Mit Pfeil und Bogen ins Rote getroffen!
Wir kennen Sabine Tonscheidt als aktive, Italien-affine „Mainungsautorin“. Heute teilt die Wahl-Frankfurterin einen Erfahrungsbericht der besonderen Art mit uns: ihre Ersterfahrung mit dem Bogenschießen. Ja, so richtig mit Pfeil und Bogen. Wo es das gibt und was man da alles so macht, erklärt Sabine im folgenden Beitrag.
Treffen, ohne zu zielen. Das sei der Satz gewesen, der ihn zur Kursteilnahme bewogen habe. Eine andere Frau fühlte sich vom Begriff Achtsamkeit angezogen. Und wieder ein anderer Teilnehmer wollte einfach mal raus aus dem Kopf, raus aus seinem stressigen Job. Drei von neun Menschen, die sich Mitte April zum Kurs „Achtsamkeit & Resilienz mit dem Bogen“ angemeldet haben. Mit dabei auch mein Partner und ich. Aus Frankfurt sind wir mit Zug und Rad nach Gießen angereist, um uns erstmal im so genannten intuitiven Bogenschießen zu üben. Wir sind entsprechend gespannt – und wissen am Ende des Tages: Es war eine sehr schöne und beglückende Erfahrung.
Bogenschießen in Gießen
Patricia Seeliger, die Kursleiterin, arbeitet schon seit 15 Jahren mit dem Bogen und weiß um die Anziehungskraft des Stück Holz, das jeder Teilnehmende gleich zu Beginn in die Hand gedrückt bekommt. Die Bogen, mit denen wir Einsteiger*innen heute das Zielen und Treffen üben dürfen, sind traditionelle Langbögen aus Rattan, ein sehr leichtes und biegsames Holz, das von der Rotangpalme aus Indonesien stammt, wie Patricia uns erklärt.
Bevor wir uns in der Teilnehmer-Runde gegenseitig kurz bekannt machen, möchte sie, dass wir eine ganz unmittelbare Erfahrung mit dem Bogen machen. Und das heißt: Zuerst muss der Bogen aufgespannt werden, das heißt, die Sehne muss in die dafür vorgesehene Kerbe am oberen Ende des ca. 180 cm langen Holzes gelupft werden. Schritt für Schritt erklärt uns Patricia, wie wir dafür den Bogen gegen die Außenkante eines Fußes stellen, mit dem anderen Bein durch die Lücke zwischen Sehne und Holz steigen, um dann das obere Ende des Bogens kräftig zu biegen und die Sehne in die Kerbe einzulegen. Ich staune nicht schlecht, wie ungeschickt ich mich schon bei dieser ersten Begegnung mit dem Bogen anstellen kann. Es kann also nur besser werden…
Kurs mit Pfeil und Bogen
Drei Stunden dauert der Kurs insgesamt, der im Zentrum für interkulturelle Bildung und Begegnung (ZiBB) in Gießen stattfindet. Ein Verein, der 1996 als soziokulturelles Zentrum mit einem vielfältigen Angebot an Kunst, Kultur und Politik gegründet wurde. Wir lernen die verschiedenen Phasen des Bewegungsablaufs kennen, durch die Patricia uns leitet: Zunächst gilt es seitlich zur Zielscheibe einen stabilen, aber durchaus auch „entspannten“ Stand zu finden und ruhig zu atmen. Dann wird der Pfeil eingelegt: Eine von drei Federn gehört dabei stets nach oben, und wenn es ein leichtes „klack“ macht, ist der Pfeil korrekt zwischen den sogenannten Nockpunkten eingesetzt.
Nun gilt es, sich auf die Zielscheibe zu fokussieren. Diese ist hier viereckig und besteht aus einem zirka 20cm dicken schwarzen, festen Schaumstoff, aufgestellt auf einem einfachen Holzständer. Ein Kreuz aus roten Streifen zeigt die Mitte an. Es wäre gelogen, wenn bei mir im Kopf nicht rumschwirrte: Schön wär’s, der Pfeil landete ziemlich direkt in der Mitte.
Während man den Blickkontakt zum Ziel aufnimmt, wird der Bogen gespannt, der Pfeil mit der Sehne mit einer Hand nach hinten gezogen, so dass die „Zughand“ unter dem Kinn „ankert“. Dabei bleiben die Schultern möglichst in einer Geraden, und der Brustkorb wird weit aufgedehnt. „Eine aufrechte Haltung wie im Tanzkurs“, meint eine Teilnehmerin schmunzelnd.
Körper und Geist sind in Anspannung, der Blick fokussiert.
Nun heißt es Loslassen. Mit einem kleinen zischenden Geräusch saust der Pfeil nach vorne und bohrt sich, wenn man Glück hat, in die Zielscheibe. Es macht ein kurzes, sattes „plop“. „Echt interessant, wie schwer mir das Loslassen fällt“, seufzt eine Teilnehmerin. Der Bewegungsablauf endet mit dem Nachhalten. Die Phase, mit der ich fast am meisten Schwierigkeiten habe, denn am liebsten möchte ich gleich zum nächsten Pfeil greifen und weiter und weiter üben. Ich habe „Blut geleckt“. Doch auch das Nachhalten, also das kurze Innehalten und Nachspüren, was das Ergebnis mit mir macht, gehört dazu, sagt Patricia. Ein guter Abschluss ist wichtig, ja, das leuchtet ein. Schließlich ist man sonst im Leben schon schnell genug unterwegs, hetzt von einer Aufgabe zur nächsten, wie auch ein anderer Teilnehmer bestätigt.
