Ewige Jugend statt Midlife Crisis
Bist du über 40? Sogar 50 oder 60 plus? Dann kennst du diesen „Nullerei-Hype“ wahrscheinlich: Der Übergang ins nächste Lebensjahrzehnt muss sich komisch anfühlen, die Party rauschend ausfallen. Und wer sich nicht irgendwann so midlife-crisis-mäßig verhält, akzeptiert sein Älterwerden nicht. Dem Leben zwischen Sneakers und Fältchen sind wir heute auf der Spur.
Als ich 30 wurde, feierten wir mit fast 40 Leuten einfach eine von vielen Partys in meiner kleinen Studenten-Wohnung. Wir stapelten leere Weinflaschen auf dem Balkon und ich bekam u. a. einen Brad-Pitt-Kalender geschenkt.
Zu meinem 40. erfreute meine treue Damenrunde mich mit vielen Büchern und einer herrlichen Massage. Einige fragten mit leichtem Geifer in den Mundwinkeln: „Und, wie fühlt es sich an 40 zu sein?!“ Ich fühlte, glaube ich, nichts von dem, was ich sollte – so ein „OMG – ich, vierzig!“ Das Betroffenheitsgefühl machte kurz den Versuch, sich erwartungsgemäß einzuschleichen, was ich dann wieder vergaß.
Kurz vor dem 50. schwante mir Böses: Ich wohne ja auf dem Land. Und hier machen die Leute manchmal komische Sachen. Zum Beispiel überraschen sie diese Geburtstagskinder mit einer völlig überdimensionierten, in Alufolie eingewickelten 50 im Vorgarten. Ich drohte meinem Mann und den Nachbarn schon Wochen zuvor: „Wer sich das traut, ist raus!“ Sie blieb mir erspart. Eine absurd-lustige 50-Brille allerdings nicht.
Ein neues Lebensgefühl mit der nächsten Null?
Die Vierziger rauschten unauffällig an mir vorbei. Ich wurde nicht „zickiger“ als sonst, habe mir keine extravaganten Hobbies umgehängt; einzig die Haare mussten in diesen Jahren mal wieder radikal ab (wachsen gerade wieder; ist das ein Indiz für Jugendwahn?). Mein Lebensgefühl ist mit 50 kaum anders, die Erwartung daran hat sich naturgemäß verändert.
Nein, nein! Das meine ich anders, als du jetzt denkst! Eher mit Hinblick auf Lebensintensität. Alles, was schal ist, weniger meiner Haltung und zumeist den Erwartungen Anderer entspricht, stört mich immens. Ich bin kompromissloser geworden. Natürlich hat es damit zu tun, dass die größer werdenden Kinder und alt gewordenen Eltern mir die eigene Endlichkeit vor die Nase halten.
Wohl deshalb propagiere ich mehr Gelassenheit, kann sie selber oft leben. Zudem lehne ich viel vehementer Dinge ab, die mich von meinem Kern wegbewegen und mache dringlicher Sachen, die ich aufgeschoben hatte. Wenn also Nullen mit Lebensgefühl zu tun haben sollen, dann fühle ich mich „in mir“ immer richtiger aufgehoben.
Und wenn 50 bedeutet, sich älter im Sinne von eingeschränkt und irgendwie weniger gut zu fühlen, dann ist auch das bislang an mir vorbeigerauscht. Glück gehabt, denke ich mir, denn die sogenannte U-Kurve-des-Glücks zeigt bei über 1 Mio. befragten Menschen, dass sie ab Mitte 30 immer unzufriedener werden und mit Mitte 40 ihren Tiefpunkt erreicht haben. Ab 55 ca. haben die meisten ihre Midlife-Crisis, die nachweislich existiert, überwunden.
Je älter du wirst, desto jünger fühlst du dich?
Alter fühlt sich für viele Menschen heutzutage nachweislich anders an. Zwar zerrt die Gravitationskraft nach wie vor an Hinterteilen und Augenlidern.
Eine durchtanzte Nacht (wie, hast du seit 12 Jahren nicht mehr?!) grinst dir am nächsten Morgen wirklich sehr verknittert im Spiegel entgegen. Um die eigenen Teenager zu verstehen, würden manche gern einen Übersetzer engagieren. Und Sex avanciert zum Quartalshighlight.
Tatsächlich, so hat es Trendforscher Peter Wippermann herausgefunden, fühlen wir fast 15 Jahre Älterwerden einfach weg. Das hat damit zu tun, dass wir immer älter werden. Und weil sich in den 80er Jahren die Rebellen zu Wort meldeten mit „Trau keinem über 30!“, wurde alles Alte schlecht. Die wollten nicht alt werden! Heute sind sie über 50 und haben sich ihr eigenes Image kreiert. Mitleidig belächelt als Jugendwahn.
Ewige Jugend – Pflichtprogramm und Generationenkonflikt
Ganze Industrien profitieren von der Suche nach dem Jungbrunnen: Rund 12 Milliarden Euro Umsatz verbucht alleine die deutsche Kosmetikbranche (1/3 davon von Männern gekauft); man sehe aufgrund der Veränderung der Lebenserwartung und -gestaltung enormes Potenzial. Sport, Kleidung, Reisen, Technik, Autos – längst wurden die Reifen und Best Agers als kaufkräftige Zielgruppe entdeckt. An der Oberfläche wird fleißig gespachelt, dekoriert und geformt, um in unserer visuell geprägten Gesellschaft mithalten zu können. Denn Leistungsfähigkeit wird mit Jugendlichkeit gleichgesetzt.
Die Älteren gehen den Jüngeren damit gehörig auf den Sack. Warst du schon einmal auf einem Konzert von Lena oder Bosse? Dort stehen die 11 jährigen neben den 60jährigen. Beide tragen Chucks, Jeans mit mehr oder weniger Löchern drin, einen Hoodie und glotzen ständig auf Smartphone statt auf die Bühne. Komisch ist das schon, oder?
Ursula Staudinger, Professorin für lebenslanges Lernen, fasst ein paar ohfamoose Erkenntnisse über Ältere zusammen:
- Geistige Fitness können wir bis ins hohe Alter stark beeinflussen (Neuroplastizität)
- Ältere kompensieren langsameres Lernen sehr wirkungsvoll durch ein Mehr an Erfahrung und Wissen
- Viele soziale Kontakte fördern ein gutes Gedächtnis
- Offenheit für neue Erfahrungen reagiert besser und steigert das logische Denkvermögen
- Sport fördert maßgeblich die Funktionsfähigkeit des Gehirns
Übrigens: Die Glücksformel der Psychologen sagt, dass Menschen zufrieden sind, wenn sie etwas an Jüngere weitergeben; sie wollen der Nachwelt etwas hinterlassen.
Was möchtest du (deinen) Nachkommen hinterlassen?
Text: Cornelia Lütge
Fotos: pixabay, privat
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