Ein Platz in unserer Gesellschaft
Hast Du mal in eine Notunterkunft geschaut, also richtig REIN geschaut? Dorthin, wo Menschen, die wohnungslos sind, übernachten dürfen? Laut Wikipedia sind das Übergangswohnplätze, die von Kommunen und/oder Hilfsorganisationen unterstützt und betrieben werden. Und in denen meist mehrere Personen in einem (türlosen) Raum untergebracht werden. Was ich nicht wusste: Häufig werden auch Betreuungs- und Beratungsangebote aus Sozialarbeit, Psychotherapie und Medizin angeboten – in welchem Umfang, das schwankt erheblich.

Elke hat Hans Arnold (links) und Jörg Graef in der Kölner Südstadt getroffen.
Ich war nun vor Ort und habe mich zwei Stunden lang von zwei Sozialarbeitern durch eine Institution des SKM Köln führen lassen. Ein Ort, von dem ich denke, dass er Obdachlosen im Winter das Leben rettet. Dort habe ich gelernt, dass es Hunde gibt, die Bettwanzen aufspüren. Dass die Menschen in 5er-Zimmern ohne Tür schlafen. Sich dort in sehr sauberen Duschen frischmachen können, mittags ein Essen bekommen. Auch medizinische Hilfe steht zur Verfügung, ebenso eine Beratung für die, die diese annehmen.

Durch dieses Tor muss jede*r, wenn er zur Notunterkunft möchte.
Und dass diese Menschen – Unionsbürger*innen, für die die Humanitäre Hilfe des SKM da ist – keine Existenzsichernden Leistungen bekommen. Es sind hauptsächlich Gäste aus diesen drei Ländern: Rumänien, Bulgarien und Polen. Deutsche Wohnungslose kommen hier nicht unter.
In diese Notschlafstelle kommen ausnahmslos Zugewanderte ohne jeden Zugang zum deutschen Hilfesystem – und meist ohne jede Perspektive.
Denn: Sie fallen aus dem deutschen Regelsystem heraus, führen ein Dasein unter dem gesetzlich definierten Existenzminium. Was sie an Geldmitteln bekommen, sind, wenn sie Glück haben, kleine Spenden, die man ihnen auf der Straße gibt. Und die u.a. hier eingesetzt werden: 1,50€ für ein Mittagessen (das übrigens wirklich gut duftet); 50 Cent für eine Ladung Wäsche. Und in der hauseigenen Kleiderkammer können sie sich etwas von dem aussuchen, was wir nicht mehr tragen möchten.

Der Arbeitsplatz von Hans Arnold beim SKM Köln. Das kleine Büchlein korrespondiert mit dem Südstadt Heinzel-Projekt.
Ich habe mit Hans Arnold, mittlerweile 36 Jahre alt, gesprochen. Bin zu ihm ins Büro im Kölner Süden gefahren. Er arbeitet seit 2018 hier in der Notunterkunft der Humanitären Hilfe vom SKM, er ist Sozialarbeiter. Bereits während seines Studiums der Sozialen Arbeit hat er als studentische Hilfskraft angefangen, war vorher in der Jugendarbeit tätig. Für Wohnungslose setzt er sich ein, weil er es unfair findet, wie diese Leute behandelt werden.
Als der SKM das Projekt der Südstadt-Heinzel beginnt, ist Hans sofort wieder zur Stelle. Er hatte nach seinem Bachelor ein Jahr Pause gemacht. „Ich fand, die Menschen wurden mehr verwahrt als ernstgenommen. Das änderte sich mit dem neuen Projekt. Das war ich wieder voll dabei.“

