascht zunächst und lädt zum Widerspruch ein, wenn nicht für den Sommer 2020, dann doch wenigstens für den Winter 2021, in dem über Impfverweigerung und Impfpflicht intensiv und emotional gestritten wird. Doch auch wenn dieser zweite Widerspruch noch nicht mit einer weiteren Umfrage belegt oder widerlegt werden kann, so ist doch bei diesen Annahmen Vorsicht geboten.
Erst über einen längeren Zeitraum entsteht eine Polarisierung der Gesellschaft
Polarisierung ist ein langfristiges Phänomen. Kurzfristig kann es intensive, auch sehr kontroverse Debatten geben. Aber dauerhafte Unversöhnlichkeit in politischen Auseinandersetzungen und die Beendigung von Beziehungen aufgrund politischer Differenzen, kurz: eine Polarisierung der Gesellschaft entsteht erst über einen längeren Zeitraum. Aus dieser Perspektive wundert es kaum, dass in der Pandemie nicht häufiger von Kontaktabbrüchen aufgrund von politischen Meinungsunterschieden berichtet wird als unmittelbar vor der Pandemie.
Zum anderen schließt die Debatte der Pandemie an die Konflikte der bereits vorher bestehenden Bruchlinie an bzw. sie wird darin aufgenommen. Das populistische Misstrauen gegenüber Eliten aller Art ist ein Kernbestandteil der Weltsicht, wie sie von der AfD vertreten wird. So war es nur ein vergleichsweise kleiner Schritt hin zu einer Ablehnung auch von Distanz- oder Impfempfehlungen. Die AfD konnte leicht die Positionen der Querdenkerszene in ihre politischen Forderungen integrieren und war zugleich die einzige Partei, die sich offen zeigte für die Verschwörungstheorien aus der Querdenkerszene.
In der Pandemie wurden Gräben nochmals bestätigt
So passten sich die Debatten im Kontext der Pandemie in die ohnehin bestehende Polarisierung ein. Sie hat die Polarisierung der Gesellschaft in Deutschland vermutlich nicht größer gemacht, nur ein weiteres Thema in das polarisierte Schema eingepasst und die Gräben noch einmal bestätigt. Das allerdings ließe sich auch als eine Art von Verstärkung begreifen.
Hier geht es zur Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung über politische Polarisierung
Gastautor Dr. Jochen Roose ist Referent in der Abteilung Wahl- und Sozialforschung der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS). Er verfasste die Studie „Politische Polarisierung in Deutschland“.
Davor hat er als Soziologe an der Freien Universität Berlin, der Universität Leipzig, der Universität Hamburg und der Universität Wroclaw gearbeitet.
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Fotos: privat und Unsplash / Grafik: YellowTwo
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