Zeit zum Zusammensein, gerade beim Essen!
Mit dem Essen fing es an. Aber vielfältige und abwechslungsreiche Gemüse sind nicht der einzige Reichtum, den uns Menschen aus anderen Ländern mitgebracht haben und immer noch mitbringen. Erzählkultur, Herzenswärme und Zeit zum Zusammensein machen das Leben lebenswert – und verbinden uns wieder mit unserem gemeinsamen Erbe als Menschen. Ein feinsinniger Gastbeitrag aus Frankfurt von Barbara Brüning über den Genuss, gemeinsam zu essen.
Also bei uns kommt heute asiatisch auf den Tisch. Meine Tochter kocht. Und ich esse tatsächlich inzwischen sogar Krabben. Hat lange gedauert. Ich bin nämlich so ein Exemplar von „was der Bauer nicht kennt …“ Meine Skepsis gegenüber fremdem Essen erkläre ich mir selbst mit meiner Herkunft erstens aus den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts und zweitens – verschärfend – aus der Eifel. Einem wunderschönen, aber nicht gerade für seine Fortschrittlichkeit bekannten Fleckchen Erde zwischen Rhein und Mosel.
Ehrlich gesagt, fand ich Essen damals hauptsächlich mühsam.
Ich mochte weder Kohl noch Spinat. Weder Fleisch noch Fisch – wenn man mal von Fischstäbchen absieht. Und so richtig viel gab es sonst nicht. Ich vermute, dass es in den Städten auch damals schon eine größere Auswahl gab – aber mal ehrlich, wann habt ihr zum ersten Mal Pizza gegessen?
Auch wer Spaghetti auf den Tisch brachte, galt als modern, erzählt meine Mutter.
Auberginen, Zucchini, selbst Paprika oder Mais gab es bei uns nicht – und auch nicht bei meinen Freunden. Später lebten wir in der Nähe von Frankfurt – und hatten Freunde, die von Kiel zugezogen waren und von Krabben schwärmten. Als ich die Dinger zum ersten Mal gesehen habe, stand für mich fest, dass ich die niemals essen würde. Da brauchte ich gar nicht erst zu probieren. Ich glaube ich war über dreißig bis ich mich dann doch überwand und zugeben musste: die Dinger sind echt gut!
Von Menschen und Geschichten
Doch es gibt noch einen anderen Reichtum, den Menschen, deren Eltern oder Großeltern aus in den sechziger Jahren noch echt exotisch klingenden Ländern kamen, mitgebracht haben: Als Studentin hatte ich zwei türkische Nachhilfeschülerinnen. Türkisch waren sie natürlich höchstens halb – denn sie waren hier geboren. Ich stellte schnell fest, dass Nachhilfe in dieser Familie anders war als in biodeutschen Mittelstandsfamilien, in denen ich mit dem Kind an den Schreibtisch ins Kinderzimmer verbannt wurde. Tür zu. „Und sieh zu, was ihr macht – Hauptsache die Noten werden besser“.
Hier saßen wir stattdessen im Wohnzimmer.
Die Mutter und die kleinen Geschwister waren auch dabei – und selbstverständlich war das Essen fertig, wenn die „Arbeit“ zu Ende war. Anfangs hatte ich gar nicht so viel Zeit eingeplant, wollte schnell wieder weiter. Doch bald genoss ich diese Stunden. Gemeinsam essen, das war sehr schön. Es wurde erzählt und gefragt und nebenbei lernte ich Weinblätter mit Reis zu füllen oder bei welchem Gericht der Imam in Ohnmacht gefallen ist.

Elke in Amman 2009
Einmal lobte ich die Gewitztheit der jüngeren Tochter. Ihr Vater, antwortete – anstatt einfach „na warten wir mal ab“ zu sagen – mit einer Geschichte. Er holte weit aus, erzählte von Eseln in der Türkei, erklärte mir den Charakter von Eseln – um dann, ich wusste kaum noch, wozu die Geschichte überhaupt erzählt wurde, zu enden mit einem ganz bestimmten Esel, in seinem Heimatdorf, der so vielversprechend und klug wie sein Töchterchen war.
Vor unseren Augen entfaltete er mitten in seinem Wohnzimmer weitläufige Berglandschaften und ließ eigensinnige Bauern vor unseren Augen erstehen.
Gemeinsam essen, reicher werden
Die Herzenswärme, die Aufmerksamkeit, die gute Zeit, die wir miteinander verbracht haben, fühlte sich nur kurz fremd und ungewohnt an. Dann war es eher wie zu Hause ankommen. Ich erinnere mich, dass auch mein Opa ein Freund guter Geschichten gewesen war – und dass auch bei meiner Oma aufmerksam und liebevoll zugehört und erzählt wurde. Irgendwann ist das hier in vielen Familien von der Jagd nach Geld für ein Reihenhaus, Auto und Urlaub in den Hintergrund gedrängt worden. Aber es bleibt dennoch unser Erbe als Menschheit: Wir brauchen Geschichten, um uns Dinge zu erklären, um unseren Platz in der Welt zu finden und um zu verstehen, wer wir sind. Um Gemeinschaft zu stiften und zu bewahren.
Heute gehe ich gerne in die Frankfurter Kleinmarkthalle. Ein Platz, der bunter und vielversprechender kaum sein könnte. Köstlichkeiten aus aller Herren und Frauen Länder gibt es hier. Und dabei auch mal Äpfel, die nicht der Supermarktnorm entsprechen oder kleine individuell von Hand gedrehte Röllchen, Hütchen, Schächtelchen mit geheimnisvollen Füllungen.
Hinter jedem steckt eine Geschichte.
Das Gemeinsame und Verbindende fängt vielleicht beim Essen an, das wir inzwischen über Kontinente hinweg teilen. Zunächst vielleicht nur vorsichtig knabbernd. Inzwischen hat meine Freundin einen Freund aus Afrika.
Wir lernen Fufu kennen und hören abenteuerliche Geschichten von Spinnenmenschen.
Natürlich beim Essen. Afrika ist die Wiege der Menscheit, heißt es. Diese uralten Geschichten sind unser gemeinsames Erbe. „You must serve your body“, sagt der afrikanische Freund. Ja. Menschenliebe fängt bei der Selbstliebe an. Und die hat auch mit gutem Essen und guten Geschichten zu tun. Wann lädst du mal wieder Freunde ein, zum gemeinsamen Kochen, Essen und Erzählen? Verbinde dich!
Ein paar Tipps zum Abschluss von Barbara:
- Türkisch kochen und türkische Geschichten findet ihr hier:
- Cook mal türkisch: Deutsch-türkische Rezepte und Geschichten (GU Autoren-Kochbücher) *Werbung
- Von vielen schönen Geschichten, die sogar Menschenleben gerettet haben, stehen natürlich hier:
- Und wer Fufu kochen lernen möchte, schaut sich hier bei Youtube um.
ohfamoos-Gastautorin Barbara Brüning ist als Autorin, Journalistin und systemische Beraterin in und um Frankfurt am Main unterwegs. Als Mutter von vier Kindern weiß sie große Familientafeln mit gutem Essen und vielen Geschichten zu schätzen. Als lösungsfokussierte Beraterin nutzt sie die heilende Kraft von Geschichten.
Bildquellen: Engin Aykurt on Pixabay (Titel), Kelsey Chance on Unsplash und Michal Jarmoluk on Pixabay (innen)
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