5,05 € für zwei Stunden Lebenszeit
Wer reist, kann was erzählen. Wer mit der Deutschen Bahn reist, erst recht. Unsere Kolumnistin und Gastautorin Sabine Tonscheidt berichtet, wie ihre Reisen mit der Deutschen Bahn in jüngster Zeit ausfielen – und was sie erstattet bekommt, wenn man Entschädigung verlangt. Hier also ihre „Mainung“ aus Frankfurt am Main.
Eigentlich habe ich mir geschworen, niemals einen bösen Kommentar zur Deutschen Bahn zu veröffentlichen. Nicht auch noch in diese dauernde Kritik um die Unpünktlichkeit der Bahn einzusteigen, die schon vielfach existiert in den sozialen Medien. Wo alle auf die Bahn schimpfen und draufhauen – und dann am nächsten Wochenende im Auto sitzen und in kilometerlangen Staus an den unzähligen Baustellen dieser Republik warten, ohne einen Mucks zu kritisieren.
Denn eigentlich bin ich ja ein echter Bahn-Fan.
Ich verteidige das Zugfahren gegenüber dem Autofahren bei jeder Gelegenheit, nicht nur, aber auch aus ökologischer Perspektive. Hatte schon die Bahncard 100 und sicher so viele Bahn-Kilometer auf dem Buckel, dass ich Deutschland mehrfach umrundet habe. Bin begeistert vom Platz, den man hat in den Abteilen gegenüber den vielfach engen Autos. Der Möglichkeit, ein paar Schritte zu laufen unterwegs. Aus dem Fenster zu schauen und mehr zu sehen als weitere Autos, die an mir auf zumeist trostlosen Autobahnen vorbeifahren.
Seit mehr als 14 Jahren habe ich kein Auto mehr. Bin stattdessen komplett auf die Bahn, auf den öffentlichen Nahverkehr und E-bike umgestiegen. Zusätzlich leiste ich mir ab und zu einen Mietwagen bei flinkster – auch ein Partnerunternehmen der DB.
Drei Bahn-Pleiten in drei Monaten
Aber jetzt ist Schluss mit lustig. Denn in letzter Zeit mehren sich auch bei mir Erfahrungen beim Reisen mit der Deutschen Bahn, die mir zunehmend unerträglich erscheinen. Drei Pleiten in nur drei Monaten. Einmal konnten wir einen Nachtzug nicht nutzen, weil es hieß: Baustellen auf der Strecke. Wir – zwei Frauen – bekamen dann als Alternative eine Strecke mit viermal Umsteigen (statt null) angeboten, bei der wir nachts obendrein knapp fünf Stunden am Grenzbahnhof stehen sollten.
Das andere Mal hätten wir fast die Hochzeit meiner Mutter verpasst: extra früh losgefahren, doch dann mussten wir von Köln ein Taxi nehmen, sonst hätten wir’s zeitlich nicht mehr bis zum Ja-Wort geschafft. Noch heute kämpfe ich für die Erstattung der rund 90€ Taxikosten.

Reisen mit der Deutschen Bahn – wenn es nur immer so lustig wäre.
Die jüngste Pleite: Die Fahrt nach Münster, meiner Studienstadt.
Eingestiegen in Frankfurt und zunächst noch frohgelaunt und mich aufs Wiedersehen mit Freunden freuend. Die Fahrt geht über Nordhessen Richtung Sauerland. Angekommen in Siegen ist plötzlich Schluss. Aus dem Lautsprecher ertönt die freundliche Stimme der DB:
„Wir haben zurzeit keinen Zugführer mehr. Wir versuchen, einen Ersatz zu finden und melden uns, sobald wir Bescheid wissen.“ (Durchsage der Deutschen Bahn 2023)
Wie bitte? Kein Zugführer mehr? Wo ist der denn hin? Einfach ausgestiegen und weggelaufen, weil seine Schicht endete? Oder sich mit seinen Kollegen im Zug gestritten und dann gesagt: „Ihr könnt mich mal, ich steige aus.“ In meiner Umgebung machen Scherze die Runde: „Ich hatte mal ne Modelleisenbahn – ob ich mich wohl mal melde, um den Zug weiterzufahren?“ sagt ein Mann hinter mir. Noch sind wir alle fröhlich. Denken: Na ja, wenigstens ehrlich… Bislang war übrigens mein Lieblingskommentar, den ich von den Zugbegleitern gehört hatte:
„Das Zugrestaurant bleibt geschlossen, weil die Crew den Zug verpasst hat.“ (Durchsage der Deutschen Bahn 2022)
Aber jetzt: warten. Aus fünf Minuten werden 20. Dann meldet sich die freundliche Stimme erneut: kein Zugführer weit und breit aufzufinden. Ach was. Kommt nicht gerade überraschend. Und wie komme ich jetzt nach Münster? Na, mit der Regionalbahn über Dortmund, dort umsteigen in einen ICE. Ankunftszeit Münster: knappe zwei Stunden später. Ärger macht sich bei mir breit. Dabei habe ich zum Glück keine Termine: außer meiner Verabredung zum Abendessen.
