Jaipur und der Palast der Winde
So eine Reise nach und durch Indien ist eine aufregende Sache. Unser Abenteurerteam macht sich in dieser Etappe auf den Weg nach Jaipur und dem legendären Palast der Winde. Wie immer hält Volker Raddatz alle Erlebnisse akribisch im Tagebuch fest und Fritz Runge liefert die Fotos.
Jaipur, 7. Dezember 2004
Heute fahren wir nach Jaipur, Hauptstadt von Rajasthan. Es dauert lange, bis wir die Außenbezirke und Vorstädte von Delhi hinter uns gelassen haben. Dann aber durchqueren wir – erstmalig in Indien – längere Abschnitte unverbauter Natur mit grünen Reisfeldern, in denen Frauen in saffranfarbigen Saris ihre anstrengende Arbeit verrichten. Ähnlich wie beim Rikschafahrer besteht auch hier die Versuchung, über den ästhetisch-folkloristischen Eindruck die alltäglichen Strapazen körperlicher Beschäftigung zu vergessen. Jedenfalls präsentiert sich Indien bis kurz vor Amber von seiner Sonnenseite.
Die Burg von Amber erklimmen wir auf dem Rücken eines Elefanten. Es handelt sich um eine herrlich gelegene Festungsanlage aus dem Jahre 1150 mit juwelengeschmückten Innenräumen. Als Putz für die Wände verwendete man eine Mischung aus Eierschalen und zerstoßenen Perlen. Die Konstrukteure der Burg kannten die Gefährlichkeit der Elefanten. Deshalb bauten sie den Zugang groß genug, um die Tiere hineinzulassen, gestalteten den Eingangsbereich aber verwinkelt und mit langen Dornen besetzt, damit die Kraftpakete keine Angriffsfläche als Rammböcke erhielten. Von der Audienzhalle hat man einen schönen Blick auf das Tal und den Wassergraben; die Privaträume sind dekoriert mit eingelegten Blumenmustern. Ferner gibt es einen Spiegelsaal, der das Licht einer einzigen Kerze vielfach reflektiert.
Jaipur, 8. Dezember 2004
Morgens fahren wir mit zwei Fahrrad-Rikschas zum Gand Pol, dem westlichen Stadttor, das, wie alle Stadttore und viele andere Gebäude, von roter Farbe ist. Dann geht es zu Fuß weiter zum Stadtpalast, der noch heute von der Fürstenfamilie bewohnt wird und über ein ausgezeichnetes Museum verfügt, zu dessen Ausstellungsstücken 500-Jahre-alte Teppiche, Waffen, Manuskripte, Miniaturzeichnungen, Möbelstücke und Gemälde gehören. Und immer wieder die üppige Vielfalt der Märkte – eine Sinfonie in Farben und Gerüchen …
Anschließend laufen wir zum Observatorium des Maharadscha Jai Singh, erbaut 1716 nach dem Vorbild des Observatoriums von Delhi. Eindrucksvoll ist die Präzision der Instrumente (Sonnenuhr, die auf 2 Sekunden genau ist; Vorhersagegerät für den kommenden Monsun). Dritte Station ist der „Palast der Winde“, eine rote Haus-Fassade mit knapp 1000 Fenstern, die von den Palast-Damen benutzt wurden, um unbemerkt die Außenwelt betrachten zu können.
Mandawa, 9. Dezember 2004
Heutiger Schwerpunkt ist die Shekavati-Region, ehemaliges Transitgebiet für Karawanen von den Häfen Gujarats nach Delhi (Opium, Gewürze, Baumwolle).
Die Kaufleute bauten damals Handelshäuser (havelis) und Karawansereien (vgl. die Khans in Syrien und im Iran). Die meisten dieser Häuser wurden zwischen 1760 und 1920 mit Fresken versehen. Die havelis waren auch befestigte Wehranlagen, innerhalb derer die Frauen in den besonderen Gemächern (zenana), beschränkt auf den Innenhof, lebten, während die Männer ihre Geschäfte auf weißen Baumwoll-Matratzen im Außenhof abwickelten.
Die havelis sind heutzutage ziemlich heruntergekommen und nicht leicht zu finden. In Nawalgarh müssen wir uns regelrecht durchkämpfen (Schlamm, Schlaglöcher, spitze Steine), bis wir mit Hilfe eines jungen Mannes („I am a professional guide“) wenigstens zwei, drei gut erhaltene Exemplare (mit schönen Wandmalereien) finden, die wir von innen besichtigen dürfen.
Besonders angenehm ist die längere Fahrt durch eine schöne, d.h. unverbaute, unvermüllte und weitgehend ländliche Region, die sich wohltuend von der lärmenden und stinkenden Hektik indischer Ballungsgebiete unterscheidet. Links und rechts von der Straße dehnt sich die Halbwüste Rajasthans aus, die ab Bikaner in regelrechte Wüste übergeht: verstaubt wirkende Bäume und Sträucher, dazwischen einige Dromedare, die ihre Hälse nach oben in das Blattwerk recken, um Laub zu fressen. Ab und zu eine menschliche Behausung mit Handpumpe und kleiner Grünfläche.