Spaß und Geselligkeit
Beim Durchleben der verschiedenen Phasen des Bewegungsablaufs kann man also viel über sich lernen. Geht es einem nur um den Spaß und die Geselligkeit? Ärgert man sich, wenn mal ein Pfeil statt in der Zielscheibe im Auffangnetz landet? Wie geduldig ist man, wenn der Pfeil zum wiederholten Mal von der Pfeilauflage rutscht, auf der er eigentlich kurz vor dem Loslassen aufliegen sollte? Wie sehr hingegen freut man sich, wenn man genau die rote Mitte trifft?
Achtsamkeit und Resilienz, darum geht es, weniger um Selbstoptimierung. Das merkt eine Teilnehmerin an, die nicht ganz einverstanden ist, als Patricia eine Übung anleitet, in der man sich in einer Dreiergruppe wechselseitig Feedback geben soll. Patricia, die viel von Co-Kreation hält, ist flexibel genug, um die Übung abzuwandeln. Und zum Schluss des Kurses, hat sie sich noch eine ganz besondere Übung für uns ausgedacht: das Dominoschießen.
Dominoschießen
Alle stehen an der roten Linie, Pfeil und Bogen sind gespannt, der Blick ist nach vorne ausgerichtet. Nun gilt es, in Zweier-, Dreier- oder Fünfer-Teams intuitiv, also ohne Ansage oder sonstiges Zeichen, jeweils möglichst gleichzeitig den Pfeil Richtung Zielscheibe abzuschicken. Zunächst mit offenen, dann sogar mit geschlossenen Augen. Miteinander in Schwingung geraten, achtsam aufeinander zu warten, eins werden mit sich, dem Bogen und der Gruppe. Ob das klappt?
Aber was bedeutet schon klappen?
Intuition – hier als eine körperlich gelebte Erfahrung. Intuitives Bogenschießen als Möglichkeit, in sich hineinzuspüren und einiges davon in den eigenen Alltag zu übertragen. In der kurzen abschließenden Feedback-Runde erntet Patricia viel Zuspruch. Humorvoll und klar habe sie den Kurs angeleitet. Viel Spaß hat es allen gemacht. Einige, so ist es den Teilnehmenden anzumerken, werden wohl nicht das letzte Mal ein Stück Holz in der Hand gehalten haben…
Kurzinterview mit Patricia:
Patricia, Du bist ausgebildete systemische Beraterin und Coach und schon viele Jahre in der Personal- und Persönlichkeitsentwicklung tätig. Warum die Arbeit mit dem Bogen?
- Das intuitive Bogenschießen bietet die Chance, dass wir körperlich wie auch mental Erfahrungen machen, die wir mit unserer Lebensrealität in Beziehung setzen können. Das findet ganz unmittelbar statt, z.B. wenn wir uns bewusstwerden, wie unser Stand beim Bogenschießen ist. Stehe ich stabil, kraftvoll, erhobenen Hauptes? Die Übertragung wäre dann beispielsweise: Wie stehe ich im Leben? Welche Haltung nehme ich ein?
Du integrierst den Bogen auch in Führungskräftetrainings; was erlebst Du dabei?
- Führungskräfte spulen oftmals ihre Denk-, Fühl- und Verhaltensmuster unwillkürlich ab. In der Arbeit mit ihnen versuche ich, die Selbstreflexion anzuregen. Ein Aha-Effekt dabei: Es ist einfach immer wieder erstaunlich, wie schnell und intensiv die Manager*innen in der Begegnung mit dem Bogen ihre eigenen Handlungsmotive, ihre Kommunikation und ihr Verhalten reflektieren. Es funktioniert einfach besser, als einfach nur im Stuhlkreis zu sitzen und zu sprechen. Ich habe bei vielen Menschen erlebt, dass diese Kombination von konkreter körperlicher bzw. sinnlicher Erfahrung und kognitiver Auseinandersetzung zu nachhaltiger Veränderung führt.
Wem würdest Du die Art des intuitiven Bogenschießens besonders ans Herz legen?
- Für jeden und jede kann es eine vergnügliche Sache sein. Wenn man Körper, Geist und Seele in besonderer Weise ansprechen und dies in „Bewegung“ erleben will (ähnlich wie bei Thai Chi), dann öffnet das intuitive Bogenschießen die Wahrnehmung auf ganz archaische Weise: Die meisten Menschen erleben darin Ruhe, Konzentration und spüren ihre eigene Kraft. Das geht nicht nur Erwachsenen so, sondern auch Jugendlichen bzw. Kindern! Für letztere fühlt es sich nach Abenteuer an, dabei hat es die erwünschte Nebenwirkung, dass Fokussieren und Haltung geübt werden.
Links:
Zum intuitiven Bogenschießen: www.bogenakademie.de
Zu den Angeboten von Patricia: www.Patricia-seeliger.de
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