Aber man fühlt sich doch ziemlich allein gelassen: kaum entschuldigende Worte der Bahn. Eher so, als wäre das inzwischen einfach schon normal. Kaum einer rechnet ja noch mit pünktlichen Zügen…
Deutsche Bahn – Schlusslicht in Europa?
Zeit für ein paar Zahlen: 2022 war die Deutsche Bahn in Sachen Pünktlichkeit laut dem Portal zugfinder.net Schlusslicht in Europa. Glaubt man nicht, ist aber so. Sie zahlte im gleichen Jahr ihren Kunden 92,7 Millionen Euro Entschädigung für Verspätungen, schlappe 54,5% mehr als im Vorjahr 2021. Im Fernverkehr sind im ersten Halbjahr 2023 nur 68,7 Prozent der Züge pünktlich gewesen. Wobei die Bahn „pünktlich“ etwas freier definiert: pünktlich ist ein Zug immer dann, wenn er seinen Halt bis zu sechs Minuten später erreicht… Wie geht all das zusammen mit Preiserhöhungen für Bahntickets von knapp 5%, die ab dem 11. Dezember 2022 gültig wurden? Irgendwas passt das für mich nicht mehr zusammen.
Zurück nach Siegen: Wie Vieh trottet die Herde, die eigentlich viel weiter gen Norden wollte (immerhin war das Ziel des Zuges Norddeich-Mole an der Nordseeküste) auf den anderen Bahnsteig. Ich reihe mich ein. Steige weitere 40 Minuten später in die Regionalbahn nach Dortmund, die jetzt natürlich ziemlich voll wird – schließlich muss sie ja etliche Gestrandete von Siegen aufnehmen.
Reisen mit der Deutschen Bahn und die Zugbegleiterin

Sabine Tonscheidt und das Reisen mit der Deutschen Bahn
Ich beschließe, direkt in die 1. Klasse der Regionalbahn zu gehen. Fühl mich dazu berechtigt – schließlich habe ich nicht nur ein Ticket für den teureren IC gebucht, sondern habe mittlerweile auch schon rund eine Stunde Verspätung und muss statt einer Direktfahrt zweimal umsteigen. Doch die verhaltene Freude über wenigstens einen Platz in der 1. Klasse nimmt ein jähes Ende:
Bei der Fahrkartenkontrolle fällt der Zugbegleiterin auf, dass ich kein 1. Klasse-Ticket habe. Stimmt. Dafür aber ein IC-Ticket. Egal, die sichtlich genervte DB-Mitarbeiterin droht mir mit einem Strafticket von 60 Euro, wenn ich nicht in die 2. Klasse wechsle. Willkommen in der Dienstleistungs-Wüste Deutschland! Haben wir wirklich kein Händchen mehr dafür, wie man mit Kunden umgeht, denen man Zeit und Nerven klaut, weil man seine Transport-Versprechen nicht einlösen kann?
Schließlich gehe ich beim Reisen mit der Deutschen Bahn und mit dem Kauf eines ihrer Fahrscheine doch eine Art Vertrag mit der Bahn ein: Ich zahle für eine Leistung, die mich von A nach B bringen soll und zwar in der Zeit X mit dem Verkehrsmittel Y. Und wenn das nicht gelingt? Darf man sich dann nur ärgern, aber bitte möglichst still und leise?
Runde fünf Euro für zwei Stunden Verspätung
Freilich: Ab 60 Minuten Verspätung bekommt man 25% seines Fahrpreises erstattet – allerdings nur, wenn man sich selbst drum kümmert. Und die Mittel der Online-Fahrgastrechte-App beherrscht. Weiß, welche Knöpfchen man drücken muss. Oder so viel Zeit hat, dass man zu den Service-Zentren der Bahn an den Bahnhöfen selbst geht, um dann nach Schlangestehen seine Geschichte vorträgt, um Ersatz zu fordern.
Mich hat diese Zugfahrt nicht nur zwei Stunden meiner Lebenszeit, sondern auch viele Nerven gekostet. Die ich abends beim Bier mit meinen Freunden runterspüle. Aber wo ich doch meine: Kundendienst geht anders. Über die 5,05€ Entschädigung, die die Bahn mir für diese Pleite zahlte, habe ich nur ein kopfschüttelndes Lächeln übrig.
Übrigens: Ich bin dann doch eingeknickt und in die 2. Klasse gewechselt, wo ich eine halbe Stunde stand, weil kein Platz mehr frei war. Habe mich dann über mich selbst am meisten geärgert, dass ich es nicht durchgezogen habe mit der 1. Klasse in der Regionalbahn. Aber wie sagte mir eine Bekannte kürzlich: Willst du Recht haben oder glücklich sein? Wenn es doch nur so einfach wäre …
Ich bekomme schon ‚nen Hals‘ beim lesen!! Wie muss das erst sein, wenn man als Betroffener in die Lage kommt…! Und eine Besserung ist wohl vorerst nicht in Sicht. Wie konnte es nur soweit kommen? Bin mal gespannt, wie die Bahn auf deine Beschwerde mit der fast verpassten Hochzeit reagiert! Vielleicht mit 6€ Entschädigung….🤣