Streuobstwiesen sind Kulturgut und schützenswert
Blühende Wiesen unter alten, knorrigen Bäumen. Dieser Anblick lässt nicht nur das Herz von Naturliebhabern höherschlagen. Auch die Tier- und Pflanzenwelt erfreut sich an Streuobstwiesen. Sie bieten Lebensraum, Nahrung und sind insbesondere für seltene Tierarten relevant. Ein wahrer Schatz der Biodiversität – der stark gefährdet und unbedingt schützenswert ist. Und die hessische Apfelweinkultur profitiert dazu. Am 5. Juni ist Weltumwelttag, hier ist unser Beitrag dazu.
Wie ich zum Thema Streuobstwiesen komme? Ganz einfach. Ich engagiere mich in einer ländlichen Kommune in Hessen. 40 Minuten von Frankfurt entfernt liegt meine Heimatstadt Lich. Früher warb man hier mit dem Motto: „Im Herzen der Natur“. Heute wird diese Stück für Stück abgegraben. Leider, dabei sind Themen wie Nachhaltigkeit und Klima gerade wichtiger denn je.
Und hier kommen Streuobstwiesen ins Spiel, denn diese haben mittlerweile eine große Bedeutung für den Erhalt der Biodiversität, für die Produktion regionaltypischer Produkte (in Hessen ist das der Apfelwein), für die Erholungsfunktion für uns Menschen, sowie für den Lebensraum von Tieren und Insekten. Aufgrund dieser Besonderheiten ist der Schutz von Streuobstwiesen sehr wichtig. Um das etwas genauer zu erklären, muss ich etwas weiter ausholen.
Was sind Streuobstwiesen?
Der Obstbau in dieser Kulturform kam vor gut 2.000 Jahren durch die Römer zu uns. Was mit kleinen Obstgärten römischer Privilegierter begann, entwickelte sich in der Bevölkerung bald zu Selbstversorgergärten. Und im Laufe der Jahrhunderte dehnte sich der Obstbau aus den Siedlungen immer weiter in die Landschaft aus. Heute stehen auf Streuobstwiesen Obstbäume unterschiedlichen Alters und Größe locker und oft wie zufällig verstreut.
Bunt gemischt gedeihen Apfel- und Birnbäume neben Kirschen-, Zwetschgen-, Walnuss-, Quitten- und Mispelbäumen, jeweils in regionaltypischen Sorten.
Die Wiesen liegen im Übergangsbereich von Städten und Dörfern zur offenen Landschaft. Und da sie als Kulturlandschaft von Menschen geschaffen wurden, bleiben Streuobstwiesen auch nur durch Nutzung und Pflege erhalten.
Und hier liegt das Problem. Es gibt einen Pflegenotstand.
Ja, Du hast richtig gelesen. Ein Pflegenotstand, denn nur durch entsprechende Pflege und Nutzung lässt sich eine Streuobstwiese erhalten. Wie das geht, das wissen fast nur noch die älteren Generationen. Bei den jüngeren Menschen muss das Interesse geweckt werden, sich für den Schutz des Biotops Streuobstwiese zu engagieren. Ich kann mich noch gut erinnern, dass ich als Kind im Herbst mit meinem Opa auf den Streuobstwiesen die Äpfel und Zwetschgen eingesammelt habe. Davon machte meine Oma dann Kompott, Marmelade oder einen leckeren Apfel- oder Zwetschgenkuchen. Das gibt es heute kaum noch mehr. Es gibt ja alles fertig im Supermarkt zu kaufen 🙁
Auf Streuobstwiesen herrscht #volldasguteleben
Ich finde, dass gerade für die jüngere, die Fridays für Future-Generation, die sich um Nachhaltigkeit und Vielfalt sorgt, Streuobstwiesen ein guter Startpunkt sind. Man braucht das Rad nicht neu erfinden, sondern setzt instand, was schon vorhanden ist – zum Schutz der Natur. Zumal Streuobstwiesen zu den artenreichsten Landschaften gehören. Mehr als 5.000 Tier- und Pflanzenarten sind auf einer Streuobstwiese zu finden. Grund dafür sind die freistehenden Bäume, die ein Muster aus Licht und Schatten auf die Wiese werfen. Dadurch wachsen unterschiedliche Gras- und Blumenarten.
Wer schon mal auf einer Streuobstwiese war, der weiß, wie wunderschön es dort ist.
