Unverhofft kommt oft oder: Über syrische Gastfreundschaft
Es ist November 2008. Gastautorin Silvia Schanze landet nachts um halb zwei in Damaskus. Es ist das erste Mal, dass sie alleine verreist, das erste Mal in Syrien, sie ist voller Vorfreude, aber auch voller Aufregung. Freunde und Arbeitskollegen schütteln den Kopf: „Was willst Du da?“. Auf ohfamoos erzählt sie, wie sie die fantastische Geschichte Syriens und v.a. die Menschen kennenlernen durfte. Silvia ist überzeugt: Die syrische Gastfreundschaft ist einmalig.
Alles ist neu, ich spreche kein Arabisch, bin als Frau in einem Land unterwegs, wo einheimische Frauen überhaupt nicht alleine reisen dürfen. Ich kreiere mir eine Vita, die die Syrer einigermaßen akzeptieren:
verheiratet (damals gerade geschieden), mit einem Kind (ich hatte keins), Journalistin (war keine). Hätte ich die Realität erzählt, es hätte niemand verstanden, sowas gab es nicht. Das hat mir an meinem zweiten Tag in Damaskus Akrm, der freundliche Ladenbesitzer aus dem christlichen Viertel, erklärt.
Ich lernte ihn kennen, als ich zufällig in seinen Laden stolperte und blieb zum Tee – für Stunden. Wir unterhielten uns auf Französisch und er bestand darauf, dass ich einige Sätze arabisch lernte, die er wieder und wieder mit mir übte (ich kann sie noch heute).
Er fragte, ob ich gern Maalula sehen würde. Dies ist eine historisch bedeutsame Stadt im Qualamun-Gebirge, 56 km nordöstlich von Damaskus. Ich war sofort begeistert, hatte ich mir doch schon den Kopf zerbrochen, wie ich dort hinkommen sollte, ohne eine mehrtägige Reise mit Sammeltaxen zu unternehmen. Akrm machte ein paar Telefonate und eine Stunde später kam ein Freund, passte auf seinen Laden auf und er fuhr mit mir nach Maalula. Ist das nicht verrückt, wer hätte sowas hier gemacht für einen Fremden? Hättet Ihr es gewagt mitzufahren?
Ich fand es selbst verrückt und mein Bauch kribbelte; war ich zu mutig? Nein – ich verlebte einen unglaublichen Tag voller Eindrücke, guten Gesprächen und einem Gänsehauterlebnis in der angeblich ältesten Kirche der Welt, wo ich einer Predigt auf aramäisch lauschen durfte.
Auf nach Aleppo
Am nächsten Tag deponierte ich meinen Rucksack bei Akrm; abends wollte ich mit dem Nachtzug nach Aleppo reisen. Als ich abends spät zurückkehrte, wartete eine Überraschung auf mich: Ich sollte nicht mit dem Zug fahren, Akrm fand das viel zu gefährlich für eine allein reisende Frau. Ein Freund sollte mich mit seinem Auto mitnehmen. Ich fühle mich überrumpelt, war aber nicht in der Lage abzulehnen und auch schon zu müde um anderes zu organisieren. Ich verabschiedete mich voll Dankbarkeit. Akrm, sagte: „Wir sehen uns wieder – inshallah (so Gott will)“.
Der Mann mit dem Auto hiess Mohammed, war Kurde und sprach keine der mir bekannten Sprachen. Ich war todmüde, traute mich aber nicht ein Auge zuzutun, ich kannte den Mann ja nicht. Nachts um 3 Uhr kamen wir in Aleppo an und er half mir eine Bleibe zu finden. Am nächsten Tag hatte auch Mohammed jemanden organisiert, der auf seinen Laden aufpasste: Er wollte mir gern die St. Simeon Kirche (60 km von Aleppo) zeigen. Ich war etwas genervt von der Verselbständigung meiner Reise, aber überwältigt von der unglaublichen Gastfreundschaft.
Es wurde ein unglaublicher Tag. Mit Tränen in den Augen verabschiedete er sich von mir: „Wir sehen uns wieder – inshallah“.
