Pakistan – von Belutschistan nach Lahore
Auf dem Weg nach Indien führt die heutige Etappe durch Pakistan von Belutschistan nach Lahore. Auf dem Weg besuchen Volker Raddatz und seine Freunde u.a. Quetta, Ziarat und Multan. In Loralei gibt es ein Problem, das zum Glück gut ausgeht.
Dalbandin, 17. November 2004
Morgens erwartet uns ein strahlender Tag, nachdem es gestern Abend nach Auskunft unserer Gastgeber seit 7 Jahren wieder einmal geregnet hat. Wir verlassen unser Zimmer im Gästehaus (in dem auch ein Gebetsteppich sowie ein Koran bereitlagen), verabschieden uns von Yahya Kekhaie, dessen Hilfsbereitschaft soweit geht, dass er uns Treibstoff aus den Beständen des Universitäts-Fuhrparks besorgen will. Wir winken ab.
Da wir uns nun der berühmt-berüchtigten „Drogenpiste“ nähern, die von uns erhöhte Wachsamkeit verlangt, stoppen wir in Richtung pakistanische Grenze an jeder Polizeistelle und fragen um Rat. Unsere Besorgnisse werden jedes Mal mit Heiterkeit zerstreut („No danger, sir“), und so gelangen wir sicher an die Grenzstation Mirjaveh, ein Oasendorf inmitten von Felsen und Sand.
Die Grenzformalitäten verlaufen freundlich, aber sehr langsam und umständlich. Ein vor zwei Jahren installiertes EDV-System hemmt den Ablauf, weil die Beamten mit der modernen Technik nicht vertraut sind und sogar Probleme mit der PC- Tastatur haben. Als Ausgleich für die Warterei wird Tee angeboten und ein Schwätzchen gehalten. Immerhin hilft uns auch hier der Deutschland-Bonus, denn wir werden den wartenden Einheimischen vorgezogen, ohne ein schlechtes Gewissen zu bekommen.
Insgesamt vollzieht sich die Abfertigung wesentlich ruhiger (wir sind die einzigen Touristen) als vor knapp 3 Wochen an der türkisch-iranischen Grenze. Ebenso drastisch unterscheiden sich die Kontrollgebäude, denn heute sehen wir keine repräsentativen Pass- und Zollbüros mit einer Unzahl emsiger Angestellter, sondern 2-3 einfache Steinhütten in staubiger Umgebung mit einer Handvoll unterbeschäftigter Funktionäre, die jede Unterschrift und jeden Stempelabdruck als feierlichen Akt zelebrieren: Augenaufschlag, mehrfache Prüfung des Dokuments (besonders lange dauert das Carnet de Passage), ausholende Armbewegung, theatralischer Vollzug, Genugtuung über die vollbrachte Leistung. Dabei immer freundlich, aber stets bereit, sich unterbrechen zu lassen, andere Arbeiten vorzuziehen, Telefonate zu führen oder gar – wie mehrfach geschehen – für längere Zeit den Raum zu verlassen.
So vergeht eine knappe Stunde für eine dienstliche Handlung, die in 5 Minuten hätte erledigt werden können – aber eben nicht mit einem so ausgeprägten Lokalkolorit! Wie groß der zwischenmenschliche Gewinn sein kann, lässt sich am Beispiel des pakistanischen Zolls gut demonstrieren: hier begleitet uns ein weißgekleideter Beamter wortgewaltig zum Bus und kontrolliert in bester Laune so ziemlich alle Bestandteile unseres Reisemobils – von der Motorhaube über das Wageninnere (Kochherd, Schlafgelegenheiten, Bad) bis zu Fritzens selbstgemachter Werkzeug-Kiste. Dann lädt er uns zum Tee ein, vollzieht die heißbegehrte Unterschrift und entlässt uns mit guten Wünschen – übrigens alles auf Englisch, das hier in Pakistan viel verbreiteter ist als im Iran. Wir profitieren auch von dem hohen Ansehen des Lehrerberufs, das in folgender Rangordnung zum Ausdruck kommt: „Father, mother, teacher.“ Soweit unser Freund, der Zöllner.
Nun geht es auf guter Straße Richtung Quetta, 600 km entfernte Hauptstadt von Belutschistan. Die Landschaft (besser: Gegend) ist ein einziges „Nichts“.
Kaum unterbrochen von seltenen Grasbüscheln, öfter noch von Dromedaren, die hier wild herumlaufen.
Auch einige ihrer Kadaver liegen links und rechts am Wegesrand. Der Verkehr ist extrem spärlich, und nur ab und zu begegnet ein bunt geschmückter Lkw von der Sorte, die auch in ganz Südostasien (Indien, Thailand) bekannt ist. In großen Abständen bemerken wir aufgelassene Karawansereien, vor denen die Bewohner große Mengen von (geschmuggeltem) Treibstoff aus dem Iran in Fässern gestapelt haben. Bisweilen engen Sandverwehungen die ohnehin schmale Autopiste noch weiter ein, die wir übrigens ab jetzt auf der linken Seite befahren müssen (wo uns eine Eisenbahnlinie permanent begleitet).
