Plätze zum Durchatmen
Ohfamoos birgt so einige Geschichten über Lebensträume, Mut und auch die Kunst, sein Leben in die Hand zu nehmen. Deshalb wurden wir hellhörig, als uns Gastautorin Angela Schult, die hier meistens über ihre Kochkünste, neue Rezepte oder Wildkräuter schreibt, als Thema das anbietet: Eine eigens erlebte Tour durch Umbrien, wo sie ganz besondere Orte kennenlernt: Alte Weingüter, die derzeit in kleine Öko-Paradiese transformiert werden. Dabei hat Angela viel gelernt, vor allem Menschen getroffen, die ungewöhnlich offen für die Welt sind und ihre Neugier bewahrt haben.
Simone ist ein wilder Vogel. Das kann ich mit Fug und Recht so festhalten. Er hat keinen festen Wohnsitz, sondern zieht durch Süd- und Mittelitalien, durch Sizilien und die Liparischen Inseln, von Weingut zu Weingut. Mit Rucksack, ein paar Klamotten und mindestens sechs Schneidewerkzeugen im Gepäck. Er hegt und pflegt mit seinen goldenen Händen Rebstöcke, pflanzt neue Weinberge an und berät die Eigentümer, wie sie, meistens in Bioqualität, ihren Trauben zur Höchstform verhelfen. Seine Ruhepausen verbringt er bei seinen Eltern auf Sizilien oder bei einem Freund auf Panarea.
Ich hatte das Glück, Simone bei der letzten Weinernte in Bolsena kennenzulernen, in der Catina von Trisha und Piero, die „Wild Wine“ produzieren, auch „Orange Wine“ genannt.
Es war Verbindung und Freundschaft auf den ersten Blick. Simone ist ein bedachter, heiterer Mann, in seiner Freizeit spielt er Schach mit Leidenschaft. Und er bringt mit großem Einfühlungsvermögen Menschen zusammen, die ihre Energien austauschen können und sich mit ihrem Wissen und Können ergänzen.
Und das hat er auch hier getan: Kürzlich durfte ich ihn zu zwei Weingütern begleiten. Simone war für den Green-Cut* zuständig und bat mich, ihn zu begleiten, damit er mich mit seinen Arbeitgebern bekannt machen könne. Vielleicht würde sich auch hier eine Möglichkeit ergeben Energien auszutauschen?
Das Weingut von Marc und Maria bei Orvieto
So bin ich voller Spannung und Vorfreude in Bolsena aufgebrochen und habe mich auf den kurzen Weg nach Orvieto gemacht, wo ich etwas außerhalb gelegen das Weingut von Marc und Maria Grazia aufgespürt habe. Die beiden waren so freundlich und herzlich, mich gleich zum gemeinsamen Mittagessen mit Simone und zwei Nachbarn einzuladen. In heiterer Runde hat es an Gesprächsthemen nicht gemangelt und ich habe einiges über das Leben der beiden erfahren und wie sie ihr Projekt für die Zukunft angegangen sind und umsetzen.
Denn das Projekt ist wirklich für die Zukunft und auch für die Nachwelt. Marc ist bereits über Siebzig und erfüllt sich seinen Lebenstraum. Der Patentanwalt aus NYC und seine aus Viterbo stammende Frau strotzen vor Jugendlichkeit und Energie, gleichzeitig strahlen sie aber auch Gelassenheit aus.
Zur Zeit werden neue Weinberge angelegt, ein alter produziert jedoch bereits schon besten Oriveto Classico.
Den „mussten“ wir natürlich gleich verkosten 🙂
Auf dem riesengroßen Gelände auf den Hügeln haben sie gerade einen großen Pferdestall fertiggestellt, in den im Winter die ersten Bewohner einziehen werden. Marc möchte alte Rassen aufnehmen, deren Art gefährdet ist und plant eine kleine Zucht. Und im alten Steinhaus, das im Erdgeschoss einen ehemaligen Stall beherbergt – mit Gewölbe, alten Futterstellen und natürlich riesigem Steinkamin samt Pizzaofen im Wohnbereich – werden bald herrliche Gästeunterkünfte entstehen, die auch Raum für Events bieten werden.
Auf nach Perugia und Montone
Nach der sehr herzlichen Verabschiedung, Plänen für gemeinsame Wildkräuter- und Koch-Workshops, zahlreichen Umarmungen und „a prestos“ hat Simone, immer on the road, seine sieben Sachen in seinen Rucksack gepackt und wir sind Richtung Perugia aufgebrochen.
Ungefähr 30 Minuten nördlich von Perugia erreichen wir das wunderschöne Montone. Ein für Umbrien typisches Örtchen auf einem Hügel – mit engen Gassen, einem Markplatz samt Kirche, Bar und Trattoria, also allem, was das reisende Herz begehrt. Von dort sind es nur noch 10 Minuten und wir erreichen die Azienda von Francesca und Rob.
Die Azienda von Francesca und Rob
Die beiden sind mit ihren beiden Kindern vor fünf Jahren aus England nach Umbrien ausgewandert, zu 100 Prozent, for ever. Sie haben ihren Lebenstraum mit viel Mut und Arbeitswillen in Angriff genommen:
Sie schaffen ein Öko-Paradies für sich und ihre Gäste.
Es werden Weinberge angelegt, ein Haus für die Familie gebaut und es gibt nagelneue Glamping-Zelte, die ab Spätsommer ihre Gäste erwarten. Es gibt keinen Pool, sondern einen Naturschwimmteich mit fantastischem Fernblick, in dem nachts die Frösche quaken und die die Gäste in den Schlaf „singen“. Eine mit Holz beheizbare Sauna in einem alten Schäferwagen steht in der Nähe, direkt neben dem BarBQ-Bereich. Natürlich alles mit fantastischem Blick auf Montone.
Die Kinder sind ganz entzückend, sprechen natürlich fließend Italienisch und fühlen sich pudelwohl unter der warmen italienischen Sonne. Francesca und Rob sind voller Power: Er baut vieles selbst, legt auf jeden Fall immer mit Hand an. Und lässt sich von Simone bei den Jungpflanzen im Weinberg zeigen, wie der Green-Cut funktioniert, lernt begierig was er bewirkt und freut sich dabei schon auf den Bio-Wein, für den die kostbaren Reben hoffentlich bald erste Trauben produzieren.
Zwei alte Weingüter: Was haben sie gemeinsam?
Bei aller Unterschiedlichkeit, einiges haben diese beiden Weingüter und ihre Menschen auch gemeinsam. Es sind starke Menschen, ob älter oder jünger, mit einer Vision.
Sie lieben die Natur, kräftiges Handanlegen und sind bereit zu schwitzen.
Und sie werden etwas hinterlassen, das sicherlich auch zukünftig besonders wertvoll sein wird: Plätze für die Seele, zum Durchatmen und Ankommen. Zumindest aber für eine Pause von der wilden, schnellen Welt da draußen.
*Green-Cut ist der Prozess des Entfernens junger Blätter und Triebe an Weinstöcken. So können sie kräftig wachsen und die Trauben Platz haben an den Reben.
Text und Fotos: Angela Schult
Mehr über das entstehende Öko-Paradies von Francesca Sears
Toll, was du erlebt hast, liebe Angela. Da werde ich sicher auch mal hin, teilen wir beide doch la passione per l‘Italia 🇮🇹 viel Glück und alles Liebe für Dich!
ja unbedingt, das würde euch dort sehr gefallen! Wir fahren die Tage wieder vorbei in Montone 🥰☀️