Durch die westliche Türkei
Im zweiten Teil des Reisetagebuchs „Einmal Indien und Retour“ begleiten wir die Abenteurer auf ihrer Route durch die westliche Türkei. Von den Dardanellen über Troja, Pergamon, Ephesos bis nach Pamukkale.
Troja, 7. Oktober 2004
Vormittags überqueren wir mit einigem Zeitaufwand die türkische Grenze, die von schmucken Halbmond-Flaggen geschmückt ist. Die Türken sind wesentlich flinker als die Griechen, aber genauso freundlich, besonders dann, wenn sie uns als Deutsche erkennen. Dies lässt sich an zwei Beispielen zeigen, die in ganz unterschiedlichen Situationen erlebt wurden. Zuerst fahren wir in die Stadt Kesan, wo wir uns mühsam durch den Verkehr quälen, um schließlich einen Parkplatz im Zentrum zu ergattern. Dort geleiten mich hilfsbereite Jugendliche zu einer Bank zwecks Geldwechsel.
Kaum habe ich die Schalterhalle betreten, werde ich vom Filialleiter begrüßt und bevorzugt abgefertigt. Die wartende Menge reagiert nicht etwa erbost, sondern sehr sympathisch; man gibt mir die Hand, klopft mir auf die Schulter, schenkt mir Kugelschreiber (pikanterweise haben wir selbst mindestens 1000 Kugelschreiber als Gastgeschenke an Bord). Das eigentliche Wechselgeschäft erweist sich allerdings als ziemliche Herausforderung: allein die aufmerksame Sichtung meines Personalausweises dauert satte 5 Minuten und endet damit, dass die gesamte Transaktion unter dem Namen „Volker Erich Harri“ (also unter meinen Vornamen) abläuft. Nur um Fritz (der am Parkplatz seine ersten Kontakte mit deutschfreundlichen Einwohnern knüpft) nicht so lange warten zu lassen, lehne ich eine Einladung des Filialleiters zu Kaffee oder Tee dankend ab. Übrigens verlasse ich die Bank, die ich mit mageren 200 € betreten habe, als stolzer Besitzer von 367.000.000 türkischen Lira. So schnell wird man Millionär …
Das zweite Beispiel für die Freundlichkeit der Menschen:
An einer der zahlreichen Wasserstellen auf den Überlandstraßen (çesme = Brunnen) halten wir, um 40 Liter bestes Trinkwasser zu bunkern.
Solche Aktionen lösen hierzulande einen sofortigen Kontakt mit anderen Menschen aus. Ein Mann lädt uns zum Tee (çay) ein, ein anderer erzählt von Deutschland, ein dritter schenkt uns kleine Süßigkeiten, nachdem wir ihm eine Honig-Nuss-Masse abgekauft haben. Dazu spielt mit heißer Inbrunst ein Tonband türkische Herz-Schmerz-Musik, Sologesang und Chor im Wechsel, ganz ergreifend, wahrscheinlich eine unerfüllte Liebe …
Weiter, vorbei an Ziegenherden, Richtung Dardanellen, früher auch Hellespont genannt, wo wir zunächst in Gallipoli Halt machen, der Stadt, die im ersten Weltkrieg traurigen Ruhm erlangte. Wir besuchen den bunten Hafen, beobachten eine Fähren-Ankunft (große Laster, kleine Pkw, viele Fußgänger) und genehmigen uns gegrillte Sardinen mit Salat in Weißbrot an einer Imbissbude – köstlich!
Auf der Dardanellen-Fähre gelangen wir von Europa nach Asien. Die Silhouette von Cannakale zeigt auf einen Blick 3 Moscheen. Der Muezzin ruft laut und beharrlich.
Ören, 8. Oktober 2004
Am Vormittag treffen wir in Troja ein, wo wir uns in 2 Stunden die Reste von Priamus’ Hauptstadt ansehen, die auch Ilion hieß. Die Ausgrabungen, die weitgehend unter deutscher Leitung standen und stehen, haben insgesamt 9 Schichten zu Tage gefördert, die Zeugnis von historisch gewachsenen und mehrfach revidierten Stadt-Strukturen ablegen (Troja I bis Troja IX). Die Kommentierung ist ausgezeichnet (dreisprachig), die archäologische Ausbeute optisch eher bescheiden.
Weiter geht es durch karge Landschaft ans Meer, wo die griechischen Inseln nicht allzu weit entfernt sind. Nach langer Fahrt erreichen wir Assos, eine Burg hoch über dem Meer mit prächtiger Aussicht. Wir lassen uns in einem freundlichen Gasthaus nieder, wo man uns Okra-Schoten und Lamm-Khebab serviert. Zutrauliche Kätzchen streunen gefräßig um unsere Teller herum und zählen uns jeden Bissen in den Mund. Wenn wir über den Tellerrand schauen, sehen wir die griechische Insel Lesbos zum Greifen nahe.