An der nächsten Polizeisperre werden wir vom Chef zu Tee und Gebäck in sein „Büro“ (kahle Betonhöhle) eingeladen und darüber belehrt, dass die Pakistanis freundliche Menschen und stets hilfsbereit sind. In solchen Situationen bilden sich sofort Menschentrauben, die hier aus zahlreichen Belutschen mit ihren Pluderhosen oder weißen Kittelhemden bestehen und sich von der uniformierten Polizei geradezu folkloristisch unterscheiden.
Unser erster Tankstellenbesuch lässt uns wehmütig an die iranischen Dieselpreise denken: statt 1.5 cent kostet der Liter hier ca. 35 cent, immer noch ein Schnäppchen im Vergleich zur teuren Türkei.
So gelangen wir nach Dalbandin, wo wir auf dem Parkplatz des Government Guesthouse einer ruhigen Nacht entgegensehen.
- Heute Nachmittag sehen wir mehrmals eine Fata Morgana.
- Die Innentemperatur am späten Nachmittag beträgt 31° C. Man erzählt uns, dass es im Sommer bis zu 47° C heiß wird.
- Der erste Geldwechsel vollzieht sich wortgewaltig an der Grenze. Als wir einen Kugelschreiber drauflegen, erhöht sich das Kursangebot von 60 auf 68 Rupien für 1 Euro.
- Unsere Stimmung ist heute besonders gut, da sich bisher alle Bedenken im Hinblick auf diese Strecke bzw. Region als unbegründet erwiesen haben.
- Zeitunterschied zum Iran: 1.5 Stunden, zu Berlin: 4 Stunden.
Quetta, 18. November 2004
Der Übergang vom geschäftigen Ort Dalbandin (bunter Markt, Eselskarren, stinkende Mopeds, Männer aller Altersgruppen, aber keine einzige Frau) zur umgebenden Wüste vollzieht sich abrupt innerhalb einer Minute.
Nun sind wir mit Allah und der Welt wieder ziemlich allein auf einer knapp 5 m „breiten“ Piste.
Sie ist teilweise sehr schlecht (scharfe Ränder, Schlaglöcher), so dass jeder Gegenverkehr (der zum Glück recht spärlich ist) mit einer Mischung aus Selbstbewusstsein und Fingerspitzengefühl bewältigt werden muss: in der Hierarchie kommen die Busse zuerst, dann die prächtig dekorierten Lastwagen, dann wir und schließlich Motorräder sowie – für uns sehr überraschend – die zahlreichen Radfahrer, die mit flatternden Kittelhemden und der landestypischen Kappe durch die Wüste gondeln. So ist sogar auf der Fernstraße zwischen dem Iran und Pakistan der Drahtesel neben dem Esel ein verbreitetes Fortbewegungsmittel.
Heute sehen wir erneut wilde und gezähmte Dromedare, die auch dort etwas zu knabbern finden, wo das menschliche Auge nichts mehr wahrnimmt.
Seit Tagen ist das Wüstenpanorama für uns keineswegs monoton, sondern – wenn man erst einmal den Blick dafür entwickelt hat – äußerst abwechslungsreich in Formen und Farben. An einer Stelle will es der Zufall, dass das Auge in einem Winkel von 180° erst kahle, schroffe Berge, dann die schnurgerade, in den Himmel führende Autostraße, dann einige versprengte Lehmhütten von wüstentauglichen Belutschen (zerfurchte Gesichter mit Räuberbärten) und schließlich, jenseits des grauen Geröllteppichs, die endlose Weite des gelben Wüstensandes einfängt – wie ein extremes Weitwinkelobjektiv.
Die gelegentlichen Oasen sind voller Leben: hier sehen wir auch die ersten Mädchen neben dem vertrauten Anblick der vielen Jungen. Beim Anblick unseres Autos stürzen sie herbei und fordern lachend Kugelschreiber („pen, please!“) – so als wüssten sie, dass wir einen großzügigen Vorrat an Bord haben. Im Übrigen ziehen sich selbst an den kleinsten Siedlungen (oft nicht mehr als 5 baufällige Betonverschläge) lange Reihen von Fässern mit geschmuggeltem Benzin aus dem Iran entlang – vielleicht die einzige Erwerbsquelle für die Menschen in dieser gottverlassenen Gegend. Oft gibt es nur eine Wasserpumpe für das ganze Anwesen. Immerhin sehen wir in den Oasendörfern auch Ziegen unterschiedlicher Farbe und Gestalt, wahlweise mit Lederhaut oder dickem Fell.
Als wir mitten in der Einöde unsere Reservekanister leeren, taucht urplötzlich ein junger Mann auf einem Fahrrad auf und bietet uns eine Haschisch-Sitzung bei sich zu Hause an. Wir lehnen dankend ab und schenken ihm einen unserer zahlreichen Kugelschreiber, die inzwischen zum klassischen „Türöffner“ in allen Lebenslagen geworden sind.
