Iran: Kerman, Bam und Zahedan
Wer den Osten des Iran nicht kennt, der kann mit diesen drei Namen wahrscheinlich nichts anfangen. Bei Kerman, Bam und Zahedan handelt es sich nämlich um drei interessante Städte im Osten des Iran. Was Volker und seine Freunde hier alles sehen und erleben, erfährst du im Reisetagebuch von Volker Raddatz, das nachfolgend genau diese spannende Etappe beschreibt.
Kerman, 13. November 2004
Wir verlassen unser bisheriges Lieblings-Quartier und schauen uns etwas außerhalb von Yazd die „Türme des Schweigens“ an. Sie sind begründet in der Lehre des Zoroastrismus, der historisch auf die Figur des Zoroaster (Zartosht) zurückgeht und erst durch die arabisch- islamische Eroberung verdrängt wurde. Dieser Glaube ging aus von einem allmächtigen, unsichtbaren Gott. Die Anhänger verehren das Feuer als ein Gottessymbol und halten die Flamme in ihren Tempeln permanent am Leben. Da die Zoroaster an die Reinheit der Elemente glauben, weigern sie sich, ihre Toten zu begraben (Erdverschmutzung) bzw. zu verbrennen (Luftverschmutzung). Stattdessen überlassen sie die Verstorbenen auf den „Türmen des Schweigens“ den Aasgeiern.
Heutzutage sind die Zoroaster von den Moslems dadurch zu unterscheiden, dass sie keine Bärte tragen und die Frauen nie den Tschador, vielmehr gemusterte Kopftücher anlegen und weiße, beige und rote Kleiderfarben bevorzugen. (Wir erinnern uns an die Einwohner des Bergdorfes Abyaneh.) Von den 150.000 Zoroastern auf der ganzen Welt leben ca. 30.000 in der Gegend um Yazd.
Hochdroben auf den Türmen haben wir einen schönen Rundblick auf Yazd und bemerken so recht den Wüstencharakter dieser Region. Dieser Eindruck verstärkt sich auf der Weiterfahrt, denn nun fahren wir stundenlang durch die Wüste Lut (rechts kahle Berge, links weite Ebenen), deren Monotonie nur selten durch Grasbüschel, noch seltener durch eine Gruppe von Sträuchern aufgelockert wird.
Die eigentliche Überraschung besteht aber darin, dass der Himmel sich finster verfärbt und ein Dauerregen losbricht, der die steinig-staubige Umgebung seltsam verändert: minutenlang sehen wir einen weitgespannten Regenbogen …
In Kerman (1700 m) finden wir einen gut gesicherten, ruhigen Standplatz an einem Hotel, das uns – obwohl wir kein Zimmer mieten – sehr freundlich aufnimmt und für die Übernachtung 2 € berechnet, mit Toiletten-Benutzung. Diese gastliche Stätte werden wir uns für die Rückfahrt vormerken.
Morgen planen wir die Weiterfahrt nach Bam, wo wir aus Sicherheitsgründen bei der Polizei vorsprechen werden (ein geeignetes Schreiben in Farsi hat uns der gestrige Hotelchef freundlicherweise aufgesetzt).
- Wir ernähren uns mit viel Obst (Feigen, Datteln, Melonen, Mandarinen, Äpfel), dazu Pistazien, Süßigkeiten und natürlich jede Menge Brot, Joghurt und Feta-Käse. Überraschenderweise gibt es in jedem kleinen Laden auch Butter zu kaufen.
Bam, 14. November 2004
Auf dem Weg nach Bam besuchen wir bei Mahan die Gartenanlage Bagh-é Shahzade, deren Hauptattraktion sanft abfallende Wasser-Terrassen mit kleinen Springbrunnen sind. Im Unterschied zu den ähnlich konstruierten Wasser-Gärten bei Fin / Kashhan (Bagh-é Tarikhi- ye Fin) ist das Wasser hier so lehmhaltig, dass es nicht sprudelnd daherkommt, sondern die feinen Düsen der Mini-Fontänen leicht verstopft.
Grundsätzlich muss man sich immer wieder bewusst werden, welche Bedeutung solche blühenden Gärten als ästhetische und soziale Refugien inmitten ausgedehnter Wüstenlandschaften haben.
Kuriosum am Rande: der Besitzer eines kleinen Souvenir-Ladens hat 17 Jahre lang in Deutschland gelebt (am Millowitsch-Theater in Köln) und erklärt uns manches Detail – ganz uneigennützig, denn wir haben auf der gesamten Reise noch kein einziges Andenken gekauft.