Im nächsten Dorf sitzen die Männer, wie überall, in den Tee- und Kaffeestuben; beim Anblick einer Gruppe von Frauen meint Fritz: „Wie üblich: Kopftuch, Pluderhosen, Handy!“ Als wir weiterfahren, erleben dann aber den ersten Schreck auf unserer langen Reise: in einer Kurve wird Fritz zu einem Ausweichmanöver gezwungen. Obwohl er so weit wie möglich nach rechts hinüberfährt, wird uns der linke Außenspiegel abgerissen. Ein gewaltiger Knall und ungläubiges Erschrecken. Die Verhandlungen mit dem anderen Verkehrsteilnehmer – ohnehin erschwert durch die ständige Benutzung des mitgebrachten Wörterbuchs – führen zu nichts: auch sein Spiegel ist vernichtet. Aber nicht lange lassen wir die Köpfe hängen, sondern freuen uns, dass nichts Schlimmeres passiert ist. Morgen werden wir eine Werkstatt finden.
Yenifoca, 9. Oktober 2004
Wir brausen Richtung Kfz-Werkstatt, die wir in der schönen und sauberen Stadt Ayvalik finden. Nach gut zwei Stunden Wartezeit (türkisch: beklemek) erhalten wir einen soliden Behelfsspiegel zurück, dessen Glas extra manuell zugeschnitten wurde. Wo gibt es das noch? Nun können wir wieder überholen, ohne den Beifahrer zu bemühen. Auf der Weiterfahrt passieren wir eine Anlage zur Salzgewinnung.
Bald gelangen wir nach Bergama (Pergamon), wo wir die „Akropolis“ mit dem 1. Gang erklimmen und nicht nur die Burg und das gut erhaltene Theater betrachten, sondern auch den herrlichen Rundblick genießen, der u.a. einen Stausee präsentiert. Immer wieder eindrucksvoll (und langsam nicht mehr wegzudenken) sind die durchdringenden Rufe des Muezzin, die diesmal tief unter uns aus der Stadt heraufdringen.
Nun, am späten Nachmittag, wühlen wir uns zurück über das Kopfsteinpflaster von Bergama und nehmen dann Kurs auf Foca, einen kleinen Fischerort, den wir über eine schöne Küstenstraße morgen Vormittag erreichen werden.
Ephesos, 10. Oktober 2004
In Foca finden wir rasch ein echt türkisches (also nicht touristisches) Tee/Kaffeehaus mit Blick auf den Hafen. Dort genießen wir das muntere Treiben und wechseln auch ein paar Worte mit unseren türkischen Nachbarn.
Übrigens haben wir die Türken bisher als sehr entgegenkommend und hilfsbereit, aber niemals aufdringlich empfunden. Auf Deutsche sind sie alle (trotz der EU-Beitrittsprobleme) gut zu sprechen. Seit vorgestern wird unser Bus an allen vier Seiten von der türkischen und deutschen Fahne geschmückt. Die Fahnen des Iran, von Pakistan und Indien führen wir ebenfalls an Bord.
Da heute Sonntag ist, wagen wir uns ins Zentrum von Izmir, das wir nach einer guten Stunde erreichen. In der drittgrößten Stadt des Landes angekommen, verbringen wir einige Zeit in der Nähe der Hafeneinfahrt, wo sich Jung und Alt, Männer, Frauen und Kinder (Verliebte auch Händchen haltend) bei herrlichem Wetter und mit Blick aufs blaue Meer treffen. Es ist übrigens so heiß, dass wir die unerträglichen Temperaturen im Hochsommer nur erahnen können …
Unser nächstes Ziel ist Ephesos (Efes), die Ausgrabungsstätte in der Türkei schlechthin. Auf dem Parkplatz angekommen, wird uns ein kostenloser Transfer zum oberen Eingang angeboten. Unsere skeptische Nachfrage, was diese Liebenswürdigkeit für einen Haken habe (denn immerhin sparen wir dadurch Zeit und Energie, da Ephesos – ehemalige Hauptstadt der römischen Provinz Asia Minor – insgesamt einen beträchtlichen Höhenunterschied aufweist), wird rasch beantwortet: man erwartet von uns lediglich den Besuch eines Teppichladens ohne Kaufzwang. Wir lassen uns auf den Deal ein, und ab geht’s mit einem 20 Jahre alten Mercedes (völlig durchgesessen) nach Selcuk, wo wir 20 Minuten lang, Tee trinkend, ein nettes Gespräch mit einem deutschkundigen Teppichhändler (Studium zum Dipl.-Ing. in West- Berlin, ehemals wohnhaft in Wedding) hatten – ohne etwas zu kaufen.
Ephesos ist eine unglaublich dichte und kompakte Anhäufung antiker Gebäudereste: Bögen, Säulen, Tore, Mauern, oft gut erhalten und ganz authentisch, oft beton-saniert. Ganz langsam wandern wir, der Schwerkraft folgend, von oben nach unten, entlang der riesigen Kolonnade, zusammen mit Holländern, Japanern und, natürlich, Studiosus-Deutschen, die türkischen Touristen nicht zu vergessen.