Auf der Weiterfahrt (immer noch sind die Ausweichmanöver auf der engen Straße eine Gedulds- und Konzentrationsübung) sehen wir kleinere und größere Wirbelstürme, deren Durchmesser z.T. nur 5-10 m beträgt.
Auch heute wieder treffen wir auf mehrere Polizeisperren, wo wir freundlich nach den Pässen gefragt werden, deren Daten in riesige Bücher wandern. Meistens endet dieser Pflichtbesuch in der Polizeibaracke mit einer Tee-Einladung und einem quietschvergnügten Fototermin. Ca. 100 km vor Quetta erhalten wir eine militärische Eskorte und kommen uns wie besonders gefährdete VIPs vor: der Geleitschutz besteht aus zwei Soldaten (Offizier, Untergebener), die, bewaffnet mit einem Sturmgewehr, auf dem Motorrad vor uns herfahren. Die Grenze zu Afghanistan ist hier keine 20 km entfernt.
Kurz vor Quetta überqueren wir den Lakh-Pass und erreichen die Hauptstadt Belutschistans (1000 m hoch) bei Einbruch der Dunkelheit. Die Straßen sind erfüllt vom bläulichen Abgasgeruch, und es herrscht ein Verkehrsgetümmel aus Bussen, Lkw, Mopeds, Fußgängern, Dromedaren und Eselskarren, die weniger nach irgendeiner Straßenverkehrsordnung als nach dem Prinzip „Lust und Frust“ sowie nach dem Recht des Stärkeren agieren. Am Ortseingang sehen wir ein Schild „Karachi 700 km“ – aber diese Großstadt steht nicht auf unserem Programm.
Unser Standplatz ist auf dem Gelände des Hotels Bloom Star. Standmiete mit Toiletten- Benutzung: 3,50 €.
- Frauen sind auch in Quetta selten zu sehen. Wenn sie sich überhaupt öffentlich zeigen, tragen sie eine Burqua.
- Immer wieder werden wir von Toyota-Pickups überholt, auf deren Ladefläche wir bis zu 17 Belutschen zählen. Sie alle winken uns herzlich zu und amüsieren sich köstlich dabei. Sicher wirken wir auf sie genauso fremdartig wie sie auf uns.
Ziarat, 19. November 2004
Ein schlimmer Tag für Mensch und Maschine, denn heute versinkt die Karawane stundenlang in Staub und Geröll. Doch davon später. Wir müssen eine Kfz-Versicherung für Pakistan abschließen. Wie so oft auf unserer Reise, wird die zeitraubende Umständlichkeit solcher Prozeduren durch die Hilfsbereitschaft der Menschen ausgeglichen.
Also: der Portier des Hotels, auf dessen Parkplatz wir übernachten, ruft seinen Chef an, der aber gerade im Bad ist. Da die Zeit drängt, stoppe ich auf der Straße einen Polizeiwagen, dessen Insassen mich ins Hotel begleiten und dem Portier die ihm längst bekannte Frage vortragen. Die Polizei schüttelt uns die Hände und zieht sich zurück. Der Portier empfiehlt uns das Gebäude der Pakistan International Airlines, die uns wiederum in die 2. Etage schicken, wo sich aber leider nur eine Lebensversicherung abschließen lässt. Der Büroleiter hat Mitleid und bietet an, uns in seinem Privatwagen quer durch die Stadt zum Kfz- Versicherer zu fahren. Die Arbeit lässt er liegen, da sein Chef auf Dienstreise ist.
Nach einer minutenlangen Fahrt durch das laute und dieselgeschwängerte Quetta sind wir angeblich am Ziel: im Dschungel von schmucklosen Betonsilos erreichen wir nach mühsamem Treppensteigen die richtige Gesellschaft, aber leider die falsche Zweigstelle („Here only insurance for public service“). Diesmal geht es zu Fuß weiter: Wir landen in einem stickigen Büro mit Miefquirl, wo man uns den besten Stuhl sowie eine Tasse Tee anbietet, deren Zubereitung ca. 20 Minuten dauert – kein Unglück, denn der aufwendige Papierkram nimmt eine gute Stunde in Anspruch und erinnert mich lebhaft an die Geduldsproben beim Grenzübertritt.
„Please tell them that we love India.“
Das Ergebnis kann sich allerdings sehen lassen: wir erhalten eine Haftpflicht-Police bis zum 19. 2. 2005 zum Preise von 1.600 Rupien = 25 €. Übrigens gibt es in der Wartezeit ganz offene Gespräche über die europäischen Vorstellungen von Pakistan sowie die pakistanisch-indischen Beziehungen. Alle Anwesenden sind sich einig, dass nicht die Völker, sondern die Regierungen für die jahrzehntelangen Spannungen verantwortlich seien und bitten mich, bei der Einreise nach Indien Grüße zu bestellen („Please tell them that we love India“).
Nun machen wir uns aber schleunigst aus dem Staube (wörtlich!) und fahren, gemeinsam mit Autos aus Quetta, Sindh, Karachi u.a. (Nummernschilder) Richtung Osten.