Unser schmackhaftes Abendessen wird begleitet von einem wilden Puppentheater und den Gesängen eines Paares, das, mit einem schlummernden Kind auf den Schultern, sich einige Touristen-Rupien verdient.
- Gestern haben wir 20 Minuten lang an einer – privaten – Mautstelle um die Höhe der Gebühr gestritten. Schließlich mussten wir nachgeben und die Maut für einen Kleinbus zahlen – das ganze Palaver war ohnehin ein Schattenboxen und reines Prestige-Duell – mit Indien als Sieger!
Bikaner, 10. Dezember 2004
Am Vormittag besichtigen wir noch einige havelis in Mandawa. Die Tatsache, dass sie bewohnt sind, ist gleichermaßen ein Vorteil (authentisches Alltagsleben, kein Museumscharakter) und ein Nachteil (Eindringen in die Privatsphäre). Jedenfalls können wir hier mehrere Häuser dicht beieinander besuchen und sehr unterschiedliche Fresken im Hinblick auf Farbe, Form und Thema anschauen: blaugesichtige Götter, bleichgesichtige Engländer auf dem Elefantenrücken, erotische Szenen in kleinen Nischen neben Dampflokomotiven, Raddampfern und alten Grammophonen, berittene Soldaten neben Szenen aus dem Alltag wohlhabender Familien.
Nun fahren wir über Fatehpur in die Wüstenstadt Bikaner, die 1448 gegründet wurde: ein wohlhabender Vater gab seinem zweiten (also nicht erbberechtigten) Sohn eine Armee und schickte ihn aus, um fern der Heimat sein Glück zu versuchen. Ergebnis ist die florierende Handelsstadt Bikaner, konkurrenzlos im Wüstensand gelegen. Der Weg dorthin – fast 200 km – führt durch meist einsame, z.T. bizarre, niemals monotone Landschaft, die immer wieder versucht, von der schmalen, oft schnurgeraden Autopiste Besitz zu ergreifen. Wir haben Glück, dass kein Wind weht, denn sonst wären unsere Probleme sicher größer als nur ein paar harmlose Sandverwehungen auf der Asphaltstraße. Ab und zu begegnen wir Ziegenherden und, seit Tagen ein gewohnter Anblick, Dromedar-Gespannen. Zwischendurch immer wieder kleine Siedlungen mit unterschiedlichen Haus- und Dachkonstruktionen (zugespitzt, abgerundet).
Bikaner, 11. Dezember 2004
Der heutige Vormittag ist dem Junagarh-Fort gewidmet, das zwischen 1580 und 1645 erbaut wurde. Hier ein Auszug aus der amtlichen Bekanntmachung:
„Since this fort is of great historical value, it was deemed proper to transfer it in the aforesaid manner primary for the good of the people of Bikaner and for purposes of its better utilization; on the same line as at other old forts in Rajasthan the trustees have fixed a normal entrance fee for the visitors; all the proceeds therefore will be utilized towards the maintenance and upkeeping of the fort and other charitable works. – His Highness Maharaja Shri Karim Singh Ji Bahadur / The Secretary, Bikaner.“
Innerhalb der massiven Burgmauern (das Eingangstor ist auch hier mit langen Eisenspitzen gegen Rammversuche durch Elefanten gesichert) hat das Fort viel zu bieten. In den zahlreichen Gemächern (Arbeitszimmer, Schlafräume, Speisesaal, Waffenkammer, Stallungen, Empfangsräume) beeindrucken besonders die verwendeten Materialien: Marmor aus Carrara, Fliesen aus der Toskana, Türen aus Kaschmir, dazu indisches Sandelholz und Sandstein. Die prunkvolle Anlage (wie alles in Indien von Wind, Hitze und Feuchtigkeit stark mitgenommen) umfasst einen großen Garten, ein Elefantengehege, einen Trophäen-Raum, eine Familienchronik mit Fotos sowie eine Sammlung von Gastgeschenken, in deren Mittelpunkt ein 1.-Weltkrieg-Doppeldecker der britischen Luftwaffe steht.
Nach einer kurzen Pause lassen wir uns von einer Motor-Rikscha in die Altstadt von Bikaner fahren, die aus drei Teilen besteht: havelis, Basar, Jain-Tempel. Leider wird auch hier das Vergnügen einer Tempel-Besichtigung durch den Zwang, die Schuhe auszuziehen, empfindlich gemindert, zumal es kein religiöses Bauwerk gibt, das nicht von oben bis unten mit Taubendreck verunreinigt ist. Immerhin ermöglicht der Jain-Tempel einen schönen Blick auf die Altstadt.
- Chronischer Wassermangel in der Wüstenstadt Bikaner ist wohl der Grund, warum zur Herstellung des Bindemittels beim Bau des Jain-Tempels 40.000 Stücke Butter verwendet wurden – die übrigens bei großer Hitze von unten durch die Ritzen im Fundament nach oben dringen.
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