Franziska I., die Sonnenkönigin
Berlins Regierende Bürgermeisterin umgibt eine absolutistische Attitüde – findet Gastautor Detlef Untermann. Er lebt selbst in Berlin, ist ein politischer Kommunikator und weiß aus eigener Anschauung, wo es in Berlin hakt. Weiß Franziska Giffey, die Sonnenkönigin, das etwa nicht?
Franziska Giffey ist dort, wo sie hinwollte: Im Roten Rathaus von Berlin als Regierende Bürgermeisterin der Stadt. Damit ist sie die erste Frau in diesem seit 1951 bestehenden Amt.
Zwar hat sie sich seit ihrem Rücktritt als Bundesfamilienministerin im Mai vergangenen Jahres im Zusammenhang mit der Plagiatsaffäre und dem sich anschließenden Verlust ihres Doktortitels immer wieder sehr demütig gegeben. Aber als die Sozialdemokratin am 21. Dezember 2021 ihren neuen Amtssitz bezog, machte sie keinen Hehl aus ihrer Genugtuung. Sie posierte in einer Art und Weise vor dem Eingangsportal des Rathauses, die keinen Zweifel an ihr und ihrem Anspruch aufkommen ließ:
Jetzt regiere ich!
Mit ausgestreckten Armen und einem süffisanten Lächeln auf den Lippen stand die gebürtige Brandenburgerin da und weckte nur eine Assoziation: Franziska I., die Sonnenkönigin.
So sieht der Berliner Tagesspiegel Franziska Giffey
Auch der Berliner Tagesspiegel muss die Pose der 43-Jährigen ähnlich empfunden haben und betitelte besagtes Foto auf der ersten Seite des Blattes: „Sie regiert.“ Einen Tag später bereits lautete die Überschrift eines Artikels: „Rund ums Thronzimmer.“ Dabei ging es um Giffeys umfassenden Führungsanspruch, den sie recht unverblümt formulierte: „Ich will Regierende Bürgermeisterin für alle Berliner sein und auch für alle Verantwortung übernehmen.“ Und damit auch der letzte und dümmste Untertan es kapiert, fügte sie hinzu: „Ich trage die Gesamtverantwortung für alle Themen.“
Aber bleiben wir noch einen Moment beim Tag der Amtsübernahme Giffeys. Zwei Anekdoten, die ebenfalls der Tagesspiegel aufgeschrieben hat, passen ins Bild.
Franziska Giffey und 18 Schornsteinfeger*innen
Da sind zum einen die 18 Schornsteinfegerinnen und Schornsteinfeger, die geduldig auf der Rathaustreppe im Spalier auf die neue Regierungschefin gewartet haben. „Giffey kommt per Fahrzeugkolonne mit den anderen Senatsmitgliedern im Roten Rathaus an“, heißt es in dem Bericht, „steht unten an der Rathaustreppe, schaut hoch. ‚Schön, dass sie da sind‘, sagt sie und geht langsam die Treppe hinauf.“
Zum anderen ist da das Schild mit der Amtsbezeichnung des Hausherrn bzw. der Hausherrin. „Aber schon am Morgen hatten Arbeiter ein großes Schild neben dem Haupteingang des Backsteinbaus angebracht: ‚Die Regierende Bürgermeisterin von Berlin‘ steht dort jetzt in großen Lettern. Ihre Kritiker würden sagen: Repräsentation kann sie.“
Dabei scheint die absolutistische Attitüde, die Giffey umgibt, Methode zu haben. In ihrer Neujahrsansprache wandte sie sich an ihr Volk: „Gemeinsam mit meinen zehn Senatorinnen und Senatoren will ich Berlin nach vorne bringen“, werden es die Bürgerinnen und Bürger hoffnungsvoll vernommen haben. Was „ihre“ zehn Senatorinnen und Senatoren gedacht und empfunden haben, ist nicht überliefert.
Aber immerhin weiß das gesamte Regierungspersonal, dass alle gleichermaßen behandelt werden. Denn, so lässt Giffey in einem ihrer Interviews wissen: „Ich sage das jetzt mal im Bild der Landesmutter: Die Landesmutter hat alle ihre Kinder gleich lieb. Da gibt es keine Lieblingskinder.“
Im Vergleich zu ihrem Amtsvorgänger Michael Müller, der doch sehr reserviert regierte, ist das eine emotionale Rolle vor- bzw. rückwärts, je nach dem, aus welchem Blickwinkel man dies sieht. Von „Mundwinkelwende“ spricht der Tagesspiegel. Sie selbst sieht sich eher in der Tradition von Karl Valentin, der einmal gesagt hat: „Ich freue mich, wenn es regnet. Denn wenn ich mich nicht freue, regnet es auch.“ Da ist für sie was dran: „Es nützt doch nichts, miesepetrig zu sein.“
Hat der Realitätsverlust bei Franziska Giffey Methode?