Denn auch der Baumbestand von Streuobstwiesen ist unterschiedlich. Obstbäume wechseln sich mit Sträuchern und Hecken ab. Diese Vielfalt an kleinen Lebensräumen bieten weder Wald noch Ackerland und man findet sie heute nur noch an natürlichen Bachläufen oder im Gebirge.
Ebenfalls interessant ist, dass auf Streuobstwiesen Spritz- und Düngemittel nur selten zum Einsatz kommen. Da esse ich doch lieber einen Apfel oder eine Zwetschge von der Streuobstwiese. Die sind zwar nicht immer makellos, aber wenigstens unbehandelt. Die Ernte erfolgt in großen Abständen übers Jahr, so dass die Tier- und Pflanzenwelt nur selten gestört werden und sich ungehindert ausbreiten können. Und da die Obsternte oft Handarbeit ist, bleiben immer einige Früchte zurück und erfreuen Insekten und kleine Säugetiere.
Stichwort wilde Bienen
Die sind in den letzten Jahren besonders ins Rampenlicht gerückt, denn wilde Bienen finden kaum mehr Lebensraum. Blühstreifen und biologische Landwirtschaft sind zwar auf dem Vormarsch, aber das Bienensterben schreitet voran. Fehlende Bestimmungen zu Insektiziden und einwandernde Krankheiten, die sich durch den Klimawandel verbreiten, bedrohen die Bienenstämme.
Auf Streuobstwiesen hat die Biene das ganze Jahr über Nahrung. Im Frühling sind die blühenden Obstbäume die erste Nahrung. Dann folgen die Blüten der Blumenwiese, die bis in den Herbst hinein ein reiches Angebot bietet und im Herbst fressen sich die Bienen an den übrig gebliebenen Früchten der Bäume satt.
UNESCO – Immaterielles Kulturgut
Leider sind in den letzten einhundert Jahren in Deutschland 90% der Streuobstwiesen verschwunden. Infrastrukturmaßnahmen, Siedlungserweiterungen sowie fehlende Pflege zählen dabei zu den Hauptgründen. Für die Erschließung von Wohn- und Gewerbegebieten oder den Straßenbau werden noch immer Streuobstwiesen gerodet und meist nur unzureichend Obstbäume nachgepflanzt.
Doch seit 2021 besteht Hoffnung, dass Streuobstwiesen wieder bedeutsamer werden. So hat die UNESCO die Streuobstwiesen und die „Hessische Apfelweinkultur“ auf die bundesweite Liste des immateriellen Kulturguts Deutschlands aufgenommen.
Das hat dazu geführt, dass sich neue Landschaftspflegeverbände gründen. Gerade bei uns in Hessen sind diese sehr aktiv und schmieden neue Konzepte.
Eine Marktnische für Streuobstwiesen liegt bei Gaststätten mit Apfelweinausschank.
Man greift beim Apfelwein normalerweise nicht auf die modernen Apfelsorten zurück, sondern auf die säurehaltigeren älteren Sorten aus dem Streuobstanbau. Als gebürtige Hessin liebe ich den Äppelwoi, der eine richtige Gefolgschaft vorweisen kann. So gibt es zum Beispiel die Hessische Apfelwein- und Obstwiesenroute. Die ausgeschilderten Rad- und Wanderwege führen zu regionalen Sehenswürdigkeiten, Streuobstbeständen und gastfreundlichen Mitgliedsbetrieben.
Es gibt sogar „Streuobstbeauftragte“
Und auch in Österreich hat die Direktvermarktung von Most, wie im niederösterreichischen Mostviertel mit seiner Mostgalerie, zu einer starken Renaissance des Streuobstbaus geführt. In der Schweiz existieren bis heute staatlich garantierte Abnahmepreise sowie im Vergleich mit den EU-Ländern hohe Pflegeförderungen für Hochstämme auf Streuobstwiesen.
Mehr Info
Wer noch mehr über Streuobstwiesen und Nachhaltigkeit von Kulturräumen wissen möchte, dem empfehle ich das Klima-Energie Portal des Regionalverbands Frankfurt RheinMain. Dort gibt es einen Regionalen Streuobstbeauftragten, der sich dem Thema widmet und auch Links zu anderen Regionen in Deutschland aufführt.
Und noch ein Hinweis: man darf nicht auf jeder Streuobstwiese das Obst einfach abernten. In vielen Gemeinden werden frei zur Ernte stehende Obstbäume mit einem gelben Band markiert.
Fotos: Sonja Ohly