„Ein Lächeln ins Gesicht zaubern“
Wie viele Menschen machen sich Gedanken um die Pflege, solange es sie selbst nicht betrifft? Auch die Journalistin Heike Lachnit hat sich jahrelang keine Gedanken um die Pflege gemacht, es war total fern von ihrer Lebensrealität. Dies hat sich jedoch inzwischen geändert, denn ihre große Tochter Layla-Noreen (Jg. 2004) hat im Oktober ihre generalistische Pflegeausbildung begonnen. Was bedeutet dieser Schritt für Tochter, Mutter und letztlich die Gesellschaft? Hier Heikes Gastbeitrag für ohfamoos.
Mit dem Wunsch meiner Tochter, in die Pflege zu gehen, ist dieses Thema auch bei uns zu Hause angekommen – mit seinen zahlreichen Vorurteilen, aber auch mit seiner Wichtigkeit. Denn jeder von uns hat sicher in den Nachrichten mitbekommen, dass Pflegekräfte in allen Bereichen fehlen.
Dass es einen Pflegenotstand gibt, wurde besonders mit Corona sehr deutlich. Wir haben die Pflegekräfte beklatscht, aber die Augen vor ihren Belastungen verschlossen. Dabei waren diese mit Corona nicht neu. Das bereits vor Corona angespannte System erlebte vielmehr völlig neue Herausforderungen, so dass viele Fachkräfte dem Beruf den Rücken kehrten.
Über 400.000 offene Stellen im Pflegebereich
Dabei ist es weniger der Beruf an sich als vielmehr die Arbeitsbedingungen, die Pflegekräfte gehen lassen. Die Anforderungen in der Pflege haben sich verschärft. Laut der Arbeitsagentur gibt es in Deutschland über 400.000 offene Stellen im Pflegebereich. Im Jahr 2022 waren in der Pflege 1,68 Millionen sozialversicherungspflichtige Beschäftigte gemeldet. Mit etwa zwei Fünfteln war der Großteil der Pflegekräfte in Kliniken und Krankenhäusern beschäftigt. In der stationären Pflege arbeiten 30 Prozent und in der ambulanten Pflege 17 Prozent der Beschäftigten.
Zu diesem bereits jetzt schon angespannten System geht man davon aus, dass die Zahl der Pflegebedürftigen mit stationären Versorgungsbedarf in den nächsten Jahren weiter deutlich zunimmt. Bereits heute gibt es einen Engpass an Fachkräften von sieben Prozent. Bis 2035 soll sich dieser noch verschärfen.
Das negative Bild der Pflege – stimmt das eigentlich?
Fakt ist: Überall fehlt es an jungen Menschen, die in die Ausbildung gehen. Zum einen ist der Mangel an Fachkräften durch den demografischen Wandel bestimmt. Hinzu kommt jedoch, dass das Bild der Pflege in der Gesellschaft sehr negativ ist und was ich jetzt auch festgestellt habe, sehr eingeschränkt.
Mit dem negativen Bild der Pflege wird auch meine Tochter konfrontiert. „Ich könnte das nicht, alten Menschen den Po abzuwischen“, ist die häufigste Reaktion, die sie zu hören bekommt, wenn sie von ihrer Ausbildung erzählt. Und dies macht traurig. Dies zeigt aber genau das Bild, was die Gesellschaft von Pflege im Kopf hat.
Sofort fällt einem die Altenpflege ein. Hinzu kommen die Berichte von katastrophalen Zuständen in Altenpflegeheimen und das negative Bild ist komplett. Die Fachkräfte und Pflegeschulen kritisieren zudem das Bild der Pflege, welches häufig in den Medien gezeichnet wird. Da heißt es oft, in der Pflege verdiene man zu wenig und die Arbeitszeiten seien ungünstig.
Der Beruf wird schlechter geredet als er ist.
Dies führt zu einem weiterem Trend in der Abwärtsspirale des Interesses. Die Verdienst- und vor allem die Aufstiegsmöglichkeiten mit Weiterbildung und Studienmöglichkeiten und somit zu höherem Gehalt sind sehr viel besser als ihr Ruf. Leider werden kritische Anmerkungen häufiger abgedruckt als positive. Das negative Image rührt vor allem aus der Situation der Altenpflege.
Pflege ist so viel mehr – man bekommt viel zurück!
Doch Pflege ist so viel mehr und es ist gut, dass sich trotz allem noch immer Menschen dazu entschließen, diesen Beruf zu erlernen und auszuüben. Irgendwann in unserem Leben waren wir bestimmt alle schonmal darauf angewiesen oder werden darauf angewiesen sein, dass es Menschen gibt, die diesen Beruf mit Leidenschaft ausüben.
