Kinder im Wahnsinn – wer gibt ihnen Halt?
Joachim Friedrich, begeisterter Ruhrpöttler, Ex-Unternehmensberater und Vater von 2 Töchtern und einem Sohn, schreibt Kinderbücher mit realistischem Inhalt. Auf über 70 hat er es in 26 Jahren gebracht. „Schuld daran“, gesteht er seinen jungen Lesern gern augenzwinkernd, „war meine Mama.“ Gibt ja Schlimmeres als das, denke ich, und stimme ihm zu: Der ungeheure Leistungsdruck, dem schon junge Kinder heute ausgesetzt sind, ist ein echter Wahnsinn. Ein Interview über unperfekte Helden und die Faszination von, ooops, Tauben!
Wie viel Wahnsinn steckt im Alltag von Kindern heute?
Joachim Friedrich: Viel zu viel und leider häufig kein positiver Wahnsinn. Sich über Computer, Smartphones und Co. zu beschweren, ist müßig. Damit wachsen Kinder auf. Wahrscheinlich empfinden sie es eher als Wahnsinn sich nicht damit zu beschäftigen. Der Wahnsinn, den ich meine, besteht eher aus dem ungeheuren Leistungsdruck, dem schon junge Kinder ausgesetzt sind auf der einen Seite, und der Perspektivlosigkeit auf der anderen Seite.
Ich fürchte, dass Kindern ‚die Mitte‘ immer mehr verloren geht, die ihnen als Erwachsene die nötige Stabilität verleiht.
Sie mögen Helden, die nicht perfekt sind…
Ja, für mich gibt es nichts Langweiligeres als Perfektion und perfekte Menschen sind mir gar unheimlich. Ist es nicht so, dass uns ein Mensch erst durch seine (kleinen) Schwächen sympathisch wird? Und so hoffe ich, dass die nicht perfekten Helden in meinen Geschichten meinen Lesern sympathisch werden.
… dürfen bei Ihnen deshalb Tauben positiv auftreten (und nicht niedliche Kuschelbären)?
Nichts gegen niedliche Kuschelbären – als ich Kind war, hatte ich einen, der jeden Abend mit ins Bett musste! Dass ich als eingefleischter Ruhrpöttler aber auch eine Affinität zu Tauben habe, wird sicher niemanden verwundern. Tauben haben mich schon immer fasziniert. Sie sind überall und doch übersieht man sie meistens – wenn sie nicht gerade das frisch gewaschene Auto oder die Fensterbänke bekleckern.
Was mich daran ebenfalls fasziniert hat, sind die verschiedenen ‚Welten‘, in denen Tauben leben: auf Plätzen, Straßen und in Bahnhöfen, aber auch als behütete Zuchttauben oder als Wildtauben auf Wiesen und in Wäldern. Kurz gesagt: Ideale Bedingungen, um über sie Geschichten zu erzählen.
Sie haben sich mit ihrer eigenen Berufswahl schwer getan. Haben mit Mitte 30 von vorne angefangen. Was raten Sie Jugendlichen und ihren Eltern, die diese Entscheidung heute offenbar rausschieben (müssen) wie Kaugummi?
In vieler Hinsicht lässt sich die heutige Situation der Jugendlichen nicht mehr mit der vergleichen, in der ich meine Berufswahl treffen musste. Eines hat sich meiner Meinung nach allerdings nicht geändert:
Kann man im Alter von 16 bis 18 Jahren eine Entscheidung treffen, die das ganze Leben lang Bestand hat? Manchmal funktioniert es, oft aber auch nicht. Aber ist das ein Nachteil? Wird eine Reise nicht viel interessanter, wenn man von Zeit zu Zeit den Weg ändert?
Sie schreiben von Kindern, die erleben, dass Probleme lösbar sind, indem sie selbst Ideen einbringen. Worin sind Kinder am allerbesten?
Darin, einen unverstellten Blick auf die Welt zu haben. Sie hinterfragen das Treiben von uns Erwachsenen und stellen uns oft genug bloß. Leider nehmen wir Erwachsenen sie nicht oft genug ernst.
Viele beklagen, es fehle heute an Konzepten, um die Herausforderungen von morgen zu schultern – nicht erst seitdem Flüchtlinge kommen. Haben Sie da einen Ratschlag?
Nein, das maße ich mir nicht an.
Das ehrt Sie, aber: Wie wirkt diese Debatte auf Sie, gerade als Vater? Was glauben Sie, in welche Gesellschaft wachsen unsere Kinder derzeit hinein?
In die Gesellschaft, die wir ihnen hinterlassen – und das macht mir manchmal tatsächlich große Sorgen. Ich frage mich, warum wir Menschen – oder zumindest ein Teil von uns – nicht aus der Vergangenheit lernen. Die ‚ewig Gestrigen’ wird es wohl immer geben, ganz gleich wie weit wir in die Zukunft blicken.
Ich bin zu der Überzeugung gekommen, dass wir dagegen angehen können, wenn wir unseren Kindern ein Leben vorleben, das, so hoffe ich zumindest, ein gutes Beispiel ist. Und dazu gehört, dass wir versuchen sollten, den Menschen, die in Not sind, zu helfen.
Warum ist Momo bis heute Ihr Lieblingsbuch?
Es hat mich zum Schreiben „verführt“. Ich hatte sofort das Gefühl, einer dieser grauen Herren zu sein, die Michael Ende dort beschreibt. Als damaliger Unternehmensberater trug ich auch immer einen grauen Anzug. Da es meine Aufgabe war, Unternehmensprozesse zu beschleunigen, war es im übertragenden Sinn mein Job, die Zeit der betroffenen Mitarbeiter zu „stehlen“. Es machte mir schlagartig klar, dass ich etwas in meinem (beruflichen) Leben ändern musste – was ich dann auch getan habe.
Ich habe Joachim Friedrich kennengelernt, als er, locker in Jeans und türkisfarbenem Hoody gekleidet, im Duisburger Mannesmann-Gymnasium vorliest. Der Erfolg gibt ihm und der veranstaltenden Schule Recht: Mehr als 100 Kinder hören – freiwillig am Nachmittag – zu, fragen ihm Löcher in den Bauch und: KAUFEN anschließend seine Bücher! Echt ohfamoos, finde ich.
Seine Werke, z.B. die Kinderbuchreihe „4 ½ Freunde“ wurden rund um den Globus bislang in 40 Sprachen übersetzt. Hier mehr über seine jüngsten Tauben-Abenteuer ‚Die furchtlosen zwei. Keilerei auf Bahnsteig 3’.
Fotos: Elke Tonscheidt / Thienemann Verlag