Ich reiste noch einige Wochen weiter. War Gast auf einer syrischen Hochzeit in Palmyra, wurde zu einer Großfamilie zum Essen eingeladen, von der Polizei bestaunt und auch einmal übers Ohr gehauen, lernte Christen, Moslems, Kurden und Menschen anderer Religionen kennen.
Syrische Gastfreundschaft: Einmalig!
Mittlerweile habe ich viele solcher Reisen in ferne Länder gemacht und habe nie gastfreundlichere Menschen erlebt als die Syrer. Das Land hat mich beeindruckt, weil so viele verschiedene Religionen friedlich nebeneinander gelebt haben.
Seitdem der Krieg in Syrien tobt, habe ich oft an die Menschen gedacht, denen ich begegnen durfte. Sind sie noch am Leben? Sind sie geflohen? Was ist mit ihnen geschehen? Akrm, Mohammed, ich wünsche von Herzen, dass es Euch gut geht.
Die syrische Gastfreundschaft: Noch heute bin ich davon überwältigt und versuche meinen kleinen Teil zurück zu geben, indem ich Flüchtlinge vor Ort unterstütze.
Was ist mit Euch? Tut Gutes und erzählt davon – wir sind gespannt!
ohfamoos-Gastautorin Silvia Schanze lebt mit ihrer Familie in Hamburg, Barcelona und Basel. Sie ist als Abenteurerin, Optimistin, Marketing-, Event- und PR-Expertin, Tangotänzerin, Mama, Ehefrau und gute Zuhörerin bekannt.
Text und Fotos: Silvia Schanze
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…oh ja, an Damascus habe ich auch nur sehr gute Erinnerungen. Ich schaue immer wieder auf die Webseite unseres Hotels Al Mamlouka (http://www.almamlouka.com/) in dem wir 2009 weilen durften. Die Webseite ist nach wie vor „up“ und es ist bedrückend an unsere lieben Gastgeber von damals zu denken…
Zwei Reisen nach Syrien, auch mit Rucksack und Bussen, beim zweiten Mal mit beiden Töchtern, die ihre Pubertät vorübergehend aus dem Auge verloren haben: fasziniert und begeistert. Wurde schon beim ersten Mal Lieblingsland eines Reisejournalisten, vor allem wegen der Leute, aber auch wegen Kultur, Landschaft, Kulinarischem. Mehr als schrecklich, was da passiert. Und Angela schlägt mehrere Fliegen mit einer Klappe: sicher ein halbwegs angemessene Reaktion auf Notlage; Botschaft außerdem: Deutschland in Europa für Humanität zuständig und als der, der den anderen sagt, was zu tun ist. Da geht’s um viel mehr als Menschenfreundlichkeit, soweit es überhaupt um sie geht (hatten die JE geplant, Leute durch Unterstützung von Fluchten zu retten?).
Wer den Nahen Osten nicht als Pauschaltourist, sondern individuell bereist, wird diesen schönen Bericht von Silvia Schanze nur bestätigen können. Ich habe ähnliches immer wieder erlebt und oft bei mir eine tiefe Beschämung empfunden, wie in unserem eigenen Land die Kultur der Gastfreundschaft, gerade auch Fremden gegenüber, verkümmert ist. Und was hier für Syrien so berührend beschrieben ist, konnte ich auch immer wieder im Iran und im Jemen erleben, um nur einige besonders prägende Erfahrungen zu nennen. Danke für diesen Aufruf an unsere eigene Willkommenskultur, die wir wiederentdecken und kultivieren sollten!
Meine Erfahrungen, 2009 in Damaskus, waren sehr ähnlicher Art. Silvia beschreibt eine unaufdringliche aber herzliche Freundlichkeit, die ich genau so auch in Amman erfahren habe. Danke für diese Erinnerung, die immer bleiben wird.
Das ist so schön und so schön geschrieben, dass ich ganz ausser mir bin. Sonst treibt mir kaum etwas vor Rührung die Tränen in die Augen. Hier ist das anders.
Vielen Dank, dass Sie ihre Eindrücken mit uns teilen. Ich liebe Sie.
#FaithInHumanityRestored