Ihr Schulpraktikum absolvierte Layla-Noreen in einem Seniorenwohnheim. Danach bewarb sie sich für ein Praktikum im Krankenhaus und verbrachte vier Wochen im Kreißsaal. Vor kurzem beendete sie ihr einjähriges FSJ (Freiwilliges soziales Jahr) im Zwerg-Nase-Haus in Wiesbaden, wo sie sich um mehrfach behinderte Kinder und junge Erwachsene, die auf eine Dauerbeatmung angewiesen sind, kümmerte. Sie hat bereits mehrere Facetten von Pflege mitbekommen und hat natürlich auch ihre Vorlieben.
Wie sieht eine Pflegeausbildung aus?
Mit der generalistischen Pflegeausbildung wird sie weitere Einblicke erhalten wie verschiedene Krankenhausstationen, ambulante Pflege, Pädiatrie oder Psychiatrie. Die generalistische Pflegeausbildung existiert seit 2020. Auf Bundesebene wurde die Ausbildung für die Alten-, Kranken- sowie Kinderpflege zusammengelegt. Nach der dreijährigen Ausbildung haben die Pflegefachkräfte die Möglichkeit, sich über eine zweijährige Fachausbildung zu spezialisieren z.B. in den Fachbereichen Intensiv- und Anästhesiepflege, Psychiatrie, Notfallpflege, Geriatrie, Nephrologie, Praxisanleitung und einige andere. Auch besteht nach der Ausbildung die Möglichkeit eines Studiums in den Fachbereichen Pflegemanagement, Pflege- oder Medizinpädagogik sowie Pflegewissenschaft.
Bereits heute sagt Layla-Noreen, dass manche Einsätze eine Herausforderung für sie sein werden, da dies nicht so „ihr Ding sei“. Aber das macht die Vielfältigkeit dieses Berufes aus. Bei ihren Einsätzen hat sie auch Tage, an denen sie abends müde nach Hause kam.
Doch immer leuchten ihre Augen, wenn sie von den Erlebnissen berichtete.
Und ich hatte mehr als einmal das Gefühl, dass sie nicht nur gibt, sondern auch sehr viel zurück bekommt und für sich mitgenommen hat.
Bei verschiedenen Gesprächen wie auch im Bewerbungsgespräch wurde ihr die Frage gestellt, warum sie in die Pflege möchte. Und ihre Antwort darauf rührt mich jedes Mal:
„Ich möchte meinen Patienten ein Lächeln ins Gesicht zaubern!“
Das klingt so einfach wie banal und bedeutet doch so viel. Nicht zu vergessen die Gemeinschaft der Azubis, die in der Ausbildung zusammen kommen, gemeinsam lernen, gemeinsam ihre Praxiseinsätze leisten und sich auch in der Freizeit treffen. Da bilden sich Freundschaften heraus und ich kann mir vorstellen, dass diese auch in Zukunft bestehen bleiben.
An den Strukturen in der Pflege kann ich nichts ändern, doch ich möchte zeigen, dass der Beruf bereichernd sein kann und dass dieser Beruf sehr viele schöne Seiten hat. Diese kommen bei aller gerechtfertigten Kritik manchmal zu kurz.
So sieht es in Hessen aus
Ganz aktuell hat das Sozialministerium Hessen Zahlen veröffentlicht, welche den Pflegenotstand aufzeigen.
In Hessen wird die Anzahl pflegebedürftiger Menschen bis zum Jahr 2030 um 11,7 Prozent zunehmen.
Das geht aus dem ersten Hessischen Pflegebericht hervor, den Sozialminister Kai Klose (Grüne) in Wiesbaden vorstellte. Der Sozialminister rechnet vor allem in der ambulanten Pflege mit einem Mehrbedarf von 14,4 Prozent bis 2030.
- Laut Pflegestatistik wurden im Dezember 2019 insgesamt 67.906 Pflegebedürftige in Hessen von ambulanten Pflegediensten versorgt.
- 2030 werden es laut der Prognose mehr als 77.000 Menschen sein.
- Für die vollstationäre Pflege erwartet das Sozialministerium ebenfalls einen Zuwachs um 14,2 Prozent auf knapp 63.000.
Aus diesem Grund werden allein in der Altenpflege bis zum Jahr 2030 zusätzlich 20.000 Altenpfleger benötigt. Mehr über den neuen Pflegebericht hier. Und das ist nur der Blick auf die Altenpflege. Dazu kommt noch der Bedarf in allen anderen Pflegebereichen. Ein Befund, der sicher leider nicht allein für Hessen zutrifft…
Fotos: via Heike Lachnit
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