Im Vertrauen auf einen renommierten Reiseführer entscheiden wir uns für eine „gut ausgebaute Nebenstrecke zum Luftkurort Ziarat“, die sich nach 20 km als einzige Zumutung für unseren treuen Bus erweist: über 40 km hinweg fahren wir im Schnitt 10-15 km/h, oft im 1. Gang, weil wir statt einer Straße eine mörderische Staub- und Geröllpiste vorfinden, die der berüchtigten Rallye Paris-Dakar alle Ehre gemacht hätte. Wir danken dem Schöpfer, dass wir ohne Reifenpanne, dafür mit einer zentimeterdicken Staubschicht endlich Ziarat (2400 m) erreichen, das sich als zwar freundliches, aber keineswegs kurorttaugliches Nest mit drei schmuddeligen „Hotels“ herausstellt.
Immerhin essen wir in einem relativ sauberen Restaurant die einzige Mahlzeit des Tages: Curryhuhn mit Reis und Brot, scharf gewürzt und sehr schmackhaft. Dafür zahlen wir jeder 1 € (Getränk inklusive).
Loralei, 20. November 2004
Man stelle sich vor: am Rande der schmalen Verbindungsstraße zwischen Ziarat und Loralei sitzen vor einer Hütte aus Ästen, Zweigen und Laub 25 Kinder (Mädchen in bunten Überwürfen, Jungen in der Kleidung Belutschistans) und lernen aus alten, zerfledderten Büchern die englische Sprache in Gegenüberstellung mit ihrer Heimatsprache Urdu. Über diesem „Klassenzimmer“ weht die grün-weiße Fahne Pakistans. Als wir neugierig anhalten, werden aus dem Nichts zwei Stühle herbeigeschleppt und für uns gesäubert. Dann nehmen wir als hoher Besuch Platz und trinken eine Kanne Tee. Anschließend leite ich für 30 Minuten den Englischunterricht, und die Kinder zeigen, nachdem sie ihre Schüchternheit abgelegt haben, was sie können: ein Mädchen sagt das englische ABC auf (d.h. sie leiert es herunter), ein Junge zählt begeistert von 1-10. Auf meinen Wunsch hin singt die ganze Klasse ein „Lied“, dessen monotoner Verlauf, begleitet von rhythmischen Körperbewegungen, aber eher an eine religiöse Litanei erinnert.
Zum Abschied erhält jedes Kind einen Kugelschreiber, und nach Besichtigung der benachbarten Bewässerungsanlage fahren wir über eine gut ausgebaute Straße (Wacholderbäume) weiter nach Loralei, wo wir um die Mittagszeit eintreffen und gleich mitten im Basar-Trubel landen. Hier finden wir ein Internet-Café mit einem Niedrigpreis von 20 cent pro Stunde. Außerdem können wir nach Deutschland telefonieren, was hier in Pakistan nicht ganz einfach ist.
Sorry Sir, no big foot!
Unser Übernachtungsplatz liegt auf dem Gelände der Tourist Lodge 5 km außerhalb der Ortschaft. Dort reinigen wir uns erst einmal vom Sand des gestrigen Reisetages, verbringen einen ruhigen Nachmittag mit Kaffee, Lektüre und Kartenstudium, um dann gegen Abend in einem Restaurant für Einheimische Mutton Karachi und Chicken Karachi mit deftiger Sauce und Chappati bzw. Reis zu essen.
Natürlich sind wir nie allein, denn als Touristen stehen wir stets im Mittelpunkt des Geschehens.
Junge Männer mit Englischkenntnissen heften sich an unsere Fersen und bieten ihre Hilfe an. So gehen wir gemeinsam in ein Schuhgeschäft, wo sich Fritz neue Sandalen kaufen muss, da uns streunende Hunde in der vergangenen Nacht unsere Latschen weggeschleppt haben. In meinem Fall scheitert ein Neukauf an der Größe 46: „sorry, sir, no big foot.“
Egal wo wir sind, überall wird uns Tee angeboten, z.B. in der Telefonvermittlung, an der Tankstelle, im Internet-Café, beim Gemüsehändler oder bei Privatpersonen. Längst haben wir unsere Scheu vor schmuddeligen Tassen überwunden, spätestens nachdem wir in den letzten Tagen in den Büros der Polizeikontrollen manchen hygienischen Härtetest überstehen mussten.
Gegen Abend haben wir den Eindruck, dass uns die Polizei (uniformiert und zivil) auf Schritt und Tritt folgt – fürsorglich, wohlgemerkt, aber immer präsent. Ins Schuhgeschäft eskortiert uns ein Polizist mit geschultertem Gewehr; ins Restaurant folgt uns ein Zivilbeamter, der uns nach Pass-Nummer, Visum-Nummer, Kfz-Kennzeichen etc. befragt, und selbst auf unserem Schlafplatz erhalten wir nach Einbruch der Dunkelheit zweimal offiziellen Besuch. Dabei können wir nur mit Not, Mühe und zwei Kugelschreibern (sowie dem ständigen Deutschland- Bonus) einen Umzug ins Polizeirevier der lärmenden Stadt abwehren und unser ruhiges Plätzchen behalten.