Aber wie das bei Herrschenden manchmal so ist, entgeht ihnen zuweilen, was beim Volk so los ist. Realitätsverlust nennt man so etwas, was sich allerdings in den allermeisten Fällen erst nach Jahren der Regentschaft einstellt. Wenn dies allerdings gleich am Anfang geschieht, ist das bemerkenswert. Ein Beispiel gefällig?
Pauschal zu sagen, alles laufe nicht, werde der Realität nicht gerecht, sagt die Regierende und verweist auf „unsere Berliner Schulen“. Hier werde gern das Narrativ der maroden Schulen bedient, „obwohl wir seit Jahren in unsere Schulen investieren und vieles sich in den letzten Jahren zum Positiven verändert hat. Im letzten Jahr sind 700 Millionen Euro dafür bereitgestellt worden.“ Von dem Sanierungsstau in Höhe von 3,9 Milliarden Euro sagt sie nichts.
Weiteres Beispiel: „Dass wir die Probleme im Bereich Digitalisierung und Verwaltungsmodernisierung nicht allein mit einer netten Haltung hinkriegen, ist doch klar“, glaubt Giffey zu wissen. Sie hält es aber nicht für nötig, das Thema bei der jüngsten Senatsklausur auf die Tagesordnung zu setzen. Stattdessen gibt es in dem 40 Punkte-Programm für die ersten 100 Tage, von denen rund 30 Prozent bereits vorbei sind, eine Onlinekampagne. Die soll die schon bestehenden 41 digitalen Bürgerdienstleistungen bekannter machen. Kann man so machen, muss man aber nicht.
Und so sieht die Realität in Berlin aus
Die Realität in Berlin sieht derweil so aus: Im Spandauer Gesundheitsamt steht ein Faxgerät, auf dem Corona-Meldungen eingehen, die dann per Hand in den Computer übertragen werden müssen. Das Gesundheitsamt Marzahn-Hellersdorf kann über eine Woche keine Corona-Zahlen mehr an das Robert Koch Institut (RKI) und das Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) melden, da die Corona-Datenbank des Bezirks mit der riesigen Datenmenge nicht klarkommt und nur die Corona-Zahlen gemeldet werden können, die per Fax eingehen. Die Beispiele ließen sich beliebig fortsetzen.
Auch das Thema Verkehrswende will in der deutschen Hauptstadt nicht so richtig verfangen.
Dabei gehen die Regierende Bürgermeisterin und ihr Hofstaat doch mit so gutem Beispiel voran. Zur Klausur auf dem gut 50 Kilometer von Berlin entfernten Landgut Stober am Groß Behnitzer See (bei Nauen), nach Senatsangaben eines der „nachhaltigsten Tagungshotels Deutschlands“, machten sich die Herrschaften mit ihren Staatskarossen auf den Weg. Für drei Journalisten stand ein Bus-Shuttle bereit – immerhin.
Wie wusste doch Albert Schweitzer: „Das gute Beispiel ist nicht eine Möglichkeit, andere Menschen zu beeinflussen, es ist die einzige.“ Oder um es mit dem brasilianischen Schriftsteller und Bestsellerautor Paulo Coelho zu sagen: „Die Welt verändert sich durch dein Vorbild, nicht durch deine Meinung.“
Das gilt wohl auch für Wahlversprechen, die gehalten oder gebrochen werden. Denn im Wahlkampf hat Giffey die Berlinerinnen und Berliner glauben gemacht, sie stehe für ein Bündnis der Mitte aus SPD, Grünen und FDP. Jedenfalls hat das Blinken nach rechts funktioniert und sie die Wahl gewonnen. Doch dann kam ihre politische Volte und sie bog nach links ab, um mit Grünen und Linkspartei das Bündnis fortzusetzen, das schon die fünf Jahre davor nicht richtig funktioniert hatte.
Ludwig XIV., dem französischen Sonnenkönig, war eine 72-jähige Herrschaft vergönnt, auch wenn die Bevölkerung ihres alten Königs am Ende überdrüssig war.
Bei der Berliner Sonnenkönigin sieht es dagegen schon am Anfang düster aus.
Und nicht nur „SPD-Wähler beißen sich jetzt in die geballte Faust“, wie der Berliner CDU-Vize Falko Liecke die Folgen des Wortbruches kommentierte. Wenn Franziska Giffey nicht aufpasst, könnte ihre Regentschaft nur von kurzer Dauer sein und ihre Halbwertzeit als Regierende Bürgermeisterin rekordverdächtig werden. Hochmut kommt immer vor dem Fall. Allzu oft sollte sie ihn nicht mehr unter Beweis stellen.
Gastautor Detlef Untermann ist Kommunikationsmanager, Opa-Blogger, Großvater und in Berlin glücklich mit einer Niederländerin verheiratet. Mehr erfahrt Ihr auf unserer ohfamoosen Seite Gastautoren.
Kommentare
Franziska I., die Sonnenkönigin — Keine Kommentare
HTML tags allowed in your comment: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>