„Für einen immer bunteren Stadtteil“
Was kann bürgerschaftliches Engagement ausrichten? Muss man sich mit dem Status Quo abfinden oder ist es möglich, gemeinsam mit anderen etwas zu bewirken? Auch wir von Ohfamoos fragen das oft und freuen uns, wenn es klappt. Eine Geschichte über den Wunsch engagierter Bürger, in ihrem Viertel aktiv zu sein. Und was dabei herauskommen kann.
Es war einmal ein Platz im alten Kölner Stadtteil Widdersdorf. Ausgestattet mit einem Kriegerdenkmal, stark versiegelt und ein in die Jahre gekommenes Trafohäuschen des städtischen Energiedienstleisters, direkt an der Hauptstraße, komplettierte ihn. Auch an ein- oder zwei alte Bänke erinnere ich mich. Ansonsten: Kein Ort, der mich, die nicht weit entfernt davon im Neubaugebiet Widdersdorf wohnt, oder viele andere Menschen anzog.
Ein Platz, von dem man dachte: Schade, dass er nicht besser genutzt wird.
Und dann hieß es: Dorthin soll ein Bücherschrank. Die örtliche Widdersdorfer Interessengemeinschaft (WiG) hatte sich zum Ziel gesetzt, den Platz zu verschönern.
Ein „aktives Zentrum“ schaffen
Mehr noch: Sie versucht seit Jahren, in Köln-Widdersdorf ein „aktives Zentrum“ zu schaffen – mit meinen Worten: Einem alten Ort eine neue Atmosphäre zu verschaffen. Klassisches bürgerschaftliches Engagement, das nicht von heute auf morgen geht, aber wenn man hartnäckig dranbleibt und sich mit anderen verbindet, kann das klappen.

So schön gefüllt war es am 2. Dezember 2023 beim Bücherschrank-Event in Widdersdorf
Der Schrank kam (die Geschichte dazu ist hier nachzulesen) und neue Allianzen zeigten sich – mehr und mehr. Eine Initiative gründete sich: „Cooles Widdersdorf“, vier Frauen und das Ziel, sich mit vielen, kleinen Maßnahmen „für einen immer bunteren und grüneren Stadtteil“ einzusetzen, „der fit für den Klimawandel ist und die bereits spürbaren Folgen der Aufheizung abfedern kann“. Sie wollten den alten Platz begrünen.
Bürgerschaftliches Engagement direkt auf der Straße
Und wer sich mit öffentlichen Bücherschränken auskennt, der weiß: Diese stehen nicht einfach so und funktionieren. Meist kümmern sich gleich mehrere Bücherfreunde, auch Bücherpat*innen genannt, um den Inhalt und schauen, dass der Schrank immer gut befüllt ist und ansehnlich bleibt – in Widdersdorf sind es fünf gute Seelen, die genau das tun. Und so ein Schrank sorgt dafür, dass sich immer wieder Menschen auf den Platz bewegen.
Plus: In Köln gibt es eine Veranstaltungsreihe, die sich „Köln liest im Advent“ nennt. Dahinter steckt die Kölner „Stiftung Neuer Raum“, die es sich zum Ziel setzt, an den Bücherschränken für Kultur auf der Straße zu sorgen. Fast 60 Bücherschränke gibt es 2023 allein in Köln, über 1000 bundesweit. Diese Stiftung veranstaltet seit 2021 jeweils im Dezember adventliche Events an Bücherschränken, eröffnet damit neue Räume für kulturell ansprechende Veranstaltungen.

v.l.n.r.: Ines Jacob, Irina Slania, Elke Tonscheidt, Aliki Gerich
Hier schließt sich nun der Kreis – und so feierten Anfang Dezember über 100 Bürger*innen ein fröhliches Fest auf dem alten, neuen Platz. Hans-Jürgen Greve und sein Team der „Stiftung Neuer Raum“ hatten zum 3. Mal für Widdersdorf ein Event vorbereitet, rückten mit ihrem Punschmobil an.
Cooles Widdersdorf
Zuvor hatte bereits die WIG den Platz erneut festlich beleuchtet – Lichterketten, rote Pakete und festliche Kugeln strahlten aus den Bäumen und sich an der Organisation des Events beteiligt. Wir von Ohfamoos hatten die Künstlerinnen Aliki Gerich (Märchen- und Geschichtenerzählerin) und die Pianistin Irina Slania eingeladen. Inge Klein von „Cooles Widdersdorf“ sorgte für den Auftritt ukrainischer Sängerinnen des Chores UKRAINE, ihre Mitstreiterinnen verkauften Bio-Orangen aus Kalabrien, verschenkten Salzbrezel. Die Initiative hatte zudem bewirkt, dass das Trafohäuschen frisch gestrichen wurde.

Bei der Begrüßung, v.l.n.r.: Hans-Jürgen Greve, Wolfram Wiedenbeck, Cornelia Weitekamp. Die Bezirksbürgermeisterin lobte explizit, was bürgerschaftliches Engagement in Köln ausmacht.
Bezirksbürgermeisterin Cornelia Weitekamp beglückwünschte Widdersdorf für sein großartiges Engagement, weihte Platz mitsamt seiner neuen Schmökerbank ein. Der Vorsitzende der Widdersdorfer Interessengemeinschaft Wolfram Wiedenbeck erläuterte, wie die Entsiegelung des Platzes Realität wurde; er lobte alle, die sich für die Begrünung und Verschönerung des Platzes eingesetzt haben und das auch weiterhin tun.
Und Hans-Jürgen Greve rief begeistert ins Mikro: „Und das ist nach wie vor erst der Anfang, wir machen weiter damit, mit unserer Stiftung die Kultur an den Bücherschränken zu ermöglichen! Was in Köln seit drei Jahren funktioniert, soll 2024 auch in München stattfinden. Einfach toll, was wir gemeinsam schaffen können.“
Ich denke, die Fotos sprechen für sich. Es war kalt, aber warm in den Herzen. Das Engagement Vieler hatte dazu beigetragen, dass dieses Fest so möglich wurde. Ein alter Platz im neuen Glanz, glückliche Gesichter, Musik, Weihnachtsgeschichte und Gesang, dazu heiße Getränke für jung und alt. „Noch nie“, lacht Ines Jacob von der Stiftung Neuer Raum, „haben wir so viel Punsch und Glühwein erhitzt und ausgeschenkt!“
Ein alter, nun neuer Ort, der im Frühjahr weiter aufblühen wird.
Denn so bedankte sich Olaf Biethan von der WiG: „DANKE an alle, die dazu beigetragen haben, Kultur an Bücherschränken zu leben, Widdersdorf wieder einen Mittelpunkt zu geben und persönliches Engagement zu würdigen … und das persönliche Engagement fängt an, wenn jemand einfach ein paar Blumenzwiebeln einbuddelt, um den Platz im nächsten Frühjahr wieder erblühen zu lassen!“
Auch interessant: Wir von Ohfamoos hatten – kurze Zeit, nachdem ich nach Widdersdorf gezogen war – im Rahmen eines World Cafés Ideen gesammelt, um Widdersdorf zu beleben. Der Wunsch nach einem Bücherschrank kam auch bei dieser Veranstaltung im Jahr 2019 mehrfach auf. Mehr hier:
Fotos: Ines Jacob und Elke Tonscheidt