Ariadne auf Naxos in der Wiener Staatsoper
Sonja war noch nie in der Wiener Staatsoper, obwohl sie seit 10 Jahren regelmäßig zu Besuch in Wien ist. Wie kommt‘s? Ihr Partner ist kein Opernfreund. Umso mehr freut sie sich, als ihre Freundin Irene sie zu einer Aufführung in die Wiener Staatsoper einlädt.
In der Wiener Innenstadt habe ich ja immer das Gefühl, ich mache einen Schritt in die Vergangenheit. Es gibt so viel zu entdecken. Überall ist die glorreiche Geschichte Wiens spürbar. Wenn ich die Hofburg und die Droschken sehe, denke ich als Deutsche sofort: Sissi! ;-). Eines der vielen imposanten Gebäude in der Stadt ist „Das Erste Haus am Ring“, die Wiener Staatsoper. Ein prächtiges Gebäude, nur sieht man den Neorenaissance-Bau leider oft nur von der Seite, da der viel befahrene „Ring“ direkt daran vorbeiführt.
Der Bau der Wiener Staatsoper
Irene und ich treffen uns am linken Seiteneingang der Oper und betreten das ehrwürdige Haus. Acht Jahre lang wurde die Wiener Oper nach den Plänen von August Sicard von Sicardsburg und Eduard van der Nüll gebaut. Die beiden Architekten wurden damals angefeindet und ihre Pläne als „Königgrätz der Baukunst“ und als „versunkene Kiste“ bezeichnet.
Offiziell eröffnet wurde die Wiener Oper am 25. Mai 1869 mit Mozarts „Don Giovanni“ unter der Anwesenheit des damalige Kaisers Franz Joseph und seiner Sissi. Tragischerweise hat aber keiner der beiden Architekten die Eröffnung der Oper erlebt. Van der Nüll beging Selbstmord und Sicardsburg erlag kurz darauf einem Herzinfarkt. (Hört sich irgendwie nach Wien an 😉
Der imposante Bau und die Innendekorationen sind einfach atemberaubend.
Heute zählt die Wiener Staatsoper zu den bedeutendsten Opernhäusern der Welt. Jede Spielsaison stehen rund 350 Vorstellungen und mehr als 60 verschiedene Opern- und Ballettwerke auf dem Spielplan.
Spitzenplätze
Irene und ich sind 15 Minuten vor der Vorstellung angekommen. Wir geben unsere Mäntel an der Garderobe ab, erstehen für 90 Cent ein kleines Programmheft und begeben uns direkt auf unsere Plätze. Wieder bin ich sprachlos, denn wir sitzen gleich in der ersten Reihe links – Spitzenplätze! Ich habe einen uneingeschränkten Blick auf die Bühne und den Graben, in dem das Orchester schon Platz genommen hat. Die Musiker spielen sich gerade ein.
Jeden Abend sind in der Wiener Oper, neben den fest engagierten Ensemblemitgliedern, auch internationale Stars auf der Bühne und am Dirigentenpult zu sehen. Und heute agiert der deutsche Thomas Guggeis als Gast-Dirigent. Der noch nicht 30-jährige wird als der neue Shooting Star gehandelt.
Eiserner Vorhang
Noch bevor die Vorstellung beginnt, bewundere ich den Bühnenvorhang, der, so erklärt mir Irene, jede Saison von einem anderen Künstler gestaltet wird. So wurde am 2. November 2022, zum 25. Jubiläum des Projekts Eiserner Vorhang, das Werk The New Angel der chinesischen Künstlerin Cao Fei vorgestellt. Das Bild der international renommierten Künstlerin ist riesig (176 m2) und noch bis Ende Juni 2023 in der Oper zu sehen.
Vorbereitung für einen Opernbesuch
Gespielt wird Ariadne auf Naxos von Richard Strauss. Eine Oper in einem Akt mit einem Vorspiel. „Ariadne auf Naxos ist das dritte gemeinsame Werk von Strauss (Musik) und Hofmannsthal (Text) und wurde in seiner zweiten und bekannten Fassung 1916 an der Wiener Hofoper uraufgeführt. Die eigentliche Oper kreist um Ariadnes Begegnung mit den Gespenstern ihrer Einsamkeit. Vorangestellt ist ihr ein alptraumhaftes Scherzo über Theaterschaffende, die den Launen eines Mäzens ausgeliefert sind“, lese ich auf der Webseite der Wiener Oper.
Grundsätzlich sollte man sich auf einen Opernbesuch vorbereiten, indem man sich über die Handlung, die Personen, die Stimmlagen, die Originalsprache, den Komponisten informiert. Wenn die Oper in Originalsprache aufgeführt wird, ist das in der Wiener Oper nicht weiter tragisch, da sie mit einer Übersetzungsanlage ausgestattet ist. Und wenn man die Handlung kennt, braucht man auch nicht jedes gesungene Wort zu verstehen, der musikalische, theatralische und szenische Ausdruck ist ja das Entscheidende. Aber selbst bei Strauss muss ich ab und an auf die Tafel mit dem Text vor mir schauen.
Der Vorhang fällt nach dem Vorspiel und der Applaus lässt nicht auf sich warten. Speziell die amerikanische Mezzosopranistin Kate Lindsey wird stürmisch für die Rolle des Komponisten beklatscht. Sie gilt derzeit als eine der wichtigsten Sängerinnen ihres Fachs.
