Aufschrei – ein Schrei für mehr Mut
Es gibt Bücher, die sind harte Kost. „Aufschrei“ ist so ein Buch, sagt Sonja. Geschrieben von Roberto Saviano, der mit seinem internationalen Bestseller „Gomorrha“ international berühmt wurde. Sonja Ohly hat sein neues Buch „Aufschrei – 30 Anstöße für eine mutigere Welt“ für ohfamoos rezensiert.
Roberto Saviano ist ein sehr mutiger Mensch. Nach der Veröffentlichung seines investigativen Buchs über die italienische Mafia steht er wegen andauernder Morddrohungen unter Personenschutz. Seit mehr als acht Jahren lebt Saviano jetzt schon im Untergrund und wechselt ständig den Wohnsitz. Was macht das mit einem Menschen? Aus seinen eigenen Erfahrungen zieht Roberto Saviano in Aufschrei Bilanz und ruft uns auf mutiger zu sein.
Schrei, wenn man dich zur Vereinfachung zwingt
Zu Beginn habe ich Schwierigkeiten, mich mit dem Schreibstil Savianos anzufreunden. Sein Stil ist manchmal erzählerisch und lyrisch, manchmal wie eine Reportage. Er schreibt sehr persönlich und gibt tiefe, detaillierte Einblicke in Situationen, die ihn bewegen, und Menschen, die er bewundert. Menschen, die im Kampf für die Wahrheit kein Risiko scheuen. Menschen, die alles geben.
Gleich in der Einleitung, seiner Landkarte, sagt er: „Ich spreche mit dir, als wärst Du mein anderes Selbst. Du bist jetzt der Schüler am Gymnasium Diaz in Caserta, in meiner alten Schule.“ Er schreibt seinem jüngeren ich und ich denke, er richtet seine Worte damit ganz bewusst und speziell an die jungen Menschen in unserer Gesellschaft:
„Die Geschichten, die ich dir erzählen werde, könnten dir, wenn du sie richtig liest, bei Bedarf als Schutzschild dienen.“
In den 30 Kapiteln von Aufschrei lese ich von Männern und Frauen, die mutig für eine gerechtere Welt gekämpft haben oder noch kämpfen. Menschen, die dafür kämpfen all das zu verändern, was nicht in Ordnung ist. Saviano schildert in jedem Kapitel Dinge, die heute in unserer Welt schief laufen und wie oft wir einfach unseren Mund halten, wenn wir ihn eigentlich aufmachen sollten. Laut schreien sollten!
Viele Helden im Buch sind mir bekannt. Da ist die Geschichte mit Jamal Khashoggi und der rote Faden, der das Opfer und den Henker verbindet. Oder die von Edward Snowden und was die Technik heute alles mit uns macht.
Technik ist weder gut noch böse; aber sie ist auch nicht neutral.
Nicht alle seine Helden leben noch. Da ist das Kapitel über Giordano Bruno, der Mönch und Philosoph war, den die Kirche 1600 wegen seiner Ideen auf einem Scheiterhaufen in Rom verbrennen ließ.
Schrei, dass das Wort dem Feuer standhält
Oder die Gebrüder Grimm und Savianos Analogie zum Internet und den Volksmärchen. In jedem Kapitel zeigt Saviano, für was Menschen ihren Mund aufgemacht haben. Für was die Personen stehen und für was wir ebenfalls aufschreien sollten!
Schrei, dass sich alles ändern muss
Aufschrei ist ein schlaues Buch und macht mich sehr nachdenklich. Nicht jeder Mensch ist so mutig wie Saviano, aber Saviano zeigt in seinem Buch, für was es lohnt mehr Mut und Zivilcourage aufzubringen – für was es sich zu schreien lohnt.
In einem Interview mit dem Deutschlandfunk erklärt er, dass Mut nicht mit völliger Angstfreiheit gleichzusetzen sei: „Das Gefühl von Angst zeigt uns, dass irgendetwas schiefläuft. Dass wir uns schützen müssen. Das, was nicht geht, ist Feigheit. Feigheit unterscheidet sich von Angst. Feigheit vergiftet, Feigheit ist ein Risiko, denn sie kompromittiert unsere Entscheidungen. Angst ist gesund.“
Jedes Kapitel in Aufschrei hinterlässt bei mir eine Spur, hilft mir Zusammenhänge besser zu erkennen, unsere Feigheit besser zu sehen. Ich hinterfrage meine persönliche Haltung zu vielen Themen, die Saviano skizziert, und frage mich, ob ich denn selbst genug aufschreie oder es dann doch lasse, weil ich zu bequem oder zu feige bin. Das Buch ist ein guter Zeigefinger an und für uns selbst.
Meine Empfehlung: Unbedingt lesen und immer wieder hineinschauen!
Roberto Saviano, 1979 in Neapel geboren, arbeitete nach dem Studium der Philosophie als Journalist. Sein Buch Gomorrha kam rasch nach Erscheinen auf die italienische Bestsellerliste und machte ihn schlagartig berühmt. Nach wiederholten Morddrohungen von Seiten der Camorra steht Saviano permanent unter Personenschutz und lebt seit vielen Jahren im Untergrund. 2009 erhielt Saviano den Geschwister-Scholl-Preis, 2012 den Olof-Palme-Preis für seinen publizistischen Einsatz gegen organisiertes Verbrechen und Korruption und 2016 den M100 Media Award. Er schrieb am Drehbuch zum Film „Paranza – Der Clan der Kinder“ mit, das auf der Berlinale 2019 mit dem Silbernen Bären ausgezeichnet wurde.
Mut, Angst, Feigheit – in unserem Talk sprechen wir auch darüber:
Fotos: Sonja Ohly