- Heute früh herrschen in Ziarat auf 2400 m nur 4° C. Gelobt sei die Standheizung!
Loralei, 21. November 2004
Heute ist ein trauriger Tag, denn wir sind in einen Unfall verwickelt worden, der uns viel Kummer und Kopfzerbrechen bereitet hat. Kurz hinter Loralei, auf dem Wege nach Dera Ghazi Khan, fährt uns ein Motorradfahrer völlig unerwartet, aus einer Seitenstraße kommend, vor den Kühler. Da wir in voller Fahrt auf der Fernstraße sind, hilft auch eine Vollbremsung wenig: der Motorradfahrer kommt mit leichten Kopfverletzungen ins Krankenhaus, sein Fahrzeug wird stark beschädigt, und unser Bus hat eine zersprungene Windschutzscheibe sowie einen kaputten Kühler, der ständig Wasser verliert.
Der gesamte Tag ist bestimmt von den direkten Unfallfolgen, die uns zunächst in eine der vielen Kfz-Werkstätten führen. Nach langem Palaver und mehrstündiger Reparaturzeit ist der Kühler abgedichtet und wir können zum ersten Mal aufatmen.
Wesentlich wichtiger: Ein Besuch im Krankenhaus, der von einigen Englisch sprechenden Augenzeugen organisiert wird, bringt ein zweites Aufatmen: der Verletzte kann nach Auskunft des Arztes bald entlassen werden. Die Atmosphäre beim Krankenhausbesuch und in der Werkstatt lässt sich aus deutscher Sicht nur schwer beschreiben, da in einer solchen Situation die Mentalitätsunterschiede zwischen beiden Völkern riesig sind: während wir ganz selbstverständlich auch die Frage nach Schuld und Unschuld stellen (der Mann war offenbar geistesabwesend auf die Hauptstraße gefahren), interessiert die Pakistanis vor allem der soziale Status der Beteiligten.
Da der Mann arm ist, gelten ihm die gleichen Sympathien wie uns ausländischen Gästen. Diese Denkweise geht bei einigen Unfallzeugen so weit, dass sie von uns eine Geldsumme erwarten, die wir – in deutscher Denkweise – im Hinblick auf die eigenen Kosten (wie teuer ist eine Ersatz-Windschutzscheibe?), aber auch im Hinblick auf ein mögliches Schuldeingeständnis nicht leisten wollen. Zum Glück setzt sich rasch eine Mehrheit von Stammesführern („This is tribal country!“) zu unseren Gunsten durch, so dass unsere völlige Unschuld durch zahlreiche Händedrucke sowie ein schriftliches Dokument bestätigt wird – übrigens alles unter Ausschluss der Polizei, die offenbar keinen guten Ruf genießt.
Was nun folgt, übertrifft alle Vorstellungen von orientalischer Gastfreundschaft. Offensichtlich aus dem Bedürfnis heraus, unseren Kummer etwas zu lindern und den erlittenen Schaden wenigstens symbolisch wieder gut zu machen, erhalten wir drei Einladungen zum Mittagessen, Teetrinken und Abendessen.
So fahren wir (nachdem wir für die Reparatur des Kühlers 15 € plus reichlich Trinkgeld bezahlt haben) zuerst zur Familie des Mechanikers, dessen Haus in einer engen und holprigen Seitengasse von Loralei liegt. Hier verbringen wir, im Schneidersitz, zwei schöne Stunden auf dem Boden sitzend und lernen die männlichen Familienmitglieder kennen. (Der Unfall wird mit dem Hinweis auf die alltägliche Häufigkeit solcher Missgeschicke schnell abgetan.)
Dann geht es zu einem selbsternannten „Akademiker“ („I am specialist in English literature“), dessen Anwesen zwar eindrucksvoll ist, dessen egozentrische Persönlichkeit aber nach 30 Minuten Dauermonolog nervtötend auf alle Beteiligten wirkt.
Unsere letzte Station, das Anwesen eines Geographie-Lehrers und seines Bruders, der Arzt ist, erweist sich als wunderschöner Abschluss eines Tages, der so finster begonnen hat: in einem großen, mit Teppichen ausgelegten Gästeraum erhalten wir ein derart umfangreiches, ästhetisch zubereitetes und schmackhaftes Abendessen im Kreise von Paschtunen, dass wir im „Märchen aus 1001 Nacht“ zu sein glauben.
Auf den Teppich wird ein langes Tuch gerollt, welches mit Speisen aller Art bedeckt ist: Hühnercurry, Reis, Brot aus eigener Backstube und eigenem Weizenanbau, Gemüse, Obst, Joghurt und einiges mehr. Leider können wir uns bei den Köchinnen nicht persönlich bedanken, weil Frauen hierzulande nicht in Erscheinung treten dürfen. Jedenfalls versöhnt diese extreme Form von Gastfreundschaft (die mit Tee endet) für den traurigen Vormittag, zumal wir nach lebhaften Gesprächen über Europa und die islamische Welt (unser Kontinent wird als moralisch, geistig und körperlich dekadent empfunden) auf dem ruhigen Gelände unseres Gastgebers auch die Nacht verbringen dürfen.