Das Schwindfoyer
Zur Pause geht’s durch die das imposante Treppenhaus ins Schwindfoyer, wo Irene unsere Erfrischung schon vorbestellt hat. Viel Zeit ist nicht und wir sind immer noch ganz berauscht von der Stimmgewaltigkeit der Sänger und Sängerinnen. Aber auch hier darf ich die Pracht und Architektur wieder bewundern. Noch schnell ein Bild und da läutet auch schon die Glocke.
Der Opernteil beginnt mit neuem Bühnenbild und ich sehe drei Klavierflügel in neigenden Stellungen im vorderen Bereich der Bühne. Der hintere Bereich zeigt Sitzreihen wie in einem Theater. Dieser Akt gehört den Frauen.
Frauenpower
Als Ariadne strahlt Camilla Nylund, die Finnin, die erst gerade mit dem Lotte-Lehmann-Gedächtnisring ausgezeichnet wurde. Dieser Preis wird seit 1955 vom Staatsopern-Solistenverband an „herausragende Sängerinnen des deutschen Faches“ verliehen. Camilla Nylund hat einen warmen vollen Sopran, so wie ich eine Sopranstimme erwarte. Umso erstaunter bin ich von Serena Sáenz, die als kokette Zerbinetta ihr Staatsoperndebüt gibt und sich „mit Leichtigkeit durch das Strauss’sche Koloraturen- und Höhenfeuerwerk sang. Eine Sternstunde virtuoser Gesangskunst,“ schreibt der Standard.
Aber auch die Nymphen darf ich nicht vergessen. Exzellent aufeinander abgestimmt, begleiten sie Ariadne. Die tasmanische Sopranistin Bryony Dwyer ist seit 2019/20 Ensemblemitglied. Die ungarische Mezzosopranistin Szilvia Vörös gehört seit 2018 zum Ensemble der Wiener Staatsoper und spielt Dryade mit Hingebung. Die dritte im Bunde ist Aurora Marthens. Die Finnin absolviert aktuell ein Studium an der Universität der Künste in Berlin und ist Mitglied des Opernstudios der Wiener Staatsoper.
Gemeinsam mit dem aus den USA stammenden Eric Butler, der den Bacchus spielt, beenden der Tenor und Nylund die Oper als Paar. Sofort beginnt tosender Applaus. Das Publikum ist begeistert und steht klatschend in den Rängen. Die Künstler verneigen sich und freuen sich über die Huldigungen des Publikums.
Musik verbindet
Eine große Freude erfüllt mich auf dem Weg nach Hause. Mir wird wieder klar, wie wichtig die Musik, die Opernhäuser und die Theater der Welt sind. Hier treffen sich Nationalitäten, nicht nur im Ensemble, auch unter den Besuchern, um etwas zu gestalten und Schönes zu erleben. Schaffende Kunst, die verbindet.
Wie ohfamoos, dass wir das wieder erleben dürfen! Und wie wichtig, dass wir die Künste weiter fördern.
Und für diejenigen, die mit Opernmusik nichts anfangen können, denen empfehle ich eine Führung. Die gibt es übrigens auch für Kinder!
Für alle, die an der Handlung von Ariadne auf Naxos interessiert sind, hier eine kleine Beschreibung:
Das Vorspiel
Ein reicher Mann hat ein Diner mit anschließender Vorführung für seine Gäste angeordnet. Der Musiklehrer beklagt sich, dass nach der Uraufführung von „Ariadne auf Naxos“ ein Lustspiel aufgeführt werden soll. Bestürzt muss der junge Komponist erfahren, dass Zerbinetta und die Komödianten gleich nach der Premiere seines ernsten Werks ihr Stück aufführen, und die Primadonna weigert sich, eine zweite weibliche Hauptfigur neben sich zu akzeptieren.
Der Haushofmeister verkündet, dass das Diner zu Ende ist und Oper und Schauspiel, statt nacheinander, nun gleichzeitig aufgeführt werden müssen, damit das Feuerwerk pünktlich um neun Uhr beginnen kann. Die Operndarsteller sind empört, doch die Possenspieler freuen sich, ihr Improvisationstalent zeigen zu können. Zerbinetta lässt sich die Handlung der Oper erzählen und legt den Ablauf für die Doppelaufführung fest. Sie bezirzt den Komponisten so geschickt, dass er dem Kompromiss zustimmt und die Vorführung beginnen kann.
Die Oper
Vor einer Höhle an den Gestaden der Insel Naxos wartet Ariadne auf den Tod, da sie von Theseus, ihrem Geliebten, verlassen wurde. Sie hört und achtet auf nichts mehr um sie herum: nicht auf die drei Nymphen, nicht auf die Komödianten, die sie aufheitern wollen, auch nicht auf Zerbinetta, die in einer halsbrecherischen Arie der Trauernden aus reicher Erfahrung rät, dem Entschwundenen keine Träne nachzuweinen und offen für eine neue Liebe zu sein.
Da naht aus der Ferne ein strahlender Jüngling, Bacchus, der Gott der ewigen Erneuerung. Er kommt aus den Armen der Zauberin Circe, bei der er nicht finden konnte, was er suchte. Ariadne, ihn für den Todesboten haltend, geht ihm entgegen und entbrennt sogleich, ohne es sofort zu bemerken, in ekstatischer Hingabe, die vom Gott erwidert wird. Durch den jeweils anderen verwandelt und wie neu geschaffen, können Ariadne und Bacchus als gerade- zu mystisch vereintes Paar die Oper beschließen.
Text und Fotos: Sonja Ohly