Politiker im Wahlkampf: Wer kommuniziert authentisch?
Bist Du authentisch? Wenn die Antwort „Na, klar“ lautet, hier die nächste Frage: Und, erreichst Du Deine Ziele damit? Medienberater Markus Resch, früher bei ZDF-WISO tätig, empfiehlt: Besser mal völlig unauthentisch sein. Und nicht nur Politiker und Medienbosse sind überrascht…
Herr Resch, das Modewort unserer Zeit ist „authentisch“. Alles ist authentisch, die Mode, das Essen – ist gute Kommunikation auch authentisch?
MR: Kommunikation ist das, was man daraus macht. Und wenn „authentisch“ im Sinne von „so wie ich im Grunde meines Herzens bin“ verwendet wird, dann sollte man sich überlegen, ob man seine Kommunikation so gestalten möchte.
Klingt schön, warum also nicht?
Die Frage ist: Kann man sein Ziel so erreichen? Oder überlegt man sich besser: Wer sind meine Zuhörer? Und wie kann ich die am besten überzeugen? Viel entscheidender als Authentizität ist meines Erachtens die Rolle, in der man kommuniziert. Und das Bewusstsein darüber.
Man merkt: Das Setting der Kommunikation ändert sich mehrfach am Tag. Je nach Ziel. Je nach Rolle. Und dem sollte man sich anpassen. Und auch seine Grenzen kennen.
Menschen als Schauspieler?
In einem gewissen Sinne sind wir das doch immer, wenn wir ein Ziel erreichen wollen. Wer zu einem ersten Date geht, der macht sich doch auch Gedanken, wie er oder sie sein Ziel an diesem Abend am besten erreicht.
Man macht sich fein, riecht gut, räumt die Wohnung auf, das Bad, macht das Bett frisch – auch wenn man ganz authentisch den Abend ungeduscht im üblichen verwohnten Durcheinander verbringen würde.
Das ist dann ja oft das böse Erwachen, wenn man sich nach dem ersten Date öfter sieht… und die Authentizität des Gegenüber kennenlernt und erlebt.
Zurück zur politischen Kommunikation. Müssen Politiker gute Schauspieler sein?
Sie wollen zurück zur Kommunikation. Ich bleibe beim ersten Date. Politiker wollen ja, dass aus dem ersten Date bestenfalls eine langjährige, stabile und dauerhafte Beziehung wird. Und erfolgreiche Politiker sind sich durchaus bewusst, dass sie dafür eine professionelle Rolle spielen müssen. Der US-General Eisenhower war ein erfolgreicher und angesehener Politiker. Und er hat es klipp und klar auf den Punkt gebracht und einem Journalisten gestanden: Es gibt einen politischen Eisenhower. Und einen privaten. Und der private hat mit dem politischen wenig zu tun.
Haben Sie auch aktuellere Beispiele?
Nehmen wir den ehemaligen saarländischen Ministerpräsident Peter Müller oder auch das SPD-Urgestein Franz Müntefering. Sie waren sich ihrer Rollen bewusst. Und haben diese mit Leben gefüllt. Und waren erfolgreich. Darüber geredet haben Sie wohlgemerkt immer am Ende ihrer politischen Karrieren.
Und jetzt bitte ein Beispiel aus dem „wahren“ Leben 🙂
Na gut! Haben Sie schon mal bei einer Hotline gearbeitet? Oder an einer Hotelrezeption? Da brauchen Sie Nerven aus Stahl. Und einen ebensolchen Helm. Da lassen die Kunden all ihren Frust und Ärger ab – und zwar ungefiltert und völlig authentisch.
Das kennen wir alle: Ein Anruf bei der Telekom treibt uns schon an unsere Grenzen. Aber haben wir nicht ein Ziel? Wollen wir mit dem Anruf nicht etwas erreichen?
Sie meinen, das geht besser wenn wir nicht authentisch sind?
Ja, versuchen wir es doch mal völlig unauthentisch. Die Menschen, die bei der Hotline arbeiten, melden sich meist mit Namen. Sprechen wir sie doch mal mit ihrem Namen an. Starten wir statt mit: „Hören Sie mal, ich finde es unerhört… und bin wütend und sauer….“ doch mal mit „… ich habe hier ein Problem und würde mich sehr über Ihre Hilfe freuen…“ Zeigen wir Verständnis (wo wir ganz authentisch keines haben) und bleiben ruhig (wo wir ganz authentisch am liebsten aus der Hose springen möchten). Sagen wir am Ende „Danke“, wo wir es doch ganz authentisch als eine Selbstverständlichkeit erachten, dass uns endlich und verdammt nochmal geholfen wird. Ich verspreche Ihnen: Sie werden mehr Erfolg haben! Auch wenn das gerade alles andere als authentisch war. Sie haben ihre Kommunikation mit der Zielgruppe und ihrem Ziel in Einklang gebracht.
Heißt das, erfolgreiche Politiker verstellen sich ständig?
Nein, das halten sie nicht lange durch. Ich möchte das Wort authentisch gerne ersetzen durch kongruent. Seien Sie kongruent! Darum geht es viel mehr als um Authentizität! Machen Sie Ihre Kommunikation kongruent mit ihrer Zielgruppe, ihrem ganz persönlichen Ziel und mit der Rolle, die daraus für Sie resultiert. Dann sind Sie vermutlich nicht mehr 100% authentisch, aber in Ihrer Kommunikation 100% professionell.
Schauen Sie sich die beliebten Politiker doch mal an. Den gerade verstorbenen Heiner Geißler. Was ist bei ihm authentisch? Der Wüterich aus seiner Zeit als Generalsekretär oder das späte Mitglied von Attac? Und zwischendurch war er sogar mehrfach der erfolgreiche Schlichter. Alles in einer Person? Ja, das ist möglich?
Hat das nicht auch Grenzen?
Ja. Manchmal in der Wirtschaft. Manchmal in der Politik. Manchmal auch im eigenen Unternehmen. Plötzlich müssen Menschen Dinge kommunizieren, mit denen sie sich nicht gemein machen können, zu denen sie keine Kongruenz herstellen können. Dann werden sie oft krank.
Woher wissen Sie das?
Ich arbeite mit einer Psychotherapeutin zusammen, sie hat zunehmend Klienten aus der Politik. Viele aus der Opposition. Die an Körper und Seele daran leiden, dass sie hauptberuflich immer dagegen sein müssen – auch wenn sie tief in ihrem Herzen, ganz authentisch sozusagen, den Vorschlag der anderen Partei gar nicht so doof finden. Da muss man schon hart im Nehmen sein.
Wir sind in der letzten Woche des Wahlkampfs. Wie sieht es denn hier mit der Kommunikation aus? Authentisch oder kongruent?
Angela Merkel scheint mir völlig kongruent zu sein mit ihrer Rolle. Sie ruht in sich. Und im übrigen: Was wissen wir von ihr Authentisches? Außer vielleicht das immer gleiche Kleid in Bayreuth und das alljährliche Wanderoutfit am Ortler? Nichts! Sie spielt ihre Rolle als Bundeskanzlerin perfekt.
Warum trifft das auf Martin Schulz nicht zu?
Die SPD hat seine Rolle als Wahlkämpfer offenbar so definiert, dass er von „ganz unten“ kommt.
In dieser Wahlkampf-Strategie ist Schulz der kleine Mann aus Würselen. Damit soll er wohl die SPD-Klientel mitnehmen.
Das ist aber eine Rolle, die nicht zu ihm zu passen scheint, in der er sich nicht wohlfühlt und an der er immer scheitert. Mit der er nicht kongruent ist.
Genau, der Mann war mal der hochangesehene Präsident des Europäischen Parlaments. So sieht er sich auch. Und an diesem Spagat scheitert er. Hören Sie sich ihn auf den Marktplätzen an: Da versucht er sich als Wahlkämpfer. Zetert über die Kanzlerin. Und gibt sich als kleiner Mann, der es auch ohne Haare und mit Kassenfassung auf der Nase zum Kanzler schaffen kann.
Im Duell mit Merkel sah das anders aus…
Das ist es eben. Da gibt er sich als Gentleman. Er nickt, wenn sie spricht. Schaut sie an, wenn er spricht. Überlässt ihr das Wort, wenn Sie reingrätscht. So wie man es auf höchster und wohlerzogener diplomatischer Ebene eben tut, wenn ein Regierungschef, eine Lady zudem, spricht. In dieser Rolle fühlt er sich wohl. Damit ist er kongruent. Und das hat mit dem Martin Schulz, der sich auf den Marktplätzen als kleiner Mann gibt, nichts zu tun. Die Wähler entlarven diesen Rollenwechsel schnell. Und das kostet Stimmen.
Kann man im Wahlkampf kongruent sein?
Schauen Sie sich Gerhard Schröder an! Der ist es bis heute! Oder Helmut Kohl! Selbst Adenauer mit seinem „Was geht mich mein Geschwätz von gestern an!“ Kongruenz schließt Ecken und Kanten nicht aus. Im Gegenteil.
Kongruenz macht unverwechselbar und kantig. Weil man für sein Ziel mit sich im Reinen ist.
Schulz hingegen spielt für sein Ziel mehrere Rollen. Mal den kleinen Mann aus Würselen. Und dann wieder den EU-Politiker. Das macht Merkel nicht. Das macht Lindner nicht. Und so würden Sie auch in keinem Unternehmen Karriere machen.
Zusammenfassend: Was macht gute Kommunikation aus? Wie viel Authentizität?
Auf jeden Fall 100% Kongruenz. Das Beispiel Schulz zeigt: Wer von Wahlstrategen zum „kleinen Mann aus Würselen“ gemacht wird und sich selbst (vielleicht sogar zurecht) als großen Europapolitiker sieht, der schafft diesen Spagat nicht. Wenn Sie also was werden wollen, überlegen Sie sich, ob Sie das auch in Kommunikation und Wirkung kongruent durchhalten.
Also keine Rolle spielen?
Davon haben wir im Leben ja nicht nur eine. Sondern mehrere. Aber für ein Ziel gibt es nur eine Rolle! Und die Authentizität: Die ist Privatsache!
Mein Tipp: Machen Sie es zum Teil Ihrer Authentizität, dass Sie in Ihrer Kommunikation, in Ihrem Auftreten, in Ihrer Wirkung bewusst bleiben und sich weiterentwickeln. Dass Sie immer besser werden.
Dass Sie sich überprüfen und trainieren. Ich habe in meinen Medien- und Rhetorik-Coachings so viele vermeintliche Alpha-Tiere. Die aber konsequent an sich arbeiten. Die Kommunikation, Rhetorik, Rolle und Kongruenz stetig beobachten, hinterfragen, justieren und trainieren.
Ein abschließender Satz?!
Gute Kommunikation ist wie ein gut trainierter und gepflegter Muskel. Mit dem man umgehen kann, den man bewusst einsetzen kann, der gut genährt wird und zuverlässig funktioniert. Und bisweilen dafür sorgt, dass man mit dem rhetorischen Florett touchiert, wo man eigentlich ganz authentisch mit der rhetorischen Faust für Ordnung sorgen möchte.
Markus Resch begleitet und berät Persönlichkeiten aus Wirtschaft und Politik mit dem Fokus auf ihre Auftritte in der medialen Öffentlichkeit. Er war über zehn Jahre Redakteur und Reporter für das ZDF, unter anderem bei WISO. Er hat Filme für heute und heute-journal realisiert. Mit seinen investigativen Recherchen hat er so manchen Manager vor der Kamera ins Schwitzen gebracht. Seine Erfahrungen ergänzt Resch mit strategischer Rhetorik und angewandter Dialektik. Er ist ausgebildet in Kommunikationstheorie, Psychologie, Linguistik und Logik. In der Beratung arbeitet er mit dem ehemaligen ZDF-Journalisten Udo Van Kampen zusammen. Weitere Infos: www.vankampen-resch.de
Fotos: privat, pixabay