Kingri, 22. November 2004
Nach einem ausgiebigen Frühstück mit unseren Gastgebern (es gibt selbstgemachte Butter, Tee, Mandeln, Brot, Toast und Spiegelei) wird das große Eisentor geöffnet, und wir fahren, nachdem wir die Adressen ausgetauscht haben, Richtung Dera Ghazi Khan (250 km entfernt), ohne im Mindesten zu ahnen, was uns bevorsteht. Statt am frühen Nachmittag locker das Ziel zu erreichen, krebsen wir auf einer unglaublichen Piste aus Sand, Geröll, Schlaglöchern,
zentimetertiefen Querfugen, über Brücken, die – gerade fertig gestellt und schon marode – so große Löcher und Spalten aufweisen, dass man durch sie die (trockenen) Flussbetten sehen kann.
Die Kupplung, ohnehin etwas schwergängig, arbeitet auf Hochtouren, zumal der Gegenverkehr ständig wechselnde Reaktionen von Mensch und Maschine erfordert: zahllose Lkw und Pickups drängen uns ohne böse Absicht immer wieder aus der ohnehin engen „Fahrbahn“; dabei vergeht kein Passier- oder Überholmanöver ohne Winken und Lächeln – der Tanz auf dem Vulkan! Besser noch:
Ein einziger Trip durch die Hölle (dagegen war die Strecke Quetta-Ziarat erst die Vorhölle), deren penetrantestes Merkmal der allgegenwärtige Staub ist, so dass wir genötigt sind, am Abend sowohl den Bus als auch unsere Kleidung, vor allem das Bettzeug, gründlich zu reinigen.
Glücklicherweise befindet sich an unserem Standplatz eine defekte Wasserleitung, so dass wir uns von Kopf bis Fuß waschen können. Etwas genervt stellen wir fest, dass wir tatsächlich (wie ein Reiseführer behauptet) im pakistanischen Belutschistan „die Zivilisation verlassen“ haben – eine Beobachtung, die nicht etwa das kulturell hochentwickelte Stammesleben meint, sondern die gesamte technisch-ökonomische Infrastruktur der Region, welche statt konkreter Straßenbau-Arbeiten (allenfalls sieht man Gruppen von Menschen auf archaische Weise Steine klopfen) vollmundige Projektentwürfe durch die zuständigen Ministerien präsentiert.
Auch die primitive Pflüge- Technik deutet auf vor-industrielle Landwirtschaft hin: wir beobachten, wie ein Bauer seinen Spaten senkrecht in den Acker sticht und ein zweiter den Spaten waagerecht zu einer Furche zieht. Übertragen auf unsere Höllenpiste (die von Einheimischen wiederholt als main road bezeichnet wird) überrascht es nicht mehr, dass wir für 140 km gut 8 Stunden gebraucht haben, was einer Geschwindigkeit von weniger als 20 km/h entspricht – immerhin wesentlich schneller als ein Fußgänger!
Staub und nochmals Staub, wohin man schaut. Sogar die wenigen Vögel, denen wir auf unserer Tortur begegnen, scheinen grau in grau eingestaubt zu sein, ebenso wie die geduckten, windzerzausten Wacholderbäume. Unser Gesamteindruck von der Strecke (die morgen ihre Fortsetzung hinunter ins Industal findet) wird von Fritz, der heute stundenlang wie ein Rohrspatz schimpft, mit den Worten „unbeschreiblicher Acker“ zutreffend wiedergegeben.
Am späten Abend besucht uns – wie fast immer in Pakistan – ein Polizist und fordert uns auf, zur eigenen Sicherheit unseren Übernachtungsplatz in Sichtweite seines Beobachtungsturms, der auf einem Hügel liegt, zu verlegen. Wir freuen uns über so viel Fürsorge, bewundern seine Maschinenpistole und schenken ihm einen Kugelschreiber.
- Je mehr wir hinunterfahren Richtung Industal, desto mehr Baumwollfelder sehen wir.
Multan, 23. November 2004
Scheinbar gehört es zum Leben, dass alle Erfahrungen, positive wie negative, noch steigerungsfähig sind. Während wir gestern den „Abschied von der Zivilisation“ im Hinblick auf den katastrophalen Straßenzustand, die äußerst primitiven Unterkünfte und den (gemessen an Effizienzbegriff) ziellosen Tagesablauf der ländlichen Bevölkerung festgestellt
haben, betreten wir heute, nach stundenlangem Abstieg ins Industal, wiederum eine völlig unbekannte, chaotisch anmutende Welt.
So spottet der Straßenverkehr in der Stadt Dera Ghazi Khan (unserem heißersehnten Zielort nach der quälenden Gebirgstour) jeder Beschreibung: alles, was 2-4 Beine bzw. 2-4 Räder hat, schiebt sich unter ständigem Hupkonzert, aber meist mit freundlichem Lächeln, an uns vorbei oder kommt uns entgegen, auch auf unserer Straßenseite.
Im Grunde spielt es hier, in den Dörfern, keine Rolle, ob offiziell links oder rechts gefahren wird: Rücksichtnahme ist eine fremdartige Vorstellung; dagegen herrscht das Recht des Stärkeren, nach dessen Logik die Rangfolge Bus-Lkw- Pickup-Pkw-Motorrad-Moped besteht und Radfahrer ebenso wie Fußgänger Freiwild sind.
Sich als Ausländer in diesem erstaunlich gut funktionierenden „System“ zurechtzufinden, erfordert sowohl die Bereitschaft zum totalen Umdenken als auch überdurchschnittliche Konzentration auf Seiten des Fahrers und – bei Autos mit Linkssteuerung – des Beifahrers, der die meisten Überholvorgänge absegnen muss. Unwillkürlich fällt mir der makabere Witz ein: „Wie lauten die letzten Worte des Beifahrers?“ „Rechts ist frei.“ Hier wäre es übrigens links.
Soweit das Allgemeine.
Konkret haben wir um die Mittagszeit den langen Abstieg beendet und eine neue Klima- und Vegetationszone erreicht. Denn mit dem Übergang von Belutschistan in den Punjab wird es feucht-heiß (selbst Ende November), und das eintönige Grau der schroffen Felsen und staubigen Felder (Überquerung des Suleiman-Gebirges) weicht dem Grün der Felder und tropischen Pflanzen: überall Palmen, Bambus, Baumwolle, Zuckerrohr, Bananen und Mango.
Schon vor dem Indus-Übergang (ein breiter Strom ohne genaue Uferbegrenzung) sehen wir die ersten Wasserbüffel auf unserer Reise. Dazu kommen Zebu-Rinder und, wie seit Wochen, immer wieder die unzähligen Eselskarren, die sich ihren Weg durch den dichtesten Verkehr bahnen.
Wie so oft auf unserer langen Fahrt, erweist sich auch im Chaos von Dera Ghazi Khan ein Einheimischer als große, ja unentbehrliche Hilfe: während Fritz den Bus gegen die neugierige Menge verteidigt, gehe ich zur Bank, um Geld einzutauschen. Als man mich (wie schon einmal im Iran) zu einem Geldwechsler weiterschicken will, der irgendwo in der Innenstadt seinen Sitz haben soll, erbarmt sich ein Bank-Kunde meiner und fährt mich auf seinem Motorrad (ich klammere mich von hinten an seinen dicken schwabbeligen Bauch) zu einem – man höre und staune! – Juwelier, der im Handumdrehen 100 € gegen 7.500 Rupien eintauscht (ein guter Kurs).
Dann fährt mich mein Wohltäter noch zu einer Apotheke, wo es das sonst schwer erhältliche Mineralwasser gibt, auf das wir so dringend angewiesen sind: im Kaufrausch nehme ich gleich eine Kiste mit 12 Flaschen. Die Fahrt zurück auf dem schwankenden Motorrad mit dem sperrigen Einkauf ist ein Erlebnis der besonderen Art und nicht ganz ungefährlich, denn mein Chauffeur nutzt nach bester pakistanischer Manier jede noch so winzige Lücke, um im Slalom den anderen Verkehrsteilnehmern ein Schnippchen zu schlagen.
Was für ein Service: gleichermaßen Wohltat wie Himmelfahrtskommando!
Unser Standplatz liegt auf dem Gelände einer Tankstelle, keine 100 m entfernt von der lärmenden und stinkenden Fernstraße inmitten einer völlig reizlosen Gegend, die zu allem Überfluss mehrere qualmende Brennöfen aufweist. Jetzt kann es nur noch besser werden. Immerhin heißt uns der Tankstellen-Chef willkommen, und wir haben eine sichere Übernachtung vor uns.
- Zum wiederholten Male sehen wir rechts und links vom Wegesrand Cricket-Spieler. Ach ja, wir wandeln auf den Spuren des Britischen Weltreichs.
Indisch-pakistanische Grenze, 24. November 2004
Wir stehen um 5:30 auf, weil wir die 350 km bis Lahore angesichts der verstopften Straßen bis heute Abend zu schaffen hoffen. Als die Sonne aufgeht, haben wir schon gefrühstückt und fahren durch eine seltsam-gespenstische, stets diesige Landschaft, in der Menschen, Tiere, Pflanzen und Gegenstände niemals klar zu erkennen, sondern nur in Umrissen wahrzunehmen sind. Das Klima ist feucht-warm, und so haben wir eine mückengeplagte Nacht an der Tankstelle hinter uns, eine Nacht, in deren Verlauf ein kaum unterbrochener Strom von Lastwagen, vergleichbar mit einem endlosen Güterzug, dicht an uns vorbeirauscht.
Wir sehen die ersten Reisfelder und immer mehr Wasserbüffel, die sich – wenn sie nicht arbeiten müssen – träge im Morast wälzen. Alles in allem fühle ich mich jetzt stärker an Südostasien (z.B. Thailand) erinnert als an das westliche Nachbarland Pakistans, den Iran. Vorbei ist es auch mit dem Überschwang orientalischen Freundlichkeit, die immer häufiger einer Mischung aus Neugier und latenter Aggressivität („we want money“) Platz macht. Das Erscheinungsbild der Frauen wird individueller und unterschiedlicher: auf dem Land tragen sie nur ein Kopftuch und geben ihr Gesicht spontan zu erkennen. In der Stadt Dera Ghazi Khan dagegen tragen zahlreiche Frauen eine Art Zipfelmützen-Burqua, die sie aber bei erstbester Gelegenheit (z.B. beim Betreten eines Juwelierladens) hochklappen.
Der Weg ist gespickt mit Brennöfen, in denen die vorgeformten Lehmziegel gebrannt werden. Der Verkehr ist früh am Morgen noch zurückhaltend, und so sind wir meistens mit den bunt dekorierten Lkw allein. Da geschieht ein Wunder, denn es beginnt ganz unerwartet eine Autobahn, die mehr oder weniger bis Lahore reicht und uns viel Zeit und riskantes Geschicklichkeitsfahren erspart. Wir sehen 20-m-lange Zementtransporter, überfüllte Reisebusse und grotesk überladene Mopeds und Eselskarren. Besonders unförmig sind riesige, rechts und links über die Ladefläche hinausragende Heuballen, die das Transportmittel beim geringsten Fahrmanöver gefährlich ins Schwanken bringen können.
Unterwegs stoppen wir einen fliegenden Brothändler und kaufen ihm diverse Backwaren ab. Dann entdecken wir in den Außenbezirken von Lahore einen gut sortierten Supermarkt, wo wir uns mit Keksen, Fett, Joghurt, Käse etc. eindecken.
Der Weg durch Lahore (dessen Besichtigung wir auf die Rückfahrt verschieben) wird zu einer einzigen Irrfahrt, bis uns schließlich ein motorisierter Polizist in die richtige Richtung zur pakistanisch-indischen Grenze eskortiert. Weiter geht es auf der Great Trunk Road, wo wir sowohl heitere Eindrücke (originelle Hupen, deren Vielfalt von schrillen Pfeiftönen über bunte Fanfarenklänge bis zu kleinen Musikstückchen reicht) als auch deprimierende Eindrücke (umgestürzte Lkw und Busse als Folge von rücksichtslosem Fahrverhalten) sammeln.
Während der Fahrt aus der quirligen Stadt Lahore fällt die Vielzahl der Bildungseinrichtungen nach englischem Vorbild auf z.B. British Primary School, The Educators, The Montessori School, The Ideal Grammar School.
Als wir am Grenzort Wagha eintreffen, ist die Grenze bereits geschlossen. Da es erst morgen früh um 9:30 weitergeht, machen wir aus der Not eine Tugend und mieten uns ein preiswertes Zimmer in einem Motel – eigentlich mehr wegen der Duschmöglichkeit.
Höhepunkt des Abends ist ein indisch-pakistanisches Flaggenzeremoniell, in dessen Verlauf sich die Grenzsoldaten beider Seiten, angefeuert von einer aufgepeitschten Menge diesseits und jenseits der Demarkationslinie, auf allerengster Tuchfühlung gegenüberstehen. Nur durch wenige Zentimeter getrennt, holen prächtig uniformierte Wachsoldaten mit viel Pomp und eindrucksvoller Mimik (stolze Brust, martialische Kommandos) ihre jeweilige Landesfahne ein – und das jeden Tag! So lassen beide Länder symbolisch die Muskeln spielen, ein Unterhaltungsritual, das vor dem Hintergrund dieser hochsensiblen Grenze und den Spannungen der Vergangenheit (seit 1947 gab es drei indisch-pakistanische Kriege) eher friedlich als aggressiv wirkt. Kurz nachdem sich die große Zuschauermenge auf der pakistanischen Seite verlaufen hat, kommt ein Bus durch das ausnahmsweise geöffnete Grenztor mit der Aufschrift LAHORE – DELHI und den gekreuzten Flaggen beider Länder.
So sieht er also aus, jener Bus, der vor Jahren zum Politikum wurde und internationale Schlagzeilen machte, als sich im Rahmen der indisch- pakistanischen Annäherung der indische Premierminister auf diesem Wege nach Pakistan begab, um dort Friedensgespräche zu führen. Glücklicherweise sind wir zu einem Zeitpunkt hier eingetroffen, der nicht von Feindseligkeiten, sondern von Verständigungsbemühungen geprägt ist. (Sichtbares Zeichen sind am nächsten Tag die großen indischen Begrüßungsplakate für pakistanische Besucher-Delegationen.)
Die vorherige Etappe könnt ihr hier lesen.
Text: Volker Raddatz Fotos: Fritz Runge
Excellent narrative!