Hier treffen sich Hans und Jörg (und andere), um Luft zu schnappen oder um mal eine in Ruhe zu rauchen.
Kurz über dieses Projekt, dessen Zukunft in den Sternen steht: Menschen aus dieser Notunterkunft haben gemeinsam Müll weggeschafft. Deklariert als „Südstadt-Heinzel“ machten sie sich 5 Tage die Woche im Kölner Volksgarten auf die Suche nach Wohlstandsmüll – und fanden diesen Säckeweise. Mehr habe ich darüber hier geschrieben.
Hans Arnold – und genauso seinem Kollegen Jörg Graef – ist es eine Herzensangelegenheit hier zu arbeiten. Sie möchten mit dafür sorgen, obdachlosen Unionsbürger*innen eine Teilhabe auf allen Ebenen des gesellschaftlichen Lebens (sozial, finanziell, kulturell) zu ermöglichen und Stigmatisierung aufzubrechen. Sie arbeiten gern so mit Menschen, dass diese wieder eine Perspektive sehen, sich diese am besten selbst erarbeiten können. Deshalb habe ich mit Hans folgendes Gespräch geführt.
Interview mit Hans Arnold
Hans, warum ist Dir das Projekt der Südstadt-Heinzel so wichtig?

Sozialarbeiter Hans Arnold an seinem Arbeitsplatz.
Hans: Weil es damit wieder einen positiven Aspekt innerhalb der Einrichtung gab. Es war wie ein Schub: Die Projektteilnehmer, also die Heinzel, sahen eine neue Perspektive, wurden nicht nur verwahrt.
Was veränderte sich durch das Projekt?
Hans: Es gibt mehr Miteinander und als Resultat wurde interkulturelles Lernen möglich. Früher verharrten Einzelne doch sehr in ihren Nationalitäten, jetzt konnten polnische Jungs z.B. mit einer bulgarischen Frau zu Mittag essen, es löste sich, Grenzen wurden aufgebrochen.
Nun wurde die Finanzierung ausgesetzt, was müsste passieren, um das Projekt wiederzubeleben? Wer könnte helfen?
Hans: Wir suchen Förderer. Und natürlich könnte die Stadt Köln die positiven Aspekte sehen.
Welche Aspekte sind das?
Hans: Ich sag mal die wichtigsten drei Punkte:
- Die Menschen identifizieren sich mit ihrem Umfeld, es gibt weniger Randale und Stress für alle.
- Sie fühlen sich ernstgenommen und gesehen.
- Ihr Selbstwert wird wieder mehr hergestellt.

So ausgestattet (Weste, Zange, Eimer) zogen die Heinzel durch den Park, bis das Geld knapp wurde.
Was könnte die Stadt tun?
Hans: Die Gruppe, die den Volksgarten säubert, muss betreut werden, circa 5 Stunden täglich. Was wir erreichen wollen, ist, dass sich die Lebenssituation festigt. Dafür sind wir auf studentische Hilfskräfte angewiesen. Sie müssen entlohnt werden, denn das geht nicht nur mit Ehrenamt. Es müssen also Gehälter finanziert werden. Plus: Wir möchten wieder ein Frühstück anbieten, mit dem das Projekt beginnt, bevor die Leute dann ausschwärmen und den Müll einsammeln. Das sind etwa 3 € pro Teilnehmer.
Das ist jetzt nicht die Welt, oder?
Hans: Nee, wirklich nicht. Und die Sachmittel (Mülleimer, Zangen) haben wir auch noch. Das kriegen wir selbst überbrückt genauso wie die Arbeitsklamotten, die bringen wir selbst durch Spenden auf.
Wie hoch wäre aus deiner Sicht der Effekt dieses Projektes?
Hans: Immens, und zwar nicht nur für die Menschen, auch für das Umfeld und die Südstadt.
Gespräch mit Andrzej
Wie dieses Projekt Menschen und ihre Motivation, ihr Leben wieder in die eigene Hand zu nehmen, verändert, erzählt mir Andrzej, der vor Jahren aus Polen nach Deutschland kam. Seit einem halben Jahr arbeitet er beim SKM Köln in dieser Notschlafstelle in der Hauswirtschaft. Er hat somit die Seiten gewechselt:
Früher schlief er hier, nun arbeitet er hier.
Als er nach Deutschland kam, hatte er diverse Jobs, mal in der Produktion, mal arbeitete er in der Gastronomie. „Ich habe viele Fehler gemacht, changed work a lot“, erklärt er mir. Wir sprechen das Meiste auf englisch, denn sein deutsch ist noch nicht gut genug. Seitdem er seinen Job beim SKM Köln hat, lernt er aber auch unsere Sprache.