Im Übrigen begegnen wir einem schrulligen, nicht ganz zurechnungsfähigen Mann, der uns mit einem einstudierten Wortschwall in gutem Englisch nach dem Sinn des Lebens befragt, ohne auf eine Antwort Wert zu legen („Why do you believe in cars, television, wife, children?“)
Entlang einer Kulisse schneebedeckter Berge gelangen wir in die Stadt Bam, deren Oasencharakter durch dichten Palmwuchs urplötzlich sichtbar wird. Bam ist bekanntlich immer noch Ort der Trauer, denn vor einiger Zeit erschütterte ein Erdbeben diese Region und vernichtete zehntausende von Menschenleben sowie den sehr gut erhaltenen Burg-Komplex, der einen Großteil der Stadt und ihre weltweite Berühmtheit ausmachte.
Deprimiert betrachten wir die wenigen noch intakten Teile der Anlage, die zu einem großen Prozentsatz einer Geröllhalde ähnelt – ein wirkliches Trauerspiel. Aus Büchern und Erzählungen erfahren wir, dass die Burg bis vor einigen Jahren noch Stallungen, Unterkünfte für alle sozialen Schichten, einen Marktplatz, eine Schule, eine Sportstätte sowie eine Moschee umfasste: hier lebten auf 6 qkm einmal bis zu 13.000 Menschen.
Abgesehen von den zahlreichen Todesopfern und der Zerstörung eines kulturellen Denkmals (auch bekannt als UNESCO-Kulturerbe) sind die Erdbeben-Schäden in der Stadt selbst noch immer gewaltig: überall eingestürzte Hausmauern und verbogene Stahlträger – ein Bild der Verwüstung, in das nur sehr langsam die Normalität einkehrt. Unübersehbar sind die vielen Wohn-Container als Provisorium für die Obdachlosen. Alle diese Eindrücke sammeln wir in Gesellschaft zweier junger Männer, die ihren Wehrdienst in Bam ableisten und ihre Freizeit am heutigen Nachmittag mit uns verbringen.
- Seit gestern ist der Ramadan beendet („gebrochen“). Die Moslems feiern diesen Umstand ausgiebig.
Zahedan, 15. November 2004
An einer der wenigen Tankstellen füllen wir auch die Reserve-Kanister voll nach dem Motto „Oberkante Unterlippe“. Dann geht es weiter, gut 300 km durch eine recht abwechslungsreiche Wüstenlandschaft, wo kilometerlang kein Baum, kein Strauch, ja nicht einmal Grasbüschel wachsen, dann aber schroffe Felsen unterschiedlicher Farbtöne dominieren. Kurzfristig sehen wir auch Dünen, die, leicht geschwungen, bis an den Horizont eine Wellenbewegung aus Sand zu vollziehen scheinen. Einzige Lebewesen sind ziemlich große Aasvögel (keine Geier), die sich an zahlreichen Eselskadavern zu schaffen machen. So tuckern wir langsam nach Belutschistan und begegnen Menschen (meist an gut gepflegten Oasen, wo das kostbare Wasser sorgfältig kanalisiert und zum Anbau von Feigen, Datteln, Kokospalmen und Bananen verwendet wird), deren Äußeres sich durch überlange (oft weiße) Kittelhemden, wilde Bärte und kunstvoll geschlungene Turbane auszeichnet. In den Städten sieht man auch schon gelegentlich das weiße „Schiffchen“, welches als Kopfbedeckung der Pakistaner bekannt ist.
So erreichen wir nach stundenlanger Fahrt durch die filmreife Berg- und Wüstenkulisse Belutschistans die Stadt Zahedan, wo die dritte Universität des Landes auf uns wartet. Tatsächlich ist auch hier der Empfang herzlich: das beginnt schon mit der verblüffenden Erfahrung, dass uns ein Polizeiwagen (übrigens Mercedes-Benz zum ganzen Stolz der Beamten) quer durch die Stadt eskortiert. Zum Abschied erhalten Fritz und ich vom hilfsbereiten Polizisten einen Bruderkuss auf beide Wangen und die liebenswürdige Beteuerung „Police is good!“ Wer hätte jemals daran gezweifelt, denn auch in der Heimat gilt ja die Polizei als „dein Freund und Helfer“!
So erreichen wir in kurzer Zeit die Universität von Sistan und Belutschistan. Wie schon in Teheran und Isfahan entpuppt sich auch hier der Kontaktmann für ausländische Gäste als leutseliger und hilfsbereiter Mann. So folgt einem Besuch beim Vizepräsidenten (Tee, Gebäck, Smalltalk) die Einweisung ins Gästehaus, wo wir um 15:00 ein umfangreiches Mittagessen serviert bekommen („Lunch is ready!“), das so gar nicht unserem Tagesrhythmus entspricht.
Anschließend werden wir im Dienstwagen einmal um das Uni-Gelände gefahren und mit den wesentlichen Fakultätsgebäuden vertraut gemacht. Wie schon in den anderen Universitäten, ist der Campus auch hier eine „Stadt in der Stadt“, weiträumig eingezäunt und mit Wachposten versehen. Da wir unseren Bus stets mit auf das Gelände nehmen, fühlen wir uns besonders sicher untergebracht. Übrigens gehört hier eine sogenannte Residential Area zum Universitätsgelände, d.h. die Dozenten wohnen mit ihren Familien direkt neben ihrer Arbeitsstelle. Wir erfahren außerdem, dass angrenzend eine Privatuniversität (Open University) existiert. Nach Ende der Rundfahrt fühlen wir uns nicht nur herzlich aufgenommen, sondern auch gut informiert.
Nun ist es 20:00, und ein schöner Tag geht langsam zu Ende, der uns eine ersehnte Tankstelle, mehrere kuriose Verkehrsschilder („Achtung, Dromedare!“), Temperaturen von 26° C und schließlich eine gute Unterkunft gebracht hat – diesmal sogar kostenlos! Soeben gibt es noch ein Abendessen mit dem Leiter des English Department, wo ich morgen Vormittag zu Gast sein werde.
Zahedan, 16. November 2004
Der heutige Tag steht überwiegend im Zeichen der Universität. Das bedeutet wieder: Sakko, gute Hose, dunkle Schuhe. Nachdem wir gegen 8:00 mit unserem Betreuer gefrühstückt haben, werden wir per Dienstwagen in sein Büro gebracht, wo wir eine Stunde lang unsere e- mails bearbeiten und sogar vom Telefon des Präsidenten mit der Heimat sprechen können – ultimative Gastfreundschaft!
Egal, was wir tun und wo wir uns aufhalten: die überdurchschnittliche Gastfreundschaft hält uns permanent in Atem: lautlos werden Kekse, Schokolade und Tee serviert, so dass wir uns wirklich wie zwei VIPs vorkommen. Dieses Gefühl erreicht einen ersten Höhepunkt bei einer spontanen Zeremonie, in deren Verlauf mir eine Erinnerungstafel der Universität überreicht wird und das Ganze zu einem regelrechten Fototermin ausartet.
Minutenlang gleicht die Szene einem Taubenschlag, und wir werden herumgereicht wie zwei Exoten („Professor Volker“ und „Professor Fritz“). Dann wird es dienstlich: ich übernehme die Leitung eines Seminars und nutze die Zeit, um sowohl Fachliches als auch Themen von allgemeinem Interesse und persönliche Erfahrungen anzusprechen.
Fritz hat sich unter die Studenten gemischt und lauscht aufmerksam meinen Worten – eine urkomische Situation für uns beide, diese ungewohnte Rollenverteilung. Zum Schluss macht er mir sogar das Kompliment, mein Englisch zu 95% verstanden zu haben. Na bitte!
Nach einer mehrstündigen Ruhepause (die wir mit Lektüre, Internet und Überlegungen zum morgigen Grenzübertritt füllen), bin ich um 18:00 wiederum bei Studenten zu Gast, die nach kurzer Anlaufzeit aus sich herausgehen und sowohl fachliche Fragen zum Anglistik-Studium als auch Fragen zum Leben in Deutschland stellen (Lebenshaltungskosten, Studienmöglichkeiten, Heiratsgebräuche). Dabei fällt mir auf, dass Zahedan eine multi- ethnische Stadt mit Menschen aus Pakistan, Indien und den Golfstaaten ist.
Abends folgt ein ganz unerwarteter Höhepunkt: sechs Kollegen führen uns in ein „Musterdorf Belutschistan“, welches das Leben und die Wohnräume dieser Gegend exemplarisch darstellt. Hier hat man für uns ein landesübliches Zelt reserviert, wo wir auf dem Boden sitzen (auf die Dauer wird der Schneidersitz allerdings unbequem), lässig auf Kissen gestützt und, nach einem hubble-bubble (Wasserpfeife), ein vorzügliches Essen (Fladenbrot, Salat, Schafsfleisch) einnehmen – begleitet von einem aufschlussreichen Palaver über Gott und die Welt in orientalischer Märchenkulisse.
Der Abschied vom Uni-Gästehaus ist von echter Herzlichkeit geprägt, und man lädt uns ein, auf dem Rückweg wieder vorbeizuschauen – eine reizvolle Aussicht!
Als Dank überreichen wir unserem Betreuer ein Multifunktions-Messer mit allen Schikanen.
Fotos: Fritz Runge
These two posts have taken me back to the times, late 90s to early noughties, when I was a solo traveller, admittedly using business as my excuse, to those lands north of the Persian Gulf.
The hospitality and welcome I received was amazing and displayed a naive charm that had yet to be corrupted by the adoption of a consumer society, which of course most yearned for, as can be seen by the abuse of Baku architecture, with Kazakhstan creating a completely shiney new capital!
Hi Rupert, yes, those were different days. I am fascinated by the diary of Volker and there is still more to come. So keep reading 🙂