In der Hölle der chinesischen Lager
Im Heyne Verlag ist kürzlich das neue Buch der Journalistin Andrea C. Hoffmann erschienen, und das hat es in sich: Eine Uigurin berichtet über die unendlich grausamen Erfahrungen, die sie bei der Rückkehr in ihre Heimat in einem Lager in China gemacht hat. Es geht um Gehirnwäsche, Folter und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Ohfamoos hat die Autorin gebeten, darüber zu berichten und Elke Tonscheidt hat ihr Fragen gestellt. Lest im folgenden Beitrag, wie grausam dieses Schicksal ist – und doch gibt es auch Hoffnung.
Drei Jahre lang befand sich Mihrigul Tursun in der Gewalt der Chinesen, die in der Provinz Xinjiang sogenannte „Umerziehungslager“ für Angehörige der uigurischen Minderheit betreibt.
Lager in China
Aber der Begriff „Umerziehung“ führt in die Irre. Denn was hinter den Mauern dieser Lager in China passiert, hat nichts mit harmlosem Schulunterricht zu tun. Menschenrechtsorganisationen und Regierungen sprechen von einem »kulturellen Genozid«, der mittels grausamer Folter und Gehirnwäsche realisiert wird.
Mihrigul Tursun ist eine der wenigen, die von ihrer Freiheitsberaubung und den traumatisierenden Erlebnissen der Folter berichten können: Sie hat unbeschreibliche physische und psychische Grausamkeit erfahren und hautnah erlebt, wie die Identität ihres Volkes ausgelöscht werden soll. Mit viel Glück konnte sie sich ins Ausland flüchten.
Trotz der auch im Exil nicht verschwundenen Bedrohung spricht sie offen über das Erlebte. Sie beschreibt aus eigener Erfahrung, was die uigurische Minderheit in China erleiden muss.
Das Interview mit Andrea C. Hoffmann
Frau Hoffmann, weshalb liegt Ihnen das Schicksal der Uigurin Tursun so am Herzen? Und warum sind Sie vor allem an genau ihrer Geschichte drangeblieben?
Andrea C. Hoffmann: Mihrigul Tursun ist eine unglaublich starke Frau. Ich bin tief beeindruckt von ihrem Mut und dem Willen, sich nicht unterkriegen zu lassen, angesichts unvorstellbarer Verbrechen.
Was für Verbrechen waren das?
Als sie nach ihrem Studium in Ägypten zurück in ihre Heimat reiste, um ihre neugeborenen Drillinge den Großeltern vorzustellen, wurden die drei Babys ihr gewaltsam entrissen – und Mihrigul selbst in ein Lager gebracht. Dort wurde sie drei Tage lang verhört und dann in Isolationshaft gesteckt, das alles völlig ohne Grund.
Nur zwei ihrer Kinder konnte sie – Monate später – lebend wieder in ihre Obhut nehmen. Ihr erstgeborener Sohn verstarb unter ungeklärten Umständen. Man hat Mihrigul nur noch die Leiche des Säuglings gebracht.
Tag und Nacht von Kameras überwacht
Wie wurde Frau Tursun selbst im Lager behandelt?
Nach ihrer anfänglichen Einzelhaft musste mit mehr als 30 Frauen in einem fensterlosen Raum ausharren, in dem es nicht einmal genug Platz zum Schlafen gab. Dort wurde sie Tag und Nacht von Kameras überwacht und per Lautsprecher mit chinesischer Propaganda beschallt. In einem anderen Lager hat man sie später physisch und psychisch gefoltert und zwangssterilisiert. Sie erlebte, wie Insassinnen vergewaltigt und getötet wurden.
Was bezweckt der chinesische Staat damit?
Es geht darum, die Menschen zu brechen, jedes Detail über sie in Erfahrung zu bringen, sie in Angst zu versetzen, sie zu terrorisieren. Wer ein solches Lager überlebt, ist schwerstens traumatisiert, er ist wie seelenlos und traut sich nicht mehr, eine andere Ansicht zu vertreten als die, die die chinesische Gehirnwäsche vorgibt.
Wie hat Mihrigul das durchgestanden?
Sie hat einen starken Charakter. Trotzdem hätte sie um ein Haar nicht überlebt: Sie stand kurz vor ihrer eigenen Hinrichtung, als ihr ägyptischer Ehemann sie rettete.
Wie sieht sie die Dinge heute?
Sie lebt mittlerweile in Washington, aber China versucht immer noch, sie einzuschüchtern. Zum Beispiel, indem man ihre Wohnung aufbricht. Mittlerweile wird sie vom FBI bewacht. Selbst im Exil versucht das Regime in Peking sie zum Schweigen zu bringen.
Hat sie auch heute noch Angst?
Ja, das hat sie. Aber sie ist auch überzeugt, dass es ihre Aufgabe ist, der Welt von ihren Erfahrungen zu berichten. Einer muss ja sprechen, sagt sie.
Warum tun wir uns in Deutschland so schwer, die Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang beim Namen zu nennen?
Deutschland hat ein riesiges Handelsvolumen mit China. Viele große deutsche Firmen, wie Siemens oder Volkswagen, machen Geschäfte dort und fürchten sich vor Strafmaßnahmen der Chinesen. Darauf nehmen deutsche Politiker oft noch immer Rücksicht.
Ändert sich das unter der neuen Regierung?
Unsere neue Außenministerin Annalena Baerbock von den Grünen hat bereits einen schärferen Ton angeschlagen. Es bleibt aber abzuwarten, ob sie dabei auch die Unterstützung des Kanzlers hat. Olaf Scholz schweigt bislang zu diesen Themen.
Man darf sich von der Angst nicht leiten lassen.
Letzte Frage zu Ihnen noch mal, Sie haben ein Buch mit sehr brisanten Details geschrieben, vermarkten es jetzt mit großer Kraft: Haben Sie keine Angst?
Man darf sich von der Angst nicht leiten lassen. Wenn ich sehe, wie mutig Mihrigul Tursun sich verhält, kommt mir jede Sorge, dich ich um mich selbst haben könnte, lächerlich vor.
Die Buchautorin und Journalistin Andrea C. Hoffmann ist Professorin für Investigativen Journalismus an der HAW Hamburg. Seit vielen Jahren deckt sie starke Frauenschicksale auf – ihre Biographien wurden weltweit in 17 Sprachen übersetzt. Für das Nachrichtenmagazin Focus war sie von 2004 bis 2021 als Nahostexpertin im Auslands-, später im Politikressort aktiv.
Sie veröffentlichte zahlreiche, teils preisgekrönte Reportagen aus dem Iran, Afghanistan, Pakistan, Irak, Türkei, Libanon, Syrien, Ägypten sowie afrikanischen und lateinamerikanischen Ländern. Andrea C. Hoffmann spricht fließend Englisch, Spanisch, Italienisch, Französisch, Dari und Farsi.
Fotos: via Andrea C. Hoffmann und Elke Tonscheidt; Buchcover Heyne
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