Bereitwillig und mit Humor hat Andrzej mit Elke über sein Leben gesprochen.
„Ich wusste früher einfach nicht, was ich machen sollte“, gesteht er. Andrzej geriet in eine Spirale – mal hatte er Arbeit, dann verlor er sie. Mal kam er in die Notunterkunft, mal nicht. Als das Südstadt Heinzel-Projekt startete, war er „early member“, strahlt der sympathische Mann.
Er will diesen Job auf keinen Fall verlieren
Andrzej hat wieder Pläne, vor allem diesen: Er will diesen Job nicht wieder verlieren, tut dafür alles. Seitdem er arbeitet, hat er eine eigene kleine Wohnung, braucht die Notunterkunft nicht mehr zum Schlafen. Was das bedeutet, wieder eigene vier Wände zu haben, kann sich hoffentlich jeder vorstellen …
„I changed a lot.“
Nun bereitet er das tägliche Mittagessen vor, das hauptsächlich erwärmt wird. Und er ist dafür verantwortlich, dass die Essensportionen verteilt werden. Während mir Hans und Jörg die Notunterkunft zeigen, sehen wir ihn ein paar Mal, wie er sich im Haus behilflich macht. Er sieht, wo Arbeit ist, packt an, wirkt dabei sehr fröhlich. Und tatsächlich sagt er mir später: Sein Leben sei jetzt sehr gut. Er strahlt mich an, ich fühle, es geht ihm wirklich gut und ich freue mich mit ihm.

In der Küche der Notunterkunft. Im Hintergrund ist der Raum, wo die Gäste dann essen, sobald sie ihren Teller hier abgeholt haben.
Dass Andrzej so weit gekommen ist, ist dem Südstadt Heinzel-Projekt zu verdanken. Da sind sich alle sicher. Dort lernte der Mann, dass man ihn brauchte. Und er konnte sich in der Gemeinschaft verankern. Seine Antwort auf meine Frage, was das Projekt und der darauf folgende Job mit ihm gemacht haben, verwundert mich nicht:
„It makes myself better, I have now a stable life and place.“
Heute gibt Andrzej zurück, was er früher bekam
Für die Hilfe, die er bekommen hat, ist Andrzej dankbar und ich gewinne den Eindruck, dass er auch deshalb in der Einrichtung so emsig dabei ist. Er gibt heute zurück, was er früher bekam. Es ist die Stabilität, die er braucht und die er auf keinen Fall wieder verlieren will. Andrzej ist integriert und er hilft nun anderen, sich ein bisschen stabiler zu fühlen in einem Leben, das rauh ist und dass sich niemand gewünscht hat …

5 Schlafstätten, Decken, Kissen und ein Papierkorb pro Raum. Jörg und Hans finden das zu Recht etwas trostlos.
Es passiert mir oft, wenn ich nachts aufwache in meinen eigenen vier Wänden und nicht schlafen kann, dass ich an die Notunterkunft etwa 10 Kilometer von mir entfernt denke. An die fünf Betten in einem schmucklosen Raum, auf denen vermutlich fünf Menschen schlafen. Und ich bin dann dankbar, dass es Sozialarbeiter wie Hans und Jörg, dass es Institutionen wie den SKM gibt, die nicht aufgeben dafür zu arbeiten:
Wir haben es doch alle verdient haben, einen Platz in unserer Gesellschaft zu haben …
Mehr über den SKM Köln.
Über ein spezielles Projekt des SKM hat Elke hier bereits berichtet: