Nicht weniger arbeiten – sondern anders!
Weniger zu arbeiten scheint heute das Maß aller Dinge zu sein. Kürzere Arbeitszeiten, 4-Tage-Woche, Null-Bock-Tage – immer neue Modelle sollen uns ein Stück weit von der Last der Arbeit befreien. Der Tenor vieler Debatten: Weniger Arbeitszeit führt automatisch zu mehr Lebensqualität. Unsere Gastautorin Isabelle Kürschner stellt das sehr in Frage! und ist die große Arbeitswelt-Revolution tatsächlich ausgeblieben??
Ökonomen schlagen Alarm: Wenn wir unseren Wohlstand halten wollen, können wir es uns nicht länger leisten, nach immer weniger Arbeit zu rufen. Und interessanterweise macht es uns auch nicht zufriedener. Deutschland hat heute eines der kürzesten Arbeitszeitmodelle weltweit – doch gleichzeitig sind wir so unzufrieden mit unserer Arbeit, wie kaum eine andere Nation.

Isabelle Kürschner ist eine gefragte Rednerin. Schon 2015 hat sie erstmals für ohfamoos geschrieben.
Ist New Work gescheitert?
Viele kluge Köpfe fordern schon lange einen fundamentalen Wandel. New Work war das Schlagwort der 2010er Jahre, ich selbst war die erste Autorin im deutschsprachigen Raum, die ein Buch mit genau diesem Titel veröffentlichte. Auch mir gefiel die Vorstellung, dass Arbeit etwas sein muss, bei dem der Mensch im Mittelpunkt steht – mit Freiräumen für Kreativität und individuelle Entfaltung, so wie es Frithjof Bergmann schon in den 1980ern skizzierte.
Doch heute stelle ich immer wieder fest – sowohl in gesellschaftlichen Debatten als auch in meinen Workshops zu Karriere-Design und beruflicher Entwicklung:
Die große Arbeitswelt-Revolution ist ausgeblieben.
Zu oft blieben die Diskussionen um selbstbestimmte Arbeitsmodelle in einer Experten Blase, zu oft wirkten sie elitär und losgelöst von der Realität vieler Menschen.
Arbeit nur noch an Ergebnisse knüpfen
Ich erinnere mich noch genau, wie begeistert ich war, als ich das erste Mal von ROWE (Results-Only Work Environment) hörte oder vom 5-Stunden-Tag von Lasse Rheingans. Arbeit nicht mehr an feste Zeiten, sondern nur noch an Ergebnisse zu knüpfen – das klang revolutionär. Ich habe diese Ideen diskutiert, Vorträge darüber gehalten, mich inspirieren lassen.
Doch mit der Zeit kam die Ernüchterung:
Viele dieser Modelle blieben Experimente. Sie begeisterten, aber sie setzten sich nicht durch.
ROWE wurde bei Best Buy nach wenigen Jahren wieder abgeschafft, weil Führungskräfte den Kontrollverlust fürchteten. Der 5-Stunden-Tag zeigte beeindruckende Ergebnisse in einer 25-Mann-Agentur, wurde aber von der breiten Unternehmenslandschaft kaum übernommen.
Irgendwann wurde mir klar: Der große Wandel wird so schnell nicht kommen
Weniger arbeiten = mehr Zufriedenheit? Ein Trugschluss
Wenn weniger Arbeit automatisch mit mehr Zufriedenheit einherginge, müssten wir schon ziemlich happy sein. Denn Deutschland hat bereits eines der kürzesten Arbeitszeitmodelle weltweit: Während in den USA und Kanada über 1.600 Stunden pro Jahr gearbeitet wird, sind dort immerhin doppelt so viele Menschen engagiert bei der Arbeit (33 %) wie hierzulande (16 %). Was sagt uns das über die eigentlichen Ursachen von Arbeitsunzufriedenheit?