Unten angekommen sind es nur noch wenige Kilometer, vorbei an den ersten Eukalyptus- Bäumen, bis zu unserem schönen Standplatz unter duftenden Pinien mit Blick auf Sonnenuntergang. Der Wetterbericht für morgen: Izmir 28° C, Berlin 10° C.
Kale, 11. Oktober 2004
In der Nähe von Aydin sehen wir am Straßenrand zum ersten Mal ein Dromedar. Dieser ungewohnte Anblick wird uns im Laufe der Reise immer vertrauter, bis er schließlich im indischen Bundesstaat Rajastan zur alltäglichen Gewohnheit geworden ist.
Nach Durchquerung der Teppichstadt Denizli (überall hängen riesige Reklameschilder für Teppichknüpfereien) erreichen wir Pamukkale (wörtlich: „Baumwollschloss“), wo wir schon aus der Ferne die weißen (scheinbar schneebedeckten) Sinterterrassen sehen können. Pamukkale ist sicher einen Besuch wert. Langsam steigen wir das völlig verkalkte Felsgestein empor, welches unablässig von stark fließendem Wasser überströmt wird. Die Kalkablagerungen sind z.T. schneeweiß und bilden gelegentlich Höhlen aus „Eis“ mit vielen überhängenden und ständig tropfenden „Eiszapfen“ – ganz wie im Winterurlaub. Nur die Temperaturen sind alles andere als winterlich – nämlich brütend heiß, und das im Oktober!
Die herabfließenden Wasserläufe haben an mehreren Stellen Terrassen gebildet, die den vielen Touristen als Badestellen dienen.
Man hört russische und bulgarische Laute und sieht leicht bekleidete Frauen aus diesen Ländern mit knappen Höschen und gewagten Bikinis – ein peinlicher Anblick vor dem Hintergrund türkischer Lebensart. Fritz und ich bewältigen langsam barfuß (Vorschrift!) den ziemlich steilen Aufstieg und besuchen noch ein geschmackvoll angelegtes Thermalbad, welches auf den Ruinen der römischen Stadt Hierapolis (2. Jh. n. Chr.) angelegt wurde und Reste von Säulen, Torbögen und Portalen unter der Wasseroberfläche erkennen lässt.
Der nun folgende Abstieg (mit herrlichen Blicken rechts und links auf die Sinterterrassen) führt uns wieder über das weiße Kalkgestein und beschert uns ein eigenartiges Missgeschick. Bei dem Versuch, meinen Abstieg von Fritz filmen zu lassen, fallen mir sämtliche Reisedokumente (Pass, Kreditkarte, Bargeld) in das muntere Bächlein. Auf Zuruf packt Fritz die Wertsachen mit sicherem Griff und bewahrt uns so vor einer größeren Krise. Nun müssen wir geduldig warten, bis der Schaden behoben ist. Dazu breiten wir die o.g. Dokumente (darunter eine größere Anzahl von 50-EURO-Scheinen) bedenkenlos auf einer Bank aus, wo sie von der warmen Sonne schnell getrocknet werden.
Unten angekommen, blicken wir noch einmal begeistert zurück; dann geht es weiter Richtung Mittelmeer. Die Stimmung an Bord bleibt gut, denn auch heute schlägt uns wieder eine Woge der Sympathie entgegen, eine allgegenwärtige Deutschfreundlichkeit, die ohne kommerzielle Hintergedanken in Teppichläden, Tankstellen und Teestuben zum Ausdruck kommt.
Unser Standort für die Nacht befindet sich in einer kleinen Nebenstraße. Hinter uns liegt eine Stunde kontinuierlicher Aufstieg, der Fritz zu Monologen über den mutmaßlichen Steigungswinkel und die Leistung der einzelnen Gänge veranlasst. Besonders groß ist die Ernüchterung („Das kann doch nicht wahr sein!“), wenn der 3. Gang die in ihn gesetzten Erwartungen nicht erfüllt. Er ist eben durch und durch Ingenieur. Die Landschaft am heutigen Tag ist z.T. bewaldet und präsentiert uns Pinien, Zypressen, Eukalypten, Oliven, Feigen, Avocados und Quitten.
Hier lest ihr den ersten Teil von „Einmal Indien und Retour“.
Der dritte Teil der Tagebuchserie erscheint am 16. August.
Und wer mehr über die Abenteurer und die Reise erfahren mag, dem empfehlen wir die Einleitung:
Ich habe gerade die Zeit gehabt, mir genüsslich Teil 2 dieses großartigen Reisetagebuchs zu Gemüte zu führen. Es ist so lebendig erzählt, dass man fast meint, mit dabei zu sein. Jedenfalls tat das Mitnehmen in wärmere Gefilde gerade ausgesprochen gut – denn an mein Fenster klatschen schon wieder dicke Regentropfen bei ca. 15 Grad (im August!!). Herzlichen Dank für diese erwärmende Ablenkung auf dem Weg gen Osten…