Mediation erspart Zeit, Geld und Nerven
Wir kennen Volker Raddatz vom Namen her schon länger. Er ist einer unserer Gastautoren, seinen Namen liest man regelmäßig auf ohoo. Als Volker jedoch in Elkes Realität auftaucht, muss sie staunen: So ein großer, stattlicher Mann. Und die strahlend blauen Augen zwinkern bereits vergnügt. So ist der Berliner, gern frohen Mutes und fest in der Gegenwart verwurzelt. Da er ehrenamtlich als Mediator arbeitet, hat Elke ihn um ein Interview gebeten. Er hat freudig zugestimmt.
Warum bist du Mediator geworden?
Zum einen gibt es eine pädagogische und sozial-psychologische Affinität zu meinem ehemaligen Hauptberuf als Fremdsprachenlehrer (Schule) und, später, als Hochschullehrer für die Didaktik des Fremdsprachenunterrichts (Universität). Zum anderen geht es um die (selbst-)kritische Analyse meiner ganz persönlichen Voraussetzungen, z.B. um Geduld, Fairness, Empathie, Perspektivenwechsel, vor allem aber um ein Interesse am Wohl des Kindes im Kontext von Familienkonflikten.

Volker Raddatz im Gasthof Stuibenfall – ein Ort, an den er sich seit Jahren zurückzieht.
Was genau macht ein Mediator, was unterscheidet seine Tätigkeit von der eines Schiedsrichters oder Richters?
Im Unterschied zum Richter (Fremdbestimmung anhand gesetzlicher Vorgaben) und zum Schiedsrichter/Schlichter (Konflikt-Lösungen durch einen Experten) begleitet und fördert der Mediator den Prozess der selbstbestimmten Konsensfindung durch die Konfliktparteien.
Welche Vorteile bietet die Mediation im Vergleich zu einem Gerichtsverfahren?
Ziel der Mediation ist der Verzicht auf gerichtliche Auseinandersetzungen, also die Eigeninitiative als Alternative zur Fremdbestimmung. Kurz gesagt: Mediation erspart Zeit, Geld und Nerven.
Welche Art von Konflikten eignet sich besonders für die Mediation?
Mediation wird erfolgreich praktiziert in den Konflikt-Bereichen Familie (Trennung, Erbschaft), Wirtschaft und Schule.
Wie können Neutralität und Fairness im Mediationsprozess erzielt werden?
Zentrale Kriterien von professioneller Mediation sind Verschwiegenheit, Überparteilichkeit und Empathie gegenüber allen Konfliktparteien, selbst wenn diese durch ihr – z.B. aggressives – Verhalten die Belastbarkeit der Mediatoren auf eine harte Probe stellen.

Sabine und Elke Tonscheidt feiern den Jahreswechsel zusammen mit Volker Raddatz.
Was sind deine größten Herausforderungen im Mediationsprozess?
Die größte Herausforderung ist die Besinnung auf die eigene Rolle und der Verzicht auf persönliche Sympathie bzw. Antipathie. Dieser „Bewährungstest“ gelingt nicht immer, sollte jedoch nach jeder Mediationssitzung selbstkritisch überprüft werden.
Wie stellst du sicher, dass Macht-Ungleichgewichte zwischen den Parteien den Prozess nicht zu stark beeinflussen?
Zentrale Aufgabe der Mediatoren ist die Förderung eines annähernden Macht-Gleichgewichts zwischen den Parteien. Mit Erreichen einer solchen „Augenhöhe“ wird überhaupt erst ein sinnvoller, für beide Seiten gerechter Verhandlungs-Diskurs gewährleistet. Das Bemühen um ein ausgewogenes Selbstbewusstsein kann schwierig und zeitraubend sein, wenn einer der beiden Klienten aus rhetorischen, psychischen, kulturellen oder finanziellen Gründen „am kürzeren Hebel“ sitzt.
Welche Faktoren sind die wichtigsten für eine erfolgreiche Mediation?
Eine erfolgreiche Mediation wird als oberste Priorität immer das Kindeswohl begreifen, selbst wenn dieses offensichtlich auch vom Wohl der Eltern abhängt. Exemplarisch nenne ich hier den „klassischen“ Streit um die elterlichen Betreuungszeiten, die vom „Wochenend-Papa“ bis zum 50:50-Wechselmodell reichen. Hier, wie auch in häufig auftretenden Finanz-Streitigkeiten, gilt als maximales Ziel die „Win-win“-Situation.

Volker Raddatz macht sich Notizen, bevor wir das Interview starten.
Generell müssen Mediatoren in der Lage sein, vorhandene Konflikte auf mindestens zwei Ebenen zu behandeln, d.h. der Beziehungsebene (mit einem Höchstmaß an psychologischen Verletzungen) sowie auf der pragmatischen Ebene (mit einem Höchstmaß an finanziellen Konflikt-Themen (Wer zahlt die Tilgungsraten für eine gemeinsame Immobilie? Wer übernimmt die Kosten für Klassenfahrten, Sportvereine, Musikunterricht der Kinder?)
Wie können Mediatoren dazu beitragen, eine konfliktfähigere Gesellschaft zu schaffen?
Die Mediation trägt idealerweise dazu bei, gerichtliche Auseinandersetzungen zu vermeiden. Darüber hinaus könnte die Mediation in der Lage sein, gesellschaftspolitische Werte wie Kompromissfähigkeit, multi-kulturelle Toleranz im Privatleben wie im sozialen Kollektiv zu fördern.
Was empfiehlst du denen, die Konflikte selbst lösen möchten, bevor sie professionelle Hilfe suchen?
Nachdem die Mediation nicht nur größere Akzeptanz bei Rechtsanwälten und in der bundesweiten Gesetzgebung gefunden hat, empfiehlt sich die Mediation in Familienkonflikten auf jeden Fall als erster Schritt.
Gastautor Volker Raddatz, einigen bereits bekannt in diesem Blog als der Autor des Indien-Tagebuchs, ist emeritierter Professor für Didaktik des Englischen an der Humboldt-Universität Berlin. Seine Schwerpunkte: interkulturelles Lernen und postkoloniale Literaturen. Er arbeitet als Übersetzer sowie als Mediator für Familienkonflikte und lebt mit seiner ebenso sympathischen Frau Birgid in Berlin. Beide sind überzeugte Skatspieler 🙂
Fotos: Sabine Tonscheidt, Elke Tonscheidt