Isabelle Kürschner: Weniger arbeiten ist nicht das Maß aller Dinge.
Weniger Arbeitszeit bedeutet nicht automatisch mehr Lebensqualität. Wer sich bereits in einer 40-Stunden-Woche ausgebrannt fühlt, wird in einer 30-Stunden-Woche nicht plötzlich inspiriert und erfüllt sein. Hier müssen wir ein großes Missverständnis aufdecken: Zufriedenheit im Job entsteht nicht durch die Reduzierung von Arbeit – sondern durch das Gefühl, etwas Sinnvolles zu tun.
Warten wir nicht länger auf Verbesserungen von oben
Dieses Problem ist nicht neu. Schon 2005 schrieb der Princeton-Ökonom Alan Krueger, dass die Arbeitszufriedenheit in Europa seit Jahrzehnten sinkt. Während US-Unternehmen begannen, aktiv in die Motivation und Mitgestaltung ihrer Mitarbeiter zu investieren, fehlten vergleichbare Initiativen in Europa. Warum?
Weil vieles durch Gewerkschaften, Tarifverträge und gesetzliche Vorgaben bereits geregelt war. So sahen Unternehmen selbst sich immer weniger in der Pflicht, auf Kultur, Sinn und Miteinander am Arbeitsplatz zu achten und Arbeitnehmer lehnten sich zurück, in der Erwartung: Es ist Aufgabe des Systems, für bessere Arbeit zu sorgen – nicht meine eigene.
Arbeit macht uns nicht automatisch zufriedener.
Doch Zufriedenheit bei der Arbeit entsteht nicht durch Gesetze, Tarifverträge oder eine 4-Tage-Woche. Sie entsteht dadurch, dass wir aktiv etwas tun, dass jede und jeder Einzelne von uns gestaltet statt nur mitzunehmen.
Ich glaube fest daran, dass weniger Arbeit uns nicht automatisch zufriedener macht. Glücklich werden wir, wenn wir das tun, was uns wirklich wichtig ist – und das kann, ja muss vielleicht sogar in der Arbeit liegen, wenn wir bereit sind, uns mit ihr auseinanderzusetzen, anstatt nur zu versuchen ihr immer mehr auszuweichen.
Der Wandel beginnt in unseren eigenen Köpfen
Wir müssen uns also eine grundlegend andere Frage stellen: Nicht „Wie kann ich weniger arbeiten?“, sondern „Wie kann ich so arbeiten, dass sie mich erfüllt?“ Dafür gibt zunächst zwei wirksame Ansätze:
Wir müssen herausfinden, was uns tief im Inneren antreibt.
Denn wenn wir wissen, warum wir arbeiten, können wir unsere Arbeitszeit nicht nur als notwendiges Übel betrachten, sondern als Investition in das, was uns wichtig ist. Und dann müssen wir uns klar machen, dass große Veränderungen nicht nur durch radikale Schnitte entstehen, sondern häufig durch kleine, kontinuierliche Verbesserungen. Statt auf die eine bahnbrechende Reform von oben zu hoffen, können wir uns fragen:
➡️ Was ist eine Sache, die ich heute in meiner Arbeit anders machen kann, um sie für mich sinnvoller zu gestalten?
Ganz sicher liegt die Antwort nicht in weniger Arbeit – sondern in einem anderen Blick auf das, was wir tun. Warten wir nicht länger auf den Wandel von oben oder auf politische Reformen. Beginnen wir in unseren Köpfen!

Isabelle Kürschner
Gastautorin Isabelle Kürschner begleitet Menschen und Unternehmen dabei, Arbeit neu zu denken – hin zu mehr Selbstwirksamkeit, zukunftsfähigen Arbeitsweisen und Wellbeing am Arbeitsplatz. Ob berufliche Orientierung, innovative Lernwelten oder nachhaltige Führungskonzepte: Ihr Ansatz verbindet Design Thinking, Positive Psychologie und moderne Arbeitskonzepte, um praxisnahe Lösungen zu entwickeln, die Menschen wirklich voranbringen.
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Ich kann alles voll unterstreichen! Schöne Reflexion über ein nicht mehr ganz neues Thema. Danke!
Danke Toni, es ist schön zu wissen, dass man mit seiner subjektiven Sichtweise dann doch nicht ganz allein da steht 😉
Sehr wahre Aspekte in dem Artikel. Es müssen win-win Situationen entstehen, in denen Arbeitgeber und Arbeitnehmer kreativ aufeinander zugehen. Besonders in